Filmtipps 06/25
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Sauna
Johan (Magnus Juhl Andersen) arbeitet im Adonis, dem schwulen Saunaclub Kopenhagens, geht auf Partys und hat One-Night-Stands. Seine Freund*innen genießen dieses Leben, Johan hingegen sehnt sich nach echter Nähe. Die findet er eines Abends bei William (Nina Rask), einem jungen trans Mann. Nach anfänglichem Zögern beginnen die beiden eine vorsichtige Liebesbeziehung, die allerdings sehr schnell an der Ablehnung von Johans Umfeld zu zerbrechen droht. Doch Johan gibt nicht auf und riskiert einiges, um mit William zusammen sein zu können.
Was nach der Grundlage für einen empowernden Liebesfilm klingt, ist leider eine sehr langatmige Suche eines weißen cis Mannes nach sich selbst. Johan steht die gesamte Zeit des Filmes im Mittelpunkt – selbst, wenn es um William geht. Über dessen Gefühlswelt und Situation erfährt man nur ausschnittsweise etwas und auch nur in Relation zu Johan. Oft scheint William eher ein Nebendarsteller zu sein, um Johans hinter Verlorenheit versteckter Lappenhaftigkeit Raum zu geben. Wo die Romanvorlage von Mads Ananda Lodahl noch politisch, eventuell gar radikal gelesen werden kann, ist die Verfilmung ein seichtes Jammern mit normschönen Körpern vor hipper Kulisse. Und auch wenn der Film mit trans Darsteller*innen gedreht wurde, so erzählt er vor allem die cis Perspektive. Und die ist hier ziemlich abgelutscht. Avan Weis
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„Sauna“ DK 2025 ( Regie: Mathias Broe. Mit Magnus Juhl Andersen, Nina Rask u. a., 105 Min., Start: 20.11. )

Die, My Love
Grace (Jennifer Lawrence) ist mit ihrem Partner Jackson (Robert Pattinson) in die Einöde irgendwo in den USA gezogen. Sie bekommen ein Kind, er arbeitet viel auf Montage, sie will einen Roman schreiben. Als er eines Nachts fasziniert den Sternenhimmel bewundert, vermag sie dort nur Leere zu entdecken. Grace ist nicht solo im Universum, es fühlt sich aber für sie so an. Ihre Frustration im Alltag allein mit einem Kleinkind, ihr Drang nach Freiheit und der Wunsch nach sexueller Befriedigung schwellen immer weiter an, bis sie explodiert. „Die, My Love“ wird oft als Film über postpartale Depression beschrieben. Dabei ist es nicht die emotionale Bindung zu ihrem Kind, sondern die Erwartungen an sie als Mutter und Partnerin, die Grace zunehmend frustrieren und isolieren. Lawrence spielt sie als zunehmend unberechenbare Naturgewalt, die nicht immer sympathisch oder nachvollziehbar agiert, womit die schottische Regisseurin Lynne Ramsay („We Need To Talk About Kevin“) ihrem Faible für ambivalente Protagonist*innen treu bleibt. In Kombination mit der experimentellen Bildsprache, schwarzem Humor und einer achronologischen Erzählweise, die die Unterscheidung zwischen filmischer Realität und Graces Fantasie erschwert, wird „Die, My Love“ zu einem nicht immer leicht zu mögenden, herausfordernden Film, der uns aber mit einer der komplexesten Frauenfiguren des Kinojahres belohnt. Maxi Braun
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„Die, My Love“ GB/USA 2025 ( Regie: Lynne Ramsay. Mit Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, Sissy Spacek, Nick Nolte u. a., 118 Min., Start: 13.11. )

When Lightning Flashes Over The Sea
Musik trägt durch den Film; eine behutsam beobachtende Kamera und die Worte jener, die vor ihr sitzen. Eva Neymann, geboren 1974 in Saporischschja, porträtiert die Bewohner*innen Odessas während des Krieges in der Ukraine. Ihr Dokumentarfilm verweigert sich einem voyeuristischen Blick auf Trümmer und Trauma; selten ist die Hafenstadt am Schwarzen Meer zu sehen. Manchmal wird eine Straßenszene eingefangen, durch Türen und Fenster gefilmt, eingetaucht in Melancholie. Gespräche mit jenen Menschen, die in Odessa zu Hause sind, bilden aufeinanderfolgende Sequenzen. Sie erzählen davon, was sie träumen, in der Nacht, wenn die Erinnerung aufwühlender ist als die Sirenen. Eine Frau spricht über ihren Sohn – „mein einziges Kind“, sagt sie –, der nun an der Front kämpft. Eine andere erinnert sich an den Krieg ihrer Kindheit – an den Genozid, den sie als Jüdin überlebte und ihre Schwester nicht. „Das Wichtigste ist das Leben“, sagt sie. Ein älterer Mann erinnert sich an den letzten Besuch seiner Kinder; wie schön das war. Die Kamera bleibt nah und verweilt in langen Einstellungen. „When Lightning Flashes Over The Sea“ bleibt im Gedächtnis als ein Film, der seinen Protagonist*innen einfühlsam begegnet und sie in ihrer Menschlichkeit zeigt – mit einem tiefen Schmerz, begleitet von Hoffnung und Alltäglichkeit. Merle Groneweg
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„When Lightning Flashes Over The Sea“ DE/UKR 2025
( Regie: Eva Neymann. 124 Min., Start: 20.11. )

15 Liebesbeweise
Paris, 2014. Nadia (Monia Chokri) und Céline (Ella Rumpf) erwarten ein Baby. Céline als nicht-gebärendem Elternteil ist es zwar möglich, das Kind nachträglich zu adoptieren, allerdings muss sie dafür ein mühsames juristisches Verfahren durchlaufen: 15 Zeug*innenaussagen von Angehörigen soll sie nach der Geburt einholen, die beweisen, dass sie eine gute Mutter ist. Z. B. von ihrer eigenen Mutter, einer berühmten Pianistin, die in ihrer Kindheit meist abwesend war und zu der sie ein kompliziertes Verhältnis hat. Zwischen humorvollen Situationen wird immer wieder schmerzhaft deutlich, wie sehr die beiden als lesbisches Paar um die Anerkennung ihrer Mutterschaft kämpfen müssen. Nicht nur gegen offensichtlich homofeindliche Attacken, auch im Gespräch mit vermeintlich progressiven Freund*innen sehen sie sich ständig mit übergriffigen Fragen konfrontiert. „Von dir wird mehr verlangt als von anderen Müttern“, bringt es ein Freund auf den Punkt. Einfühlsam und intelligent widmet sich der Film dem Komplex Mutterschaft. Eine seiner großen Stärken ist es, den Protagonistinnen Fehler zuzugestehen. Sie sind nicht perfekt, und auch ihre Beziehung ist es nicht. Das ist auch nicht nötig, um ihre Liebe zueinander und zum Kind zu erkennen – was die Absurdität des entwürdigenden Prozesses beweist. Emma Rotermund
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„15 Liebesbeweise“ FR 2025 ( Regie: Alice Douard. Mit Monia Chokri, Ella Rumpf, Noémi Lvovsky u. a., 97 Min., Start: 04.12. )

Paternal Leave – Drei Tage Meer
Vom Ufer des Po-Deltas an der norditalienischen Adriaküste beobachten Paolo (Luca Marinelli) und Leo (Juli Grabenhenrich) eine Flamingokolonie. „Wusstest du, dass Flamingos auf einem Bein stehen, um sich warm zu halten?“, fragt Paolo, um das Gespräch zu starten. „Wusstest du, dass Flamingos Superväter sind? Die Eltern teilen sich alles 50:50“, kontert Leo.
Erst vor wenigen Stunden tauchte Leo in Paolos Strandbar auf. Die 15-Jährige reiste allein aus Deutschland an, um den Vater kennenzulernen, der nach ihrer Geburt verschwand. Sie trifft auf einen etwa vierzigjährigen Mann, der in einem Camper lebt, als Surflehrer jobbt und inzwischen eine jüngere Tochter hat, mit der er es richtig machen will – ein Stich ins Herz für Leo. Denn die sehnt sich nach Nähe und ist zugleich wütend, während Paolo überfordert auf sie reagiert. Dass sie auf Englisch sprechen müssen, entfremdet sie zusätzlich.
In ihrem Langfilm-Regiedebüt „Paternal Leave“ inszeniert Alissa Jung die Begegnung zwischen einer Tochter, die längst erwachsen werden musste, und einem Vater, der es noch nicht ist. Dass zögerliche Annäherungen immer wieder in impulsive Abwendungen kippen, berührt und schmerzt. Ein Film, der Familientraumata nicht romantisiert und keine einfachen Urteile fällt – getragen vom intensiven Soundtrack von Kae Tempest und der rauen Kulisse von Marina Romea im Winter, fern jedem Italienurlaub-Klischee. Gloria Reményi
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„Paternal Leave – Drei Tage Meer“ DE/IT 2025 ( Regie: Alissa Jung. Mit Juli Grabenhenrich, Luca Marinelli u. a., 103 Min., Start: 27.11. )

Im Osten was Neues
„Wir sind ein Team – wir halten zusammen, ob wir verlieren oder gewinnen“, erklärt Thomas Eichstätt seinen Jungs. Eichi, einst in der rechten Szene, trainiert heute ein Team von Geflüchteten. Die Doku „Im Osten was Neues“ begleitet ihn und seine Spieler durch ihren Alltag in Torgelow, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern – zwischen Turnieren, Familienleben, Jahrmarktspaß, Alltagsrassismus, tätlichen Übergriffen, Ämterärger und Hoffnung auf Ankommen. Viele Dialoge wirken gestellt, doch das Echte wirkt dennoch nach. Eichi organisiert, tröstet und reflektiert über seine Vergangenheit mit Bomberjacke, Alkohol und Gewalt: „Man hat sich halt verbunden gefühlt, man hat halt mitgemacht. Dann war es irgendwann zu spät zu sagen: Ist nicht mehr.“ Während ihrer ersten Schwangerschaft, erinnert sich seine Frau vor der Kamera, stellte sie ihn vor die Wahl: rechte Szene oder Familie. Er entschied sich für sie – und einen Neuanfang ohne Alkohol und Gewalt. Bereut hat er den nie, trotz Drohungen alter Freunde. Man merkt: Seine Jungs sind ihm ans Herz gewachsen – für ihn sind sie genauso Familie wie die eigenen fünf Kinder. Auch für die Spieler ist der einstige Rechte eine Vaterfigur. Der Film zeigt, wie Begegnung Vorurteile abbaut – und wirft Fragen auf wie: Warum bleibt Integrationsarbeit Ehrenamt – unbezahlt, privat, prekär? Eva-Lena Lörzer
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„Im Osten was Neues“ DE 2025 ( Regie: Loraine Blumenthal. 82 Min., Start: 13.11. )

Lolita lesen in Teheran
„Lasst uns sehen, ob das Lesen von ‚Lolita‘ in Teheran uns hilft, uns zu wehren“, sagt die iranische Literaturprofessorin Azar Nafisi (Golshifteh Farahani) zu ihrem geheimen Lesezirkel, bestehend aus sechs Frauen, die verbotene westliche Literatur studieren. In dem Film, der auf Azar Nafisis Memoiren beruht, setzt der israelische Regisseur Eran Riklis in Szene, wie Azar voller Hoffnung mit ihrem Ehemann Bijan 1979 zurück aus den USA in den Iran kommt. Doch die Hoffnung wird schnell getrübt. Wir begleiten ihre Geschichte bis ins Jahr 2003 hin zur Desillusionierung und schließlich zum Entschluss, den Iran wieder zu verlassen. Gezeigt wird, wie das Regime mit schärferen Gesetzen wie der Hijab-Pflicht für Frauen immer autoritärer wird, wie willkürliche Folter, Vergewaltigung und Ermordungen im Gefängnis zur Normalität werden. Doch der Film ermöglicht auch einen Blick darauf, wie die Menschen sich trotzdem widersetzen. Es bleibt aber die Frage offen, inwiefern Menschen im Iran etwa verbotene westliche Bücher in der Öffentlichkeit tauschen können. Bei ihren Geheimtreffen begrüßt Azar jede Ankommende auffällig und lässt die Tür weit offen stehen, während die Frauen sich ihrer Hijabs entledigen; eine Frau legt schon im Treppenhaus ihren Hijab ab und steckt sich Kreolen an die Ohren. Katrin Börsch
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„Lolita lesen in Teheran“ IT/ISR 2024 ( Regie: Eran Riklis. Mit Golshifteh Farahani, Zar Amir Ebrahimi, Mina Kavani, Reza Diako u. a., 108 Min., Start: 20.11. )

Sorry, Baby
CW: Vergewaltigung
Agnes (Eva Victor) und ihre beste Freundin Lydie (brillant: Naomi Ackie) studieren Englisch an der rauen Küste von Massachusetts und schreiben gerade ihre Abschlussarbeiten, als die Vergewaltigung durch einen Professor Agnes’ Leben verändert. Zum Glück ist Lydie so gut für sie da, wie man es als Freundin nur sein kann. Aber die Zeit bleibt für beide nicht stehen, und zurückdrehen kann man sie ja leider auch nicht.
In nicht-chronologischer Reihenfolge widmet sich der Film Agnes und ihrem Überleben. Neben der sachlichen Kamera, die gelegentlich subtile Horrorstilmittel verwendet, um Agnes’ Innenwelt zu zeigen, stechen die smarten Dialoge dabei besonders hervor, die oft ins Schwarze treffen und dem Sujet zum Trotz auch noch wahnsinnig lustig sind. So rund und stimmig fühlt sich „Sorry, Baby“ an, dass man am Ende fast schon darüber verdutzt ist.
Denn Eva Victors Spielfilmdebüt ist wie das Kätzchen, das Hauptfigur Agnes auf der Straße findet, das Hunger hat, geliebt werden möchte und auch sehr leicht zu lieben ist. Wenige Filme haben sich seit #MeToo so effektiv mit sexualisierter Gewalt auseinandergesetzt, und das, ganz ohne den Übergriff selbst zu zeigen. Gerade deshalb gehört die minimalistisch inszenierte Sequenz rund um „The Bad Thing“ zu den eindrücklichsten Kinomomenten 2025. Drehbuchautorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin Eva Victor zeigt mit diesem Film, dass man sie auf dem Schirm haben sollte. Eva Szulkowski
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„Sorry, Baby“ USA 2025 ( Regie: Eva Victor. Mit Eva Victor, Naomi Ackie, Lucas Hedges, Louis Cancelmi, E. R. Fightmaster u. a., 103 Min., Start: 18.12. )

Ohne Chefs – Demokratie bei der Arbeit
Wir müssen alle mehr arbeiten, weniger krank sein und später in Rente gehen. Alles für das Wachstum. Die aktuelle Regierung stellt unsere Art zu wirtschaften gerne als alternativlos dar – und ökonomische Krisen als Folge vermeintlicher Faulheit. „Ohne Chefs“ verwehrt sich diesem Narrativ und zeigt, was passiert, wenn in einem Unternehmen niemand das letzte Wort hat, niemand Übergewinne einfährt und keiner Löhne kürzt, um sich einen besseren Firmenwagen zu leisten. Dafür nimmt der Dokumentarfilm deutschlandweit vier Kollektivbetriebe in den Blick, die ohne Führungsposition auskommen. Ihre gemeinsame Vision: eine Arbeitswelt, in der das Ertragsziel an der Wohlfühlgrenze seiner Mitarbeitenden ausgerichtet wird statt an Gewinnmaximierung. Eine Art letzte Bastion gegen Bullshit-Jobs, chronischen Stress und die Unvereinbarkeit von Job und Familie. Dabei wird klar: So ein Arbeiten ohne Chefs bedeutet nicht, sich vor Arbeit zu drücken. Denn wo alle am Betrieb beteiligt sind, herrscht nicht nur umfassendes Mitbestimmungsrecht, sondern auch umfassende Eigenverantwortlichkeit. Einen Wermutstropfen hat diese glänzende Utopie dennoch: dass Friedrich Merz, Jens Spahn und Co. diesen Film vermutlich nie sehen werden. Katharina Walser
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„Ohne Chefs – Demokratie bei der Arbeit“ DE 2025 ( Regie: Mario Burbach. 52 Min. )
Dieser Text erschien zuerst in Missy 06/25.
