In den letzten Jahren hat eine Reihe französischsprachiger Länder Afrikas durch Militärputsche ihre Regierungen abgesetzt. Dabei wurde eine in Westafrika weitverbreitete Stimmung gegen die ehemalige Kolonial­macht Frankreich aufgegriffen. Die Militärjuntas entfernten nicht nur die Präsenz des französischen Militärs aus ihren Ländern, sondern kündigten auch an, aus dem CFA-Franc aussteigen zu wollen. Die Währung CFA-Franc, ein Überbleibsel aus der Kolonial­zeit, bestimmt im Wesentlichen, dass diese Länder ihre eigene Währungspolitik nicht frei gestalten können, sondern an den Euro geknüpft sind. 

Die Strukturen, mit denen Frankreich auch nach dem formalen Ende der Kolonialherrschaft Kontrolle über seine ehemaligen Kolonien ausübt und die man auch in anderen ehemals kolonisierten Ländern findet, werden als Neokolonialismus bezeichnet. 

Der ehemalige ghanaische Präsident und Panafrikanist Kwame Nkrumah prägte mit seinem Buch „Neo-Colonialism: The Last Stage Of Imperialism“ (1965) den Begriff des Neokolonialismus und die These, dass die ehemaligen Kolonien mit der formalen Entkolonialisierung keine wirkliche Souveränität erlangen konnten. Durch transnationale Konzerne werde die Ausbeutung, die während des Kolonialismus mit politischer Herrschaft durchgesetzt wurde, fortgesetzt. Diesmal jedoch mit den Mitteln der internationalen Finanzpolitik. Nkrumah schloss damit an Wladimir I. Lenin an, der beschrieb, wie im Kapitalismus ab dem 19. Jahrhundert durch die Dominanz von Monopolen und Finanzkapital höhere Profite erlangt werden konnten.

Nkrumah sah den Kolonialismus als eine bestimmte historische Form des Imperialismus, der damals die Aneignung afrikanischer Ressourcen und Arbeitskraft durch direkte politische Beherrschung sicherte, während der Neokolonialismus als neue Form des Imperialismus dies durch Verschuldung und andere Mittel des Finanzmarkts tue. Wichtige Institutionen sind dabei etwa die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds (IWF), aber auch die Europäische Union. Diese Institutionen knüpfen die Kreditvergabe an Staaten an die Bedingung, dass dort Policys im Sinne einer neoliberalen Wirtschaftspolitik verabschiedet werden. Eine Recherche von Oxfam stellte 2022 bspw. fest, dass 87 Prozent der Darlehen, die der IWF 2020 an im Zuge der Kolonisation unterentwickelte Länder für Corona-Maßnahmen wie Impfungen vergab, an strenge Sparmaßnahmen geknüpft waren, etwa die Erhöhung von Steuern auf Lebensmittel, Kleidung und Gas und die Senkung öffentlicher Ausgaben. Unter diesen Maßnahmen leiden vor allem die Ärmsten in der Bevölkerung.

Und auch die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die Einschränkung von Arbeiter*innenrechten und ökologisch belastende Maßnahmen gegenüber der natürlichen Umwelt gehören zur neokolonial implementierten neoliberalen Wirtschaftspolitik. 

Dekolonialität und Postkolonialismus sind in Abgrenzung zum Neokolonialismus Konzepte, die sich eher auf das kulturelle Fortbestehen des Kolonialismus beziehen und dieses dekonstruieren wollen. Sie verorten die Ausbeutung und Unterdrückung der ehemaligen Kolonien weniger in der politischen Ökonomie, sondern primär in der Unterdrückung indigener Wissensbestände.

Im Kampf gegen den Neokolonialismus wiederum rief bspw. Fidel Castro betroffene Länder zu einem Schuldenstreik auf und Thomas Sankara dazu, eine „vereinigte Front gegen Schulden“ zu bilden, um den intra-afrikanischen Handel zu stärken und eine vom Westen unabhängige Wirtschaft aufzubauen.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 02/25.