Die unerforschte Krankheit PMDS
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Tag 18. Die Schwere beginnt, in meinen Körper zu kriechen. Meine Gedanken werden umhüllt von einem dunklen Schleier, der es mir schwer macht, Schönes zu sehen. Verabredungen, auf die ich mich eigentlich gefreut habe, fühlen sich an wie Verpflichtungen. Das Aufstehen wird jeden Tag anstrengender. Zweite Zyklushälfte – here we go! Der letzte Zyklus war Horror, aber neuer Zyklus, neues Glück! Monat für Monat das gleiche Spiel: Wie lange gelingt es mir, meinen Ich-bin-gut-zu-mir-Modus aufrechtzuerhalten? Was genau da passiert, jeden Zyklus in meinem Körper, ist in der medizinischen Forschung bis heute nicht ganz geklärt.
Ich habe PMDS, kurz für Prämenstruelle Dysphorische Störung. Bekannt ist, dass das Gehirn von Menschen mit PMDS verändert auf die Hormonschwankungen während des Zyklus reagiert. Mein Leben ist unterteilt in zwei Hälften. Der Eisprung markiert den Turning Point: Innerhalb weniger Stunden verändert sich nicht nur mein Körper, sondern auch meine Psyche komplett. Mein Alltag, meine Gedankenprozesse, meine Wahrnehmung und meine Verhaltensweisen in den zwei Phasen haben nicht viel miteinander zu tun. Für mich bedeutet das Leben mit der chronischen Krankheit einen Spagat zwischen zwei Teilen, die ich lange als zwei voneinander getrennte Versionen von mir betrachtet habe.
Bei Menschen mit PMDS bewirkt der Eisprung einen rapiden Abfall des Glückshormons Serotonin im Gehirn. Außerdem werden Reize aufgrund hormoneller Wechselwirkungsprozesse weniger gefiltert. Konkret bedeutet das: depressive Zustände, plötzlicher Energieverlust, Desinteresse an alltäglichen Aktivitäten und solchen, die sonst Freude bereiten, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Sensibilität für äußere sensorische und innere emotionale Reize. Die zweite Zyklushälfte bedeutet auch: Schlafstörungen, Brust- und Gelenkschmerzen, Gewichtszunahme. Diese Symptome sind bei jeder Person unterschiedlich ausgeprägt. Zusammengefasst bedeutet PMDS massiven Stress für Psyche und Körper und macht die berufliche und private Lebensorganisation extrem kompliziert.
PMDS ist verbunden mit Scham. Auch wenn ich mittlerweile versuche, beide Teile zu einem Ganzen zusammenzufügen, ist jede Beziehung ein Prozess der Demaskierung: Wann kann ich meine zweite Seite zeigen? Soll ich weiter Tage zählen, meine Reisen, Arbeitstermine, Beziehungen nach meinem Zyklus planen oder soll ich mal wieder versuchen, das bedrohliche Ansteigen der Zyklus-Tage-Nummer auszublenden? Ich muss in der ersten Zyklushälfte wachsen, besser werden, um dann vorbereitet und innerlich gestählt in die zweite Hälfte zu starten.
Seit 2022 taucht PMDS in der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-11) der WHO auf. Obwohl die chronische Krankheit neurologische Ursachen hat, ist sie in der Kategorie der gynäkologischen Erkrankungen gelistet. Schätzungen zufolge sind circa drei bis acht Prozent der Personen im gebärfähigen Alter davon betroffen, etwa ein Drittel von ihnen unternimmt irgendwann einen Suizidversuch und trotzdem ist PMDS auch in fachärztlichen Kreisen weitgehend unbekannt. Aufgrund des breiten Symptomspektrums und der fehlenden Sichtbarkeit wird PMDS bis heute häufig als bipolare Störung, Borderline oder Angststörung fehldiagnostiziert. Der einzige Weg zu einer Diagnose ist das tägliche Nachverfolgen der Symptome über mindestens zwei Menstruationszyklen hinweg. Wenig hilfreich ist dabei, dass Fragen zum Zyklus in Anamnesebögen nur im Zusammenhang mit Schwangerschaft vorkommen und menstruierende Körper in Arztpraxen häufig immer noch nicht ernst genommen werden. Meine Lieblingsreaktion eines Arztes: „PMDS ist eine Erfindung der Psychotherapie!“
Auf die Existenz von PMDS bin ich erstmals 2020 während des ersten Corona-Lockdowns gestoßen. Dem Fund gingen jahrelange Onlinerecherchen zum Thema PMS voraus. Was den Diagnoseweg angeht, hatte ich so etwas wie Glück: Körperlicher Schmerz ist leichter zu greifen und einzuordnen als psychischer, und meine körperlichen Symptome sind so stark, dass ich sie schnell mit meinem Eisprung in Verbindung bringen konnte. Sie funktionieren für mich heute wie ein Korrektiv und helfen mir, meine psychischen Zustände einzuschätzen.
Die Behandlung von PMDS zielt bislang darauf ab, die Symptome zu lindern. Betroffene sollen verschiedene Ansätze ausprobieren und kombinieren: kein Alkohol, viel Sport, keine Zigaretten, Verhaltenstherapie, Ernährungsumstellung, tiefenpsychologische Therapie, Pille ja, Nahrungsergänzungsmittel, Pille nein, Hormonersatztherapie, Stressreduktion, Antidepressiva. Als letzte Maßnahme bleibt die künstlich herbeigeführte Menopause oder die Durchführung einer Ovariektomie und Hysterektomie. Mix and match as you like it!
Die genauen Ursachen für PMDS sind nicht bekannt, die Forschung zu nicht-cismännlichen Körpern wird weiterhin vernachlässigt und zu wenig finanziert. In „Cycles, The Sacred And The Doomed“ beschreibt Morgane Billuart, Filmemacherin, Schriftstellerin und selbst PMDS-Betroffene, die Krankheit als Symbol für den Umgang mit dem menstruierenden Körper in Gesellschaft, Medizin und Öffentlichkeit. Da Studien auf eine klare Verbindung zwischen Diskriminierung, Trauma, Armut, Anpassungsdruck und dem Auftreten von PMDS hinweisen, verknüpft sie PMDS mit den Standards des kapitalistischen Patriarchats. Billuart beschreibt, wie menstruierende Körper im Alltag versuchen, optimal zu performen und dabei jegliche Schmerzen zu verstecken. Um täglich gleich leistungsfähig zu sein. Um nicht diskriminiert, nicht verurteilt zu werden. Um ja nicht einem Klischee der „weiblichen Schwäche“ zu entsprechen.
PMDS steckt voller Ambivalenzen und Widersprüche. Ich muss lernen, sie auszuhalten und zu akzeptieren. Einerseits wünsche ich mir, „normal“ zu sein, andererseits begreife ich „Normalität“ als Konstrukt, das ich ablehne. Ich wünsche mir einen gesunden Normkörper, gleichzeitig lerne ich, die Abweichung als Chance zu begreifen. Therapien bauen darauf auf, die zweite Hälfte zu akzeptieren, zu integrieren, sie zu umarmen, das Positive darin zu finden. Manchmal fühlt sich das an wie blanker Hohn und ich betrauere die Zeit, die PMDS mir nimmt.
Das Nachdenken über meine chronische Krankheit ist für mich immer begleitet von Wut, mein gesamter Blick auf soziale Strukturen geprägt durch PMDS. Trost finde ich in der Queer Theory, die die Interaktion von Körper, Psyche, Hormonen und Gesellschaft jenseits normativer Erfahrungsdimensionen dekonstruiert, und ich wünsche mir, dass der Körper schwach und verletzlich sein darf, schmerzen darf und trotzdem ein emanzipierter Körper ist.
Informationen für Betroffene: pmds-hilfe.de
Dieser Text erschien zuerst in Missy 06/25.