Dem Theater den Prozess machen
Von

Natalie Assmann wirkt vorsichtig, als wir uns im März in einem Wiener Kaffeehaus treffen. Ein falscher Name, und schon könnte jemand abspringen von dem geplanten Projekt. Die Themen, über die sie spricht, sind heikel: sexueller Missbrauch, Machtmissbrauch in der Kunst, Täter-Opfer-Konstellationen, institutionelle Verantwortung.
Assmann, Theatermacherin und Aktivistin, ist Teil des dramaturgischen Teams der „Wiener Kongresse: Kunst & Missbrauch“ bei den Wiener Festwochen, ein Diskursformat, das reale Fälle aus der Kunstszene behandelt. Es geht um mehr als bloße Diskussionen oder eine klassische Podiumsrunde: Die Kongresse sind eine Mischung aus Gerichtsverhandlung und künstlerischer Intervention. Ziel ist nicht die Anklage, sondern
ein kollektives Nachdenken über Macht und Verantwortung im Kunst- und Kulturbetrieb.
Die Wiener Festwochen sind ein renommiertes internationales Theaterfestival. Seit Jahrzehnten versammelt das fünf- bis sechswöchige Programm einige der aktuell weltweit aufregendsten Theateraufführungen und Performances. Seit 2023 steht es unter der Leitung von Regisseur und Autor Milo Rau, mit seiner ersten Ausgabe 2024 ist auch ein dichtes Diskursprogramm ins Festival eingezogen. In diesem Jahr werden zwei Kongresse stattfinden: zum Thema Cancel Culture und zu Missbrauchsfällen durch Akteure in der Kunstszene.
Assmann steckt mitten in der Recherche, als wir uns zum Gespräch treffen. Sie begann ursprünglich als Schauspielerin, stieg aber früh wieder aus dem klassischen Theaterbetrieb aus – frustriert über Übergriffe bei Castings und Proben. Sie fand ihren Weg über die Regie und politische Kunst in die queerfemi- nistische Performanceszene und leitete etwa das Kunstfestival WIENWOCHE, begleitete Theaterworkshops…