Vaginal Davis im Berliner Gropiusbau
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Dreißig Minuten zu spät erscheint Vaginal Davis auf dem Bildschirm. Sie winkt lachend in die Kamera und macht eine entschuldigende Geste: „Tunten und Technik“ – Technik sei einfach nicht ihr Ding. Bis vor Kurzem hatte sie nicht einmal WLAN in ihrer Wohnung, dabei war sie eine der ersten Künstler*innen überhaupt mit einem Blog. Nicht jedoch aus Affinität für digitale Innovationen, sondern weil sie mit ihrer Arbeit von Anfang an in ein weitreichendes Netzwerk aus Freund*innen, Künstler*innen, Intellektuellen, Aktivist*innen, Fans und Studierenden eingebettet war: „Die haben das einfach für mich aufgesetzt, genauso wie mein Instagram.“
Vaginal Davis ist eine Grande Dame, eine Meisterin der Identitäten – „mindestens drei“, sagt sie selbst. Im Internet kursieren verschiedene Geschichten über ihre Herkunft: Sie sei in Los Angeles geboren, mit ihrer Mutter und vier älteren Schwestern aufgewachsen. Die Mutter: Creole aus Louisiana. Der Vater: ein jüdischer Mexikaner. Der Großvater: aus Deutschland eingewandert. An anderer Stelle sagt sie, sie sei in Berlin-Wannsee geboren – als „ schwarzes Schaf“ der Hohenzollern-Dynastie. Was davon stimmt, spielt
letztlich keine Rolle. Denn wer auch immer sie ist – es bleibt komplex. Und das soll es auch. Sie spricht ein wenig Deutsch, aber das Interview führen wir auf Englisch. Das Werk von Vaginal Davis versteht man oder nicht – das ist egal und zwar im besten Sinne. Es geht nicht ums Verstehen, sondern um ein Angebot, mit den Unwägbarkeiten des Lebens zurechtzukommen.
Vaginal Davis ist Malerin, Filmemacherin, Autorin, Performerin – alles zugleich. Ihre Kunst entsteht spontan, aus dem, was gerade verfügbar ist: Make-up- und Nagellackreste, Szenen vom Straßenstrich im Los Angeles der 1980er-Jahre, wo sie mit der Videokamera Sexarbeiterinnen begleitete und als Stilikonen feierte – radikal ehrlich, zutiefst menschlich, empathisch, voller Humor und in ständiger Auseinandersetzung mit den Abgründen dieser Welt. Auf einem 1998 vom Musiker Beck initiierten Happening im New Yorker Club Roxy war sie Host*ess in Drag und drückte der ebenfalls anwesenden Gwyneth Paltrow einen Kuss auf die Lippen, wobei sie mehrfach…