M¥SS KETA
„M¥SS KETA“
( Island Records Italy/ Universal/Buback )

Es ist ein wenig verwunderlich, dass M¥SS KETA nicht längst so berühmt ist wie Lady Gaga. Am mangelnden Einsatz des aus Mailand stammenden Gesamtkunstwerks kann es nicht liegen. Seit ihren ersten Veröffentlichungen in den frühen 2010ern hält M¥SS KETA ihre bürgerliche Existenz konsequent geheim, trägt stets eine Gesichtsmaske und thematisiert in ihren Songs mit Vorliebe unbequeme Dinge wie Korruption, Prostitution und Ungerechtigkeit. Sie arbeitete mit internationalen Produzenten zusammen und trat u. a. im Berghain auf. Bei M¥SS KETA muss alles eine Nummer größer und eine Nuance schriller sein, so trägt ihr Debütalbum den unmissverständlichen Titel „A LIFE IN CAPSLOCK“. Auch ihre neue Platte kommt mit ordentlich Wumms daher: Die Eröffnung mit „LEI“ und „LES MISERABLES“ wirkt wie eine Theaterinszenierung – die folgende, leider nur halbstündige Show findet auf dem Dancefloor statt. Wuchtiger Techno wechselt sich mit Eurodisco-Vibes und zerschredderten Synthiebeats ab, es fiept und klingelt, hallt und dröhnt. In den überwiegend italienischen Lyrics – mit englischen Einsprengseln – nimmt M¥SS KETA „IT GIRLS“ aufs Korn, sinniert über Rache („VENDETTA“), montiert in Chicks-On-Speed-Manier sloganhaft Filmtitel und Promi-Namen, verarbeitet literarische Motive und sticht mit perfekt manikürten Fingernägeln in italienische und globale Wunden. Jetzt sollte es doch klappen mit dem Weltruhm. Christina Mohr

Japanese Breakfast
„For Melancholy Brunettes (& Sad Women)“
( Dead Oceans/Cargo )

Vergleicht man „For Melancholy Brunettes (& Sad Women)“, das neueste Werk von Michelle Zauner, besser bekannt als Japanese Breakfast, mit ihren letzten drei Platten, wird schnell klar: 1. Jazzig bleibt es weiterhin, z. B. bei „Mega Circuit“. 2. Die Songs fließen wieder dahin. 3. Es ist doch alles anders. Es ist zwar dieselbe glasklare Popstimme und es sind viele Soundeffekte, doch „For Melancholy Brunettes“ klingt zumeist nach Sommer. Gläser klirren, zauberhafte Violinenlinien liegen über drängenden Akustikgitarren. Vielleicht ist es die Hoffnung, die die Musikerin und Bestsellerautorin („Tränen im Asia-Markt“ war 2021 auf Obamas Jahresbestenliste) immer wieder findet. Die schwer zu greifende Schönheit des Lebens, während alles dunkel ist. Wie in „Honey Water“, das nach „End Of Beginning“ von Djo klingt und sich eigentlich lyrisch um die Frau eines Fremdgehers dreht. Im neunten Song wiederum, „Winter in LA“, leiten Streicher und Glöckchen dann akustisch eine kältere Zeit ein. Eines der interessantesten Stücke ist „Men In Bars“, in dem Jeff Bridges – ja, genau, „The Big Lebowski“ – mit ihr duettiert. Diese „Men In Bars“ referenzierte Zauner bereits 2020 in „Ballad 0“ ihres Projekts Bumber (gegründet mit Ryan Galloway von der Band Crying). Und so passt eben doch alles perfekt zusammen. Simone Bauer

Miya Folick
„Erotica Veronica“
( Stop Talking )

In einer Zeile entfaltet sich ein neues Leben: „Got a woman on my mind and a man waiting at home“, singt Miya Folick. Auf „Erotica Veronica“, dem dritten (und ersten selbstproduzierten) Album der Kalifornierin klingt es, als ströme das Staunen über ein Selbst, das lange unerkundet blieb, durch den Sound. Lesbische Tagträume und queere Sinnlichkeit prägen das Album, sie entwickeln eine Kraft, die zart und gleichsam stark klingt. Bläser, Drums, Streicher, Gitarren, vereinzelte Synth­klänge, Folicks helle, atmosphärische Stimme – da sind viele feinsinnige Stellen. Den elf Songs wohnt eine Luftigkeit inne und doch verzichten sie nicht auf lebendige Energie im Indie-Pop-Tempo. Ein-, zweimal reizt Folick ihre Stimme so intensiv aus, bis sie beinahe überschlägt: Denn neben Queer Joy flammt auch Wut auf – über verwirrende Beziehungen, Angst vor dem Alleinsein, Traumata, die Generationen durchwirken. „Erotica Veronica“ ist ein Versuch, der Wahrheit näherzukommen, das Album ruft eine Lebenslust wach, die beim Hören warm kribbelt. Wenn der sanfte Closing Track „Light Through The Linen“ anklingt, wird noch einmal deutlich spürbar, mit welcher Sensibilität und Fantasie das Album geschrieben wurde. Sehnsüchte sind komplex, doch es kann sich lohnen, sie mutig zu erkunden. Alisa Fäh

Yukimi
„For You“
( Ninja Tune )

Sie trägt ihr Lächeln wie ein ungeliebtes Kleidungsstück. Sie ist freundlich, aber nur, weil sie sich Mühe gibt. In „Sad Makeup“ beschreibt  Yukimi, die schwedische Sängerin mit japanischen Wurzeln, wie eine unterdrückte Traurigkeit für alle in unmittelbarer Nähe spürbar wird und dadurch an Kraft gewinnt. Die Single mit romantischem Seventies-Gitarrensound ist ein Vorbote zu ihrem Debütalbum „For You“. Dabei ist Yukimi keine Newcomerin, sondern Mitbegründerin der Band Little Dragon, die sich 1996 in Göteborg formierte. Spätestens mit ihrem Feature auf SBTRKTs „Wildfire“ (2012) hat sich ihre eindrucksvolle, zart-herbe Stimme in den Gehörgängen der Electropop-Fans festgesetzt. Mit ihren drei Bandkollegen kollaborierte sie auch mit Größen wie den Gorillaz oder Mac Miller. Fast zwanzig Jahre nach dem ersten Werk der Band nutzt die Frontfrau auf „For You“ ebenso probierfreudig Jazz, HipHop oder psychedelische Musik. Dass es jetzt nur noch um die 43-Jährige geht, sorgt für eine sehr introspektive Platte mit Songs wie „Make Me Whole“, der den Wunsch ausdrückt, etwas zu finden, um die gefühlte Leere zu füllen, oder „Jaxon“, in dem es um Trauerbewältigung und Muttersein geht. Die 13 Tracks mit Features von Soulsängerin Lianne La Havas und Yukimis Vater schaffen eine Balance zwischen mitwippendem Sound und Texten, die unter die Haut gehen. Yuki Schubert

Sirens Of Lesbos
„I Got A Song, It’s Gonna Make Us ­Millions“
( Sirens of Lesbos )

Aus Bern direkt zu Jungle und James Blake: Mit ihrem dritten Album „I Got A Song, It’s Gonna Make Us Millions“ zeigt Sirens Of Lesbos, gefrontet von den Schwestern Jasmina and Nabyla Serag, warum dieser Weg für die Band nur logisch war. Schon seit 2014 begeistert sie dank ihres Ibiza-Hits „Long Days, Hot Nights“ Fans auf der ganzen Welt. Daraus entstanden Zusammenarbeiten mit den eingangs erwähnten Größen, aber auch mit weiteren Acts wie dem Rapper JID. „I Got A Song, It’s Gonna Make Us Millions“ fällt dabei wieder unter das Genre Worldbeat – wenn man denn unbedingt kategorisieren möchte. Die multikulturelle Basis, die den Sound seit Anbeginn ausmacht, bleibt der Herzschlag: Ob Sugababes, Fusion Festival oder Childish Gambino – die Liste an hörbaren Einflüssen ist lang. Und das Produktionsniveau dabei jede Vorschusslorbeere wert. Dazu gibt es verführerisch flackernde Hotellichter, zu denen Feature-Gast Zacari in „Room333“ einlädt, Hits aus einer Liga mit SZA wie „My Moon“ und feinsten R’n’B der 2000er mit kollektiven Empowerment-Zeilen: „The Time Is Now, Be The Change.“ In all der Wärme bleibt immer Raum für Kehrtwenden – etwa wenn sich das Finale von „Call Me Back“ gemeinsam mit dem Kabusa Oriental Choir in Breitbandformat nach oben wiegt oder „I Dream, I Rush“ Synth-Repetition mit glühenden Vocal-Arrangements versöhnt. Julia Köhler

Lena Stoehrfaktor
„Pretty World“
( Vinyl Digital )

Lena Stoehrfaktor ist zurück mit einem neuen Album, „Pretty World“. Die Berliner Rapperin ist bereits seit den 2000ern ein essenzieller Teil der Deutschrapszene und bekannt für gesellschaftskritische Texte sowie basslastige Old-School-Beats. Auf „Pretty World“ konfrontiert Lena Stoehrfaktor gesellschaftliche Missstände und soziale Ungerechtigkeit – in einer Welt, die oft alles andere als schön ist. Mit dem Lied „Nimm es persönlich“ übt sie Kritik an den kapitalistischen und ausbeuterischen Strukturen der Musikindustrie. Gemeinsam mit Rapperin Shanel thematisiert sie auf „Upperclass“ Klassismus und Machtmissbrauch. „Schuld“ gewährt einen tiefen Einblick in Lena Stoehrfaktors persönlichen Kampf mit dem Impostor-Syndrom. In „Rauch in der Luft“ – einem Beitrag zum Soundtrack des Filmes „7 Tage Stress“ – raucht sie, als wäre es Endzeit. „Pretty World“ ist scharfkantige Gesellschaftskritik und zeigt anhand der persönlicheren Songs, wie sich diese Strukturen auf die individuelle mentale Gesundheit auswirken. Musikalisch bewegt sich Lena Stoehrfaktor kaum von dem Old-School-Sound, für den sie bekannt ist, weg. Trotz der Soulsamples von Produzent Blake Beauty klingen die HipHop-Beats eher einheitlich, was allerdings Raum für die Auseinandersetzung mit den Textinhalten lässt. Auf ihrem neuen Album bleibt Lena Stoehrfaktor widerständig, radikal und Untergrund. Musik für „Loser und Freaks“, wie sie selbst sagt. Ilo Toerkell

This album cover image shows „Perverts“ by Ethel Cain. (Daughters of Cain via AP)

Ethel Cain
„Perverts“
( Daughters of Cain/AWAL )

Mit ihrem vorherigen Album „Preacher’s Daughter“ avancierte Ethel Cain vom Geheimtipp der Soundcloud-Nischen zum Indie-Darling, die alle zuerst entdeckt haben wollten. Zwischen düsteren Kapellen, wallendem Farmkleid, schaurigem US-amerikanischen Hinterland und hallenden Gitarren verstand es Ethel Cain, den Southern Gothic und die im Bible Belt ansässigen Traumata mit Slowcore, Americana und Ethereal Wave zu verweben. Der Song „American Teenager“ bildete dabei gewissermaßen das Herzstück der Platte und überlagerte mit bittersüßen wie melancholisch-verwaschenen Klängen den US-amerikanischen Horror, der dem Album zugrunde lag. Es war ein Indie-Hit. Anstatt mit einem gefälligen Nachfolger an ihr Werk anzuknüpfen, veröffentlicht Ethel Cain mit „Perverts“ nun ein eineinhalb Stunden langes Hörerlebnis, das sich aus düsterem Ambient, bedrohlichem Drone und Doomgaze speist. Nach eingängigen und bekömmlichen Songs sucht man hier vergeblich. Liebhaber*innen der Genres, die sich auf die experimentellen, beunruhigenden und bedrohlich-rauschenden Soundlandschaften einlassen können, werden in ihnen etwas Meditatives finden können, Hörer*innen, die sich eine Fortsetzung des ätherischen Dreampops von „Preacher’s Daughter“ erhofft haben, allerdings Klaustrophobie verspüren. Sophie Boche

Mia Morgan
„silber“
( Wiedergänger )

Mia Morgan bezeichnet ihren Song „Niemand“ vom neuen Album „silber“ als eine Liebeserklärung an die Social-Media-Plattform Tumblr. Tanzend in lila- oder schwarzfarbenem Korsett singt sie im Musikvideo in die Kamera: „Ich will jemanden wie dich, der dasselbe High verspricht, der mich will und wieder nicht.“ Sie ist dabei nicht zart und zurückhaltend – wie typisch für Tumblr –, sondern frech und herausfordernd. Drei Jahre liegt ihr Debütalbum „FLEISCH“ zurück. Nun folgt das aufgewühltere, schonungslosere, rockigere „silber“. Voller schmerzhafter Textzeilen, eindringlicher Refrains, die an Schlager erinnern, und scheppernder Einspieler von schnellen Gitarren und Schlagzeug bauscht sich das Album in höchste Sphären auf. Und ganz an der Spitze: Mia Morgan selbst. Wie eine in ein weißes Gewand gekleidete griechische Göttin mit langem silbernen Schwert in den Händen steht sie zum Gefecht bereit, alles zu vernichten, was ihr den Weg zu sich selbst versperrt. Mit biblischen Referenzen und Weltuntergangsfantasien singt sie über toxische Beziehungen, Rachegefühle und Rastlosigkeit. So kann „silber“ manchmal schwer klingen, um dann wieder locker-leicht zu werden, wenn helle, quietschige Synthklänge die undurchsichtige Rockfassade durchbrechen. Wem „FLEISCH“ zugesagt hat, der wird auch im vielschichtigeren „silber“ Gefallen finden. Sofia Paule

Lucy Dacus
„Forever Is A Feeling“
( Universal Music )

Wie eine Fotografie, die sich langsam entwickelt, transformiert sich auch „Forever Is A Feeling“ von sanfter Abstraktion zu schärfer werdenden Kanten. Das neue Album von Lucy Dacus bewegt sich zwischen glasklaren Vocals, verzerrten Gitarren und texturierten Streichern. Ihre Pause bei boygenius nutzte Dacus, um sich mit diesem Soloalbum dem Verlangen, der Liebe und auch der Unvernunft zu widmen. Das sanfte Treiben zu Beginn des Albums geht in aufgewecktere Stücke über, um danach wieder in eine ruhigere, melancholischere Umarmung zu münden. „Forever Is A Feeling“ zeichnet sich durch einen fesselnden Drive aus, der mindestens genauso fasziniert wie Dacus’ samtig-tiefe Stimme. Der eindrückliche Einsatz von Streichinstrumenten verbindet nicht nur die Stücke miteinander, er schmiegt sich auch in das barocke Thema ein, das sich in ihrem neuesten Musikvideo ebenfalls zeigt. „Ankles“ ist nicht nur dramaturgisch, sondern auch handwerklich ein Highlight des Albums, denn Lucy Dacus bedient sich träumerisch-intensiver Elemente, ohne dabei aufdringlich oder gar kitschig zu werden. Dieses Album vereint die klassischen Klänge des Indie-Rock-Genres mit der sentimentalen Sanftheit queeren Erzählens. Ein Stück Ewigkeit ist bei ihr nicht nur ein Gefühl, sondern auch eine zeitlose Momentaufnahme. Luna Afra Evans

CocoRosie
„Little Death Wishes“
( Joyful Noise Recordings/Cargo )

Erst kommt der Beat und dann, wenn man tanzen kann, alles andere. So haben es die Schwestern Sierra und Bianca Casady stets gehalten in ihren gut zwanzig Jahren als CocoRosie. 2024 spielten sie ihr betörend windschiefes Debüt „La Maison De Mon Rêve“ (aus dem Jahr 2004) – eine Ode an das New Weird America mit Kinderkeyboard, Harfe und Texten über Feminismus, Feen und Engel – neu ein, diesmal nur Gesang zu Klavier. Und steckten bei der Gelegenheit dem „Kaput-Mag“ im Interview, wie ihre neue, die bereits achte, Platte „Little Death Wishes“ klingen würde: „trashy and sexy and dark and pretty upbeat“. Stimmt alles – nur nicht trashy, eher üppig und glamourös. Atmosphärisch wähnt man sich mal in einem David-Lynch-Film (der leider nicht mehr gedreht werden wird), wie beim Discohit „Cut Stitch Scar“. Dann herrscht Liebeskummer, etwa in „Paper Boat“: „Nothing’s fair in love and war.“ Hoffnung versprüht „Least I Have You“, ein Loblied auf Sisterhood: „If no one in the world understands, at least I have you.“ „Girl In Town“ mit Chance The Rapper wiederum erinnert mit seiner funky Sleazyness an Madonnas 1980er-Hit „Holiday“. Anders als sonst hat Sierra, die Opernsängerin, die Beats gebastelt und getextet, was eigentlich Bianca, auch bildende Künstlerin, wuppt. „Little Death Wishes“ ist ein passender Soundtrack für diese schweren Zeiten, Musik, die einen mal umarmt und mal empowert, sich für Veränderungen einzusetzen. Barbara Schulz-Kamm

Heather Nova
„Breath And Air“
( V2 Records/Bertus )

Die einst – wie auch Sheryl Crow oder Tori Amos – zu den Pionierinnen der Singer-Songwriterinnen des Indie-Rock zählende Heather Nova hat seit den 1990ern einige stilistische Wandlungen durchlebt. Konstant geblieben aber ist eine emotionale Offenheit bis hin zur Verletzlichkeit, ihre enge Verbindung zur Natur, die Erforschung des Selbst und die Suche nach einer angemessenen Form, um ihre Gefühle und Haltungen auszudrücken. Auch ihre Prägung durch ihre Kindheit auf einer kleinen Bahamasinsel und dem elterlichen Segelschiff, umgeben von Meer, Sonne und paradiesischer Natur, ist in ihren Kompositionen immer spürbar. In Novas bereits 13. Studioalbum „Breath And Air“ formuliert sie in 14 Songs ihre Erkenntnisse über sich wiederholende Muster und die Dualität des Lebens – poetisch, doch simpel, klar und schließlich positiv. Die Gleichzeitigkeit von Gegensätzen zu akzeptieren, zeugt von Reife, sie erkennt darin eine naturgegebene Balance. Aufgenommen in einem kleinen Studio auf dem englischen Land mit einer nur dreiköpfigen Begleitband, reduziert auf Gitarren, Piano, Synthesizer, Schlagzeug, Percussion und Cello, klingt Heather Nova fast wie früher: fragil und gleichzeitig stark, aber ruhiger. Schön arrangierte Kompositionen, die im Ohr bleiben, wie der Song „Ghost In My Room“. Imke Staats

Ikkimel
„Fotze“
( Four Music )

Billiger Sekt und teures Kokain, Arschlecken als Königsdisziplin: Nach viralen Hits wie „Keta und Krawall“ oder „Aszendent Bitch“ hat Ikkimel nachgelegt und zeigt uns in 13 Tracks auf ihrem neuen Album „Fotze“, dass sie ganz genau übers Ballern und Bumsen Bescheid weiß – ihren Body­count würde sie uns verraten, wenn sie ihn doch nur wüsste. Provokation steht ganz oben auf ihrer Liste. Ob Kirche, Drogen, Deutschland oder Sex, kein Thema war bisher vor ihr sicher. Bevor es irgendwer anderes tun kann, bezeichnet sie sich selbst als „die größte Fotze in der Stadt“. Ist das jetzt sexpositives Empowerment oder reproduziert sie die Misogynie ihrer männlichen Rap-Kollegen? „Und ist Ikkimel jetzt überhaupt noch feministisch?“, kommentiert sie in dem Track „Jetzt erst recht“. Wenn Ikkimel sich selbst sexualisiert, ist es für sie befreiend und selbstermächtigend – zu treibenden Trance- und Technobeats wird mit jeder Zeile polarisiert. Sie räumt in der Sauna auf, referenziert auf politisch unkorrekte Kinderlieder („Drei Fotzen mit ’nem Bombenarsch“), beschreibt in „Shemlords“ punktgenau eine typische Berliner Clubnacht oder macht klare Ansagen im Domina-Style, denn „Schnauze halten, Leine an, Schatz, jetzt sind die Weiber dran“. Das Album „Fotze“ enthält, was es verspricht: Fotzenrap vom Feinsten. Aber in all den Tabus sind die Lyrics von Ikkimel auch sehr erwartbar – ist etwa der Zenit der Provokation für sie erreicht? Julia Tautz

Diese Texte erschienen zuerst in Missy 02/25.

Heft 02/2025