Musiktipps 04/25
Von MissyRedaktion

Lido Pimienta
„Belleza“
( ANTI-Records )
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Auf der Streamingplattform blinzelt uns Lido Pimienta aus einem übergroßen schwarzen Anzug an, während die Ouvertüre ihres neuen Albums „Belleza“ läuft. Ouvertüre? More like Overturn, wie das erste Stück auch heißt. Was mit Ableton-Sessions begann, wuchs sich zu einem Klassikalbum aus, erarbeitet mit Owen Pallett und dem Philharmonischen Orchester von Medellín. „Wenn meine Musik so oder so ins World-Music-Regal wandert, warum nicht etwas produzieren, das man nie von einer Frau aus der Karibik erwarten würde, wie ein Orchesteralbum?“ Kategorien haben es schwer mit Pimienta. So war ihr 2020er-Jahre-Durchbruchsalbum „Miss Colombia“ ein Mix aus afrokaribischem Sound, Elektronik und Pop, in den Grammy-Kategorien Latin und Alternative nominiert. Auf dem neuen Album „Belleza“ folgen wir nun Pimientas orchestralem Strom zu Themen wie Kolonialisierung, Gemeinschaft, Trauer und Liebe. Auf „Ahora“ gedenkt sie mit mächtigen Chorälen ihrer Ahnen, der Wayuu, die in Abya Yala lebten – bevor Europäer*innen den Kontinent in Amerika und das Land in Kolumbien umbenannten. In „Mango“ besingt sie zu zarten Harfenklängen das überschwängliche Glück, ebendiese Frucht zu essen, eine Metapher für Liebe und Lust. Unterlegt von Bläsern und einem Marimbaphon erzählt „Tengo que ir“ davon, wie sie sich im Namen geliebter Menschen auf einen Weg der Befreiung macht, der mit „Busca La Luz“ in euphorische Trompetenfanfaren mündet, welche die afrokaribische Identität feiern: „Qué vive el Caribe, libre!“ „Belleza“ berührt und hallt nach. Rosen Ferreira

Addison Rae
„Addison“
( Columbia Records / Sony Music )
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Vom TikTok-Star zum neuen Pop-It-Girl? Mit 19 Jahren begann Addison Rae ihre TikTok-Karriere, die wenige Jahre später in der fünftgrößten Followerschaft der App gipfeln sollte. Klassische Lip-Sync-Videos, Tänze und ein Aufenthalt im TikTok-Mansion „Hype House“ machten sie mit Anfang zwanzig zur Multimillionärin. Addison Raes Content zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass sie jeden Trend aufgriff und scheinbar unermüdlich und mehrmals täglich auf ihren Kanälen postete. Nach und nach kamen eine Beauty-Linie, eine Rolle in einem Netflix-Film und Musik dazu. Das Publikum wurde argwöhnischer: noch eine TikTokerin, die plötzlich einen Finger in jedem Bereich hat? Addisons erste Single floppte, ihre EP „AR“ wurde 2022 geleaked. Doch genau dieser Leak zog die Aufmerksamkeit von Charli xcx auf die Single „2 die 4“, die letztlich als Feature der beiden erschien. Mit dem gemeinsamen Remix von „von dutch“, inklusive Addison Raes ikonischen Schreis, zirkelte sie im Dunstkreis um Charli xcx. Imagewechsel pur quasi. Als also ihre Single „Diet Pepsi“ erschien, landete Addison nicht nur einen für viele überraschenden Billboard-Hit. Einen Push mehr bekam der Song durch Lana Del Rey, die eine Story auf Instagram hochlud, zu der sie zu „Diet Pepsi“ vibte. Produzentin Arca remixte Addisons darauf folgenden Song „Aquamarine“ gleich zu „Arcamarine“ um. Statt mit TikToker*innen wurde sie also auf einmal mit Pop- und Kritik-Darlings assoziiert. Und ähnlich wie im Marketing um „Brat“ von Charli xcx schafft auch Addison Rae eine eigene, immersive Welt um ihr Album: eine Mischung aus verträumtem It-Girl, Y2K-Melancholie, ätherischen Pop-Beats und dem Zelebrieren von Girlhood. Rosa iPods, dramatische Ausritte an den Stränden Islands, Neonklamotten und eine pinke Perücke zwinkern den späten 2000er-Jahren im Video zu „Headphones On“ zu. Neben ihren campy Performances streut Addison Rae hier und da scheinbar nebensächlich nahbare Zeilen ein („Wish my mom and dad could’ve been in love / Guess some things aren’t meant to last forever“). Und erinnert damit auch an die „Brat“-Formel aus hedonistischer Tanzbarkeit und einzelnen Tagebuchgeständnissen. Wenn sich Addison Rae solo auf den Rücksitz zu einer Diet Pepsi schwingt, dann liegt eine quirky sexiness darin, die nicht primär an den Male Gaze adressiert ist. Das diesjährige Popgirl-Album des Sommers? Statt leerer Genrehülle bleibt Addisons Raes Ansatz auch im Kern konsequent – sie schrieb an allen Songs mit und das Album wurde ausschließlich von Frauen produziert. Sophie Boche

BABYMETAL
„METAL FORTH“
( Capitol )
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Meddl, aber in kawaii: BABYMETAL bringen schon seit 2010 den eigentlich absurden Widerspruch zwischen Metal und J-Pop auf eine Bühne. Während Gatekeeper den „echten“ Metal-Sound in allen Social-Media-Kommentarspalten mit etwas zu viel Ernsthaftigkeit verteidigen, machen BABYMETAL einfach alles mit Augenzwinkern. Alben heißen „METAL GALAXY“, Songs „Sunset Kiss“, Refrains manchmal auch einfach „Ichi, Ni, San“ (eins, zwei, drei auf Japanisch). Aber: BABYMETAL sind keine Persiflage des Genres, sondern längst etabliertes Kulturgut in der Szene. Das zeigt auch dieses fünfte Album in Sound und Gästeliste. Electric Callboy liegen da als Feature für den Ballermann-Metal-Hit „RATATATA“ noch irgendwo auf der Hand. Aber nicht nur diese – übrigens nicht unproblematische – Band schaut vorbei, sondern auch Genregrößen wie Stray From The Path, Spiritbox und Tom Morello. Von 2000er-Crossover-Sound à la Limp Bizkit („KON! KON!“) über wirklich epische Breakdowns („My Queen“) bis zum Dragonforce-würdigen Speed-Metal-Finale „White Flame“ ist dieses Album das maximale Entertainmentpaket. Ergebnis: fünfzig Prozent Moshpit, fünfzig Prozent Idol-Choreografie. Su-Metal, Moametal und Momometal (so die Künstlerinnennamen der drei Sängerinnen) sind für die Szene ein großer Zugewinn – machen aber auch allen Spaß, deren Herzen eigentlich popaffin sind. Julia Köhler

Wet Leg
„Moisturizer“
( Domino )
Dass Rhian Teasdale und Hester Chambers als Wet Leg mit ihrem Debütalbum 2022 so raketenartig in den Rock-Olymp aufstiegen, hatte viel mit ihren frechen Songs und ihrer erfrischenden Sich-nicht-ernst-nehmen-Attitüde zu tun. Dass sie sich für das zweite Album „Moisturizer“ einem hippen Styling unterzogen haben, nimmt gefühlt etwas von der Egal-Haltung, die die beiden zuvor versprühten. Trotzdem rocken die Frauen von der Isle of Wight auf den neuen Songs immer noch genauso und präsentieren dröhnende Riffs, gesprochene Strophen mit scharfen lyrischen Pointen und ohrwurmartige Refrains. Das wird schon im Opening- Song „CPR“ deutlich, in dem Teasdale darüber sinniert, ob ihre Gefühle eher Liebe oder Suizid bedeuten. Die Frage, ob sie die CPR, also Herz-Lungen-Wiederbelebung, brauchen würde, wird passenderweise mit Sirenensounds und starken Gitarrenriffs unterlegt. Dass Wet Leg sich zudem von Horrorfilmen inspirieren ließen, hört man bei „Jennifer’s Body“. Hier singt Teasdale von einem hotten Partyflirt, der ihre queere Fantasie in Träumen und sexy Szenen beflügelt und sie an Megan Fox’ legendäre Hauptrolle im gleichnamigen Film erinnert. Auch Synthies kommen auf dem Album nicht zu kurz – „Pokemon“ z. B. ist eine poppige Nummer, in der Teasdale zur Abwechslung mal singt und die Band ihre Fühler in softere Genres ausstreckt. Lorina Speder

Sarah Connor
„Freigeistin“
( Polydor / Universal Music )
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Fast eine Stunde Sarah Connor: 17 Songs legt die Musikerin für ihr zehntes Studioalbum „Freigeistin“ vor und der Titel ist Programm. Denn musikalisch schwimmt Sarah mit keinem TikTok-Trend mit. Der Auftakt „Heut’ ist alles gut“ klingt bspw. wie Achtzigerjahre-Deutschrock. Seit zehn Jahren singt Sarah nun in ihrer Muttersprache – doch das Problem, dass Deutschpop immer ein bisschen cringe ist, schwingt leider auch im Opener mit. „Alle wollen ins Retreat, alle brauchen Therapie“ klingt, als würde sie sich darüber amüsieren, samt Boomer-Diss gegen „am Handy hängen“. Doch sie kann nicht nur strahlen, sie fährt die Mittelfinger aus. Die erste Singleauskopplung „Ficka“ nämlich hat in den Strophen ihre Kommentarspalten zusammengefasst. Im Refrain möchte sie sich gegen Onlinemeinungen behaupten und sich die Welt, frei nach Freigeistin-Kollegin Pippi Langstrumpf, machen, wie sie ihr gefällt. Während der Opener die Lage der Welt auf die leichte Schulter nimmt, zerbricht sie im finalen Song gar daran. Dieser klingt wie eine Disney-Ballade, schwer und melancholisch. Auch Pippi ist mal traurig. Simone Bauer

Majur
„Gira Mundo“
( Universal Music )
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Auf dem Cover ihres dritten Albums „Gira Mundo“ trägt die brasilianische Sängerin Majur eine Schüssel mit lodernden Flammen über dem Kopf und ist umrundet von sechs Personen mit Atabaque-Trommeln. Beides sind zentrale Elemente der afrobrasilianischen Candomblé-Religion, die den Klang des Albums prägt. Jeder der 16 Songs ist auf Yoruba gesungen und nach einer Orixá, Candomblé-Gottheiten, benannt. Candomblé hat seine Wurzeln in westafrikanischen Yoruba-Traditionen, die als Resultat der Verschleppung und Versklavung von Millionen Menschen aus Afrika nach Brasilien gelangten. Mit ihrer Musik macht Majur, die eine wichtige Stimme für Schwarze trans Frauen in Brasilien ist, auf den historischen Kontext aufmerksam und betont, dass Candomblé auch ein Akt des Widerstands ist. Im Vergleich zu den vorherigen Veröffentlichungen „Ojunifé“ (2021) und „ARRISCA“ (2023) orientiert sich „Gira Mundo“ stärker an akustischen Klängen. Majurs Stimme, ein Call-and-Response-Chor und rhythmische Trommeln sind die tragenden Elemente. An einigen Stellen, wie auf dem Aufmacher „BARÁ“, leiten warme Klaviertöne eine Melodie ein. Im Song „Yemanjá“, der Göttin des Ozeans gewidmet, mischt sich sanftes Meerrauschen unter die Musik und im letzten Song, „Oxalá“, wird Majur in orchestrierten Abschnitten von Bläsern begleitet. Diese Mischung aus traditionellen und kontemporären Stilen bezeichnet Majur als „Afropop“. Auf „Gira Mundo“ schafft sie es, jedem Lied einen eigenen und dennoch im Klangprofil des Albums verwurzelten Charakter zu verleihen. Ilo Toerkell

Lijadu Sisters
„Danger“
( Cargo Records )
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Die 1960er-Jahre standen auch in Nigeria, das 1960 seine Unabhängigkeit erlangte, für Veränderung und Aufbruch – doch auf die britische Kolonialherrschaft folgten politische Instabilität und ein verheerender Bürgerkrieg. 1976 veröffentlichten die Zwillingsschwestern Yeye Taiwo Lijadu und Kehinde Lijadu als Lijadu Sisters ihr einflussreiches Debütalbum „Danger“ und schrieben sich als Pionierinnen in die männlich dominierte nigerianische Musikgeschichte ein. Im Laufe ihrer Karriere mussten sie sich als Schwarze Frauen immer wieder gegen Diskriminierung und Verletzungen ihres Urheberrechts zur Wehr setzen. Gemeinsam mit dem Archiv-Plattenlabel Numero Group veröffentlicht Yeye Taiwo Lijadu nun das fünf Alben umfassende Werk des Duos neu – selbstbestimmt und in Erinnerung an ihre Schwester Kehinde, die 2019 verstorben ist. Ihre energiegeladene Mischung aus Afrobeat, Psychedelic-Rock, Reggae, Funk und Soul auf „Danger“ springt den Hörer*innen förmlich ins Ohr. Die Themen der sechs Songs umfassenden LP bleiben aktuell: Umrahmt von einer mitreißend experimentierfreudigen Musikkulisse singen die Sisters von schwierigen Liebesbeziehungen, von korrupten Politikern und Kinderarmut, vom Wunsch nach Revolution und dem Kampf gegen die Hoffnungslosigkeit. „Danger“ ist ein musikalisches Manifest, das heute noch genauso kraftvoll und wagemutig klingt wie Garage: „Disiniblud“ ist ein Album, das dem Alltag ein bisschen Magie zurückgibt. Alisa Fäh

Phew, Erika Kobayashi, Dieter Moebius
„Radium Girls“
( Bureau B )
VÖ: 08.08.
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Als die Arbeiterinnen der United States Radium Factory 1917 in New Jersey die Ziffernblätter von Armbanduhren händisch mit im Dunkeln leuchtender Farbe bemalen, ahnen sie nicht, dass sie durch das enthaltene Radium schwere Strahlenschäden erleiden werden – viele von ihnen erkranken in der Folge schwer oder tödlich. 2011, während sich die Reaktorkatastrophe von Fukushima zuträgt, erinnern sich die Musikerin Phew und die Künstlerin Erika Kobayashi an die sogenannten Radium Girls und setzen ihnen gemeinsam mit Elektronik-Pionier Dieter Moebius ein Andenken: Das Album erscheint erstmals 2012 unter dem Namen „Radium Girls 2011“ und enthält zwölf Stücke. Die erste Hälfte beschäftigt sich mit den Fabrikarbeiterinnen und vollzieht die Klangwelten von Fabrik und Uhrwerk nach. Darüber werden kühl und spukhaft teils japanische, teils englische Texte gesprochen. Der zweite Teil des Albums befasst sich mit dem „Manhattan-Projekt“, dem geheimen US-Forschungsprogramm zur Entwicklung der Atombombe im Zweiten Weltkrieg. Hier nehmen die elektronischen Arrangements einen wabernden, bedrohlicheren Charakter an, der zum Teil an eine unheilschwangere Version von Kraftwerks „Tour de France“ erinnert. Für zugewandte Hörer*innen ist dieses Konzeptalbum ein komplexer Genuss. Das Hamburger Label Bureau B veröffentlicht es zum achtzigsten Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum ersten Mal digital und auf Vinyl. Linus Misera

The Red Flags
„Self-Centred and Delusional“
( Audiolith )
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Green Flag für Punk- und Grunge-Mäuse: Mit ihrem Debütalbum „Self-Centered and Delusional“ bieten The Red Flags fünfzig Prozent Reibungsfläche und fünfzig Prozent Melodien. Diese Platte klingt dabei aber weder nach rotzigem LoFi-Punk noch nach Auftritten in Schulaulen, sondern topproduziert. Zum einen liegt das sicher an den vielen Erfahrungen durch die Support-Touren für Größen wie Turbostaat und Tocotronic, zum anderen aber auch an dem gefeierten Produzenten Moses Schneider. Eine stabile Grundlage, auf der The Red Flags jetzt knarrenden Punk spielen. Im Gegensatz zu feministischen Szenekolleginnen wie Deutsche Laichen oder Rauchen verzichten The Red Flags jedoch auf radikale Kläfferattitüde. Es gibt zwar Amyl-and-the-Sniffers-Gedächtnisriffs („Red Gauloises“) und wütende Angriffsstellung („Pacify“), dafür aber auch ruhigen Emo-Sound mit entsprechenden Texten („I’m Just A Kid“) und sogar einen siebenminütigen Closer mit leichten Synthies und Weltraumthema („Solar System“). Polly am Mikro verfügt über ein deutlich melodischeres Timbre als der Punk-Durchschnitt. Von der Suche nach dem eigenen Platz in einer kaputten Welt über die Bloßstellung konservativer Strukturen bis zum ausbaufähigen Dating-Verhalten von Hetero-Cis-Mackern gibt es in diesem Sound das 1×1 von Feminismus zu hören. Julia Köhler

Miley Cyrus
„Something Beautiful“
( RCA/Columbia )
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Miley did it again! Mit „Something Beautiful“ gelingt Miley Cyrus das bislang reifste und harmonischste Werk ihrer Karriere. Es zeigt, dass sie nach Jahren künstlerischer Selbstsuche und stilistischer Experimente angekommen scheint. Mutig, persönlich und zugleich musikalisch konsistent. Die ersten Tracks – „Prelude“, „Something Beautiful“ und „End Of The World“ – setzen den Ton: dichte, gefühlvolle Produktionen. Alles getragen von Cyrus’ charakterstarker Stimme. „Something Beautiful“ arbeitet sich ab an Verlust, Heilung, Selbstwert und der Suche nach Liebe und das ohne einfache Antworten zu finden. Miley zeigt wieder ihre verletzliche Seite und das auf eine berührende Art und Weise. Ihre Stimme ist aber auch stärker denn je – nuanciert, präsent, emotional auf den Punkt. Ob leise auf „More To Lose“ oder ekstatisch auf „Reborn“: Die Produktion ist einfach on point. Auch die Features lassen sich hören– wie Brittany Howard auf „Walk Of Fame“ oder Naomi Campbell. Klingt wie ein PR-Stunt, ist aber ein atmosphärischer Geniestreich. Campbells Sprechpart im Breakdown wirkt fast geisterhaft – ihre Stimme schwebt über düsteren Streichern und schrägen Vocal-Harmonien und verleiht dem Track eine surreale, fast theatralische Spannung. Das Album ist ein Beweis dafür, dass Miley musikalisch angekommen ist. Und dass ihre musikalischen Persönlichkeiten perfekt harmonieren. Abena Appiah

Kali Uchis
„Sincerely,“
( Capitol Records )
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Auf ihrem fünften Album vereint die US-amerikanisch-kolumbianische Künstlerin R’n’B, Soul, Dream-Pop und Doo-wop zu einem nostalgisch-zeitlosen Sound, der sich wie ein warmer Rückzugsort anfühlt. Mit lebensverändernden Ereignissen wie der Geburt ihres Kindes und dem Tod ihrer Mutter im letzten Jahr verarbeitet sie in „ILYSMIH“ das Wunder der Mutterschaft, während zugleich ihr Verlust mitschwingt. Musikalisch erinnert „Heaven Is A Home“ an Lana Del Rey und „All I Can Say“ an die Everly Brothers: verträumter Gitarrensound mit Retro-Flair à la 1950er-Jahre, als die Welt vermeintlich noch in Ordnung war. Doch Uchis kontrastiert die heile Klangwelt mit Themen wie Selbstbehauptung („Territorial“), Kontrollverlust („Lose My Cool“) und haucht in „Silk Lingerie“: „How did you fall for someone / complicated and flawed as me?“ Selbstzweifel und Vulnerabilität werden einer gefühlskalten Gesellschaft gegenübergestellt, die sie ablehnt: „Cause something about this society’s all wrong.“ Die Leadsingle „Sunshine & Rain …“ bringt den Spirit dieser Ambivalenz locker und verspielt auf den Punkt. Auch wenn sich die Songs klanglich oft zu sehr ähneln, gelingt Kali Uchis mit „Sincerely,“ ein liebevoller Gegenentwurf zu hypersexualisiertem Pop. Sie feiert Sensibilität, menschliche Imperfektion und motiviert uns, unsere Gefühle mit Stolz nach außen zu tragen. Carina Scherer
Diese Texte erschienen zuerst in Missy 04/25.