War die Bezeichnung „sapphic“ lange out, durchlebt sie seit einigen Jahren eine popkulturelle Renaissance – so ist bspw. von Sapphic Pop oder Sapphic Movies die Rede. „Sapphic“, auf Deutsch „sapphisch“, meint klassischerweise den lyrischen Stil der antiken griechischen Dichterin Sappho. In seiner zweiten, geläufigeren Bedeutung spielt der Begriff auf ihren Lebensstil an. Doch was wissen wir über das Leben von Sappho, die als wichtigste Dichterin des klassischen Altertums gilt? Tatsächlich ist es unmöglich, eine exakte Biografie zu rekonstruieren, da ihr Leben erst später in Legenden erzählt wurde. Überlieferungen zufolge lebte sie auf der griechischen Insel Lesbos. Sie war von vielen Frauen umgeben, darunter ihre Schülerinnen, denen sie musische Fähigkeiten und das Verfassen von Gedichten beibrachte. Was wir ebenfalls nachvollziehen können, ist, dass Sappho Frauen liebte – aber nicht ausschließlich. In der Suda, dem umfangreichsten erhaltenen byzantinischen Lexikon, heißt es etwa, dass sie gemeinsam mit Kerkylas eine Tochter namens Kleïs hatte. Auch soll es, zumindest der Legende nach, die unerwiderte Liebe zu einem mythischen Mann, Phaon, gewesen sein, deretwegen sie sich von einem Felsen stürzte und starb. Begehren zählt zu den zentralen Themen ihrer Gedichte – u. a. das für Frauen. Und so zerstörte die Kirche einen großen Teil ihres Werks, weil es als zu anrüchig galt. Selbst in den erhaltenen Gedichten auf Papyrus gibt es Lücken, sogenannte Lakunen. Diese könnten zwar witterungsbedingt entstanden sein, es gibt aber auch die Vermutung, manche Stellen könnten im Laufe der Weitergabe zensiert worden sein.

Die kanadische Dichterin, Übersetzerin und Klassische Philologin Anne Carson übersetzte Sapphos Gedichte in dem 2002 erschienenen Band „If Not, Winter“ ins Englische. Dabei machte sie die Lücken im Text durch das Einsetzen von Klammern sichtbar – was genau fehlt und warum es so ist, unterliegt der Interpretation der Lesenden. Das Sapphische hält somit Raum für Ambiguitäten offen.

Um 1500 herum tauchte der Begriff „sapphic“ im Englischen zunächst auf, um den lyrischen Stil Sapphos zu bezeichnen. Erst im späten 19. Jahrhundert bezog sich „sapphic“ auch auf Begehren – ob ausschließlich lesbisches oder auch bisexuelles, ist nicht nachvollziehbar, da „bisexuell“ als Begriff erst später etabliert wurde. Bis zum späten 20. Jahrhundert wurde der Begriff in erster Linie als Synonym für lesbisch verwendet, was auf Sapphos Biografie bezogen zwar eine Verkürzung ist, jedoch mit der Tatsache harmoniert, dass der Begriff „lesbisch“ ebenfalls von Sappho – einer Bewohnerin von Lesbos – abgeleitet ist.

Nachdem „sapphic“ zunächst aus der Mode gekommen war, feiert der Begriff heute in Pop- und Internetkultur ein Comeback mit gendersensiblem Update. Primär versteht man unter „sapphic“ nach wie vor das sexuelle oder romantische Begehren zwischen Frauen. Wichtig ist, dass es kein ausschließliches Begehren für Frauen sein muss. Somit schließt der Begriff lesbische, bi- und pansexuelle, aber auch aromantische oder asexuelle Frauen ein – sowie nicht-binäre Personen, die sich selbst auf diesem Spektrum verorten. Folglich fungiert „sapphisch“ eher als Schirmbegriff für ein spezifisches Begehren (und alles, was damit zu tun hat) denn als eindeutiger Identitätsmarker oder sexuelle Orientierung. Die gegenwärtige Verwendung des Begriffs hat außerdem häufig einen humoristischen Subtext. So werden Räume und Beziehungen, aber auch Ästhetiken, Filme, Bücher oder Verhaltensweisen als sapphisch bezeichnet.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/25.