Hä? Was heißt denn Copaganda?
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Unser Glossar gegen die Panik vor Wörtern. Diesmal: Copaganda
Vorweg: Ich habe mir echt viel Copaganda reingezogen, damit ihr es nicht machen müsst – obwohl viele von euch das sicher unweigerlich selbst schon getan haben. Denn ihr ist im deutschen Fernsehen kaum zu entfliehen. Der „Tatort“ ist der deutsche Klassiker, wenn es darum geht, das Wirken der Polizei für ein breites Publikum auffallend positiv darzustellen. Er ist seit Jahrzehnten eines der erfolgreichsten TV-Formate überhaupt und erreicht weiterhin Millionen Zuschauer*innen. Allgemein ist das Genre im Fernsehen allgegenwärtig: „Der Bulle von Tölz“ oder „Die Rosenheim-Cops“, „Alarm für Cobra 11“ oder „Kommissar Rex“.
„Copaganda“ ist ein aktivistischer Begriff aus der abolitionistischen Bewegung in den USA, der mittlerweile auch im akademischen Diskurs genutzt wird. Er setzt sich aus den englischen Wörtern „Cop“ (für Polizist*in) und „Propaganda“ (manipulierende Darstellung und Verbreitung einer Sache) zusammen. Das Kofferwort beschreibt generell die wohlwollende Abbildung der Sicherheitsbehörden und -politik in der Öffentlichkeit, sowohl von der Polizei selbst ausgehend als auch in den Medien und in Unterhaltungsprodukten. Der Begriff wird in erster Linie genutzt, um die romantisierte Darstellung der Polizei vor allem in jenen Kulturproduktionen zu beschreiben, die von sehr vielen Menschen konsumiert werden: Filme, Serien oder Literatur. Im Vormittagsprogramm im deutschen Privatfernsehen laufen z. B. Scripted-Reality-Formate mit Polizist*innen in den Hauptrollen – die routiniert geltende Gesetze brechen. Sie stürmen Wohnungen ohne Durchsuchungsbefehl oder Gefahrenlagen, beschlagnahmen willkürlich Handys oder öffnen unbefugt Briefe. Studien zeigen, dass ein Großteil des Publikums diese problematischen Darstellungen in fiktionalen Formaten als normal betrachtet.
Auch die weitverbreiteten True-Crime-Podcasts und andere Dokuformate fallen unter die Kategorie Copaganda: Sie begleiten echte Polizist*innen; die redaktionelle Bearbeitung des Stoffes wirft oft ein verdächtig positives Licht auf die Beamt*innen. So bedingen sich polizeiliche Selbstdarstellung und Copaganda-Blick von außen wechselseitig. Insbesondere durch äußerst polizeifreundliche bishörige Berichterstattung in klassischen Medienhäusern übt die Copaganda direkten Einfluss auf konkrete Fälle von Polizeigewalt aus, indem Fakten verdreht werden und die Polizei als sogenannte privilegierte Quelle erst gar nicht kritisch betrachtet wird. Diese Art der Darstellung verfestigt das Bild der Polizei als „Freund und Helfer“ und ist mit dafür verantwortlich, dass viele Menschen ein realitätsfernes Bild von der Polizei haben. Denn viele strukturelle Probleme werden derweil ausgeblendet: Racial Profiling, Datenschutzskandale, Machtmissbrauch, rechtsextreme Netzwerke und tödliche Polizeigewalt.
Selbst Kinderserien und Zeichentrickfilme weisen oft eine wohlwollende Beziehung zu „Recht und Ordnung“ auf. Produktionen wie „Paw Patrol“ führen schon Drei- bis Sechsjährige an ein binäres Bild von „guter Polizei“ und „zu kontrollierenden Subjekten“ heran. Die kanadische Animationsserie erzählt Abenteuer rund um einen Jungen namens Ryder, der mit seinen Welpen jede Folge aufs Neue die Welt rettet. Chase, der Hundepolizist, ist die tierische Hauptfigur. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit „Paw Patrol“, wie z. B. eine Studie des King’s College der Western University in Kanada, legen nahe, dass sich Kinder im Vorschulalter mächtig von der Serie beeindrucken lassen: Sie gehen im Alltag dazu über, selbst bestrafen zu wollen, wenn ihnen etwas mal nicht passt. Mit dieser auf cute gedrehten Copaganda stecken sich die Kids nicht nur gegenseitig in Kindergärten an, die Macher der Serie drucken großes Geld mit allerlei Merchandise: Überall in Internetshops, Supermärkten und Warenhäusern lauern Ryder und seine Friends, um den Kleinen überzuckerten Joghurt, Windeln oder Plastikspielzeug zu verkaufen. Wenn Copaganda auf Kapitalismus trifft, sind selbst Antifa-Eltern manchmal machtlos.
Dieser Text erschien zuerst in Missy 06/25.