Musiktipps 06/25
Von MissyRedaktion

PARTYOF2
„AMERIKA’S NEXT TOP PARTY“
( Def Jam Recordings )
Mit „AMERIKA’S NEXT TOP PARTY“ veröffentlichen PARTYOF2 ihr Debütalbum und machen damit sofort klar, dass sie keine gewöhnliche Rap-Formation sind. Das Duo, das früher als Grouptherapy bekannt war, hat sich komplett neu erfunden: stylish, mutig und fokussiert. War Grouptherapy noch ein Projekt von vier ehemaligen Kinderstars aus L. A., ist „AMERIKA’S NEXT TOP PARTY“ ein wilder Ritt durch die Musikgeschichte. Es beginnt mit Oldschool-HipHop, lässt Gitarren und R’n’B-Vibes aufblitzen, streift kurz nach Kendrick und Beyoncé auch Evanescence, flirtet mit dem zeitgenössischen Multigenre-Style des K-Pop und endet in moody House-Vibes der 1980er-Jahre. Jede Wendung bleibt dabei logisch, jedes Experiment ist gelungen. PARTYOF2 haben keine Angst vor Genregrenzen oder Widersprüchen. Ihr Rap ist pointiert, das Songwriting messerscharf, jede Zeile sitzt. Man sieht, dass beide aus dem Fernsehen kommen, denn die Musikvideos und visuelle Vision von PARTYOF2 überzeugen. In ihrer Musik sowie den Visuals findet sich eine förmlich greifbare Leidenschaft für komplexes Storytelling, mit unzähligen Referenzen aus Film, Pop und US-amerikanischer politischer Kultur. „AMERIKA’S NEXT TOP PARTY“ und PARTYOF2 sind als Gesamtkunstwerk eine kluge Reflexion darüber, wie Erfolg heute klingen kann, mit Punchlines für TikTok-Tänze und Deepdives für den LongRead. Rap für Menschen, die Pop lieben, und HipHop für Leute, die Spaß am Internet haben. Doechii und Tyler, the Creator haben neue Spielgefährt*innen. Ulla Heinrich

Perera Elsewhere
„Just Wanna Live Some“
( FoF Music )
Manchmal will man einfach nur leben. Perera Elsewhere nennt ihr neues Album „Just Wanna Live Some“ – und genau so klingt es: nach Überforderung, Wut, Trotz, Erschöpfung und der Energie, trotzdem weiterzumachen. Kein Hochglanz, kein Konzeptpop, sondern authentische Gefühle in ein Album gegossen. Da ist etwa der Track „Fuck Le System“: Verzerrte Beats begleiten den Stakkato-Rap von Sasha Perera. Die in London geborene Musikerin hat eine Stimme, die sich weigert, klein zu bleiben. Auf dem Track „NGL“ singt sie trotzig: „Not gonna lie cause you can’t kill my vibe“. Nein, den Vibe lassen wir uns nicht klauen, keine Angst. Auf „Fountain“ gibt es dann ruhige Gitarrenklänge, fast schon Singer-Songwriter-Tunes, es zieht Stille auf – oder das, was davon übrig ist. Dieses Album will nicht empowern, es will nicht gefallen. Es zeigt, wie sich Widerstand anhört, wenn die Energie fast weg ist – und irgendwie dann doch reicht. Perera Elsewhere singt, schreit, murmelt, verliert sich in Noise und Bass. Wir kennen diesen Zustand: zu viel Welt, zu wenig Zeit. Trotzdem tanzen, trotzdem atmen. „Just Wanna Live Some“ ist keine Lösung, sondern eine Haltung. Eine Platte, die dich nicht abholt. Laut, schräg, unperfekt – aber lebendig und hochaktuell. Michaela Drenovaković

Doja Cat
„Vie“
( RCA Records )
„Love grows upward but most importantly down.“ Mit diesen Worten stellt Doja Cat ihr neues Albumcover vor, auf dem sie mit einem gelben Fallschirm in einen Baum verheddert ist. So wie auch ihre Ankündigungen und Teaser ist dieses Album voller authentischer Reflexionen. Musikalisch verbindet Doja Cat fließende Beats und Basslines, die unter die Haut gehen. Nostalgische Synthesizer sorgen für einen träumerischen Sonic Sound. Trotz der von ihr gewohnten frechen Verspieltheit erfindet sie sich für dieses Album neu. Sie bricht mit der bekannten Schrillheit; ungewohnt ernst reflektiert sie über Brüche, Erwartungen und Scheitern. Die gerappten und gesungenen Texte kommen teils humorvoll mit einem heterofatalistischen Augenzwinkern, andere Teile beteuern die Arbeit an und den Willen zur Veränderung. Im Klang verweilt sie in einer Melancholie, die der Schüchternheit täuschend ähnlich ist. Auch wenn die Stücke ihre einzigartigen Elemente mit sich bringen, fließen sie so nahtlos ineinander über, dass sich die Songs nur schwer voneinander trennen lassen. Was symbolisch für ihre Meditationen gut funktionieren mag, lässt einen zeitgleich ohne den einen Song zurück, der zu längerem Grübeln, Reflektieren, Träumen einlädt. Eine spannende neue Auseinandersetzung, die durch einen Hauch Zaghaftigkeit an Glanz einbüßt. L. A. Evans

Nina Chuba
„Ich Lieb Mich, Ich Lieb Mich Nicht“
( Jive/Sony )
Nina Chuba – eine Mischung aus Rapperin und Popsängerin. Ihren Durchbruch hatte Nina Chuba 2023 mit „Wildberry Lillet“, einem Song, mit dem sie ihren unverwechselbaren Stil unter Beweis gestellt hat. Knüpft ihr neues Album „Ich Lieb Mich, Ich Lieb Mich Nicht“ daran an? Teilweise. Wo das Album eher individuelle, rohe Töne annimmt, wie in „Fahr Zur Hölle“, ist das gelungen. Wenn es aber um austauschbare, überproduzierte Tracks wie „Überdosis“ geht, wird das Ziel verfehlt. Das Thema Sisterhood greift sie in „3 Uhr Nachts“ auf. Darin besingt sie sehnsuchtsvoll eine zerbrochene Freundinnenschaft. Der auch eher rau anmutende Song „Fucked Up“ mit Musiker Makko dreht sich um Drogensucht und Co-Abhängigkeit. Interessant: In dem Track „Rage Girl“, dessen Sound sich vom Rest des Albums abhebt, bedient sich Nina Chuba des Genres des Hyperpop. Ein von Charlie xcx geprägter Stil, der aufgedrehte, referenzreiche Popmusik bezeichnet. Im Video gibt es eine Szene, die sehr an Charlie xcxs „Von Dutch“ erinnert. Neu ist das, was Nina Chuba da tut, nicht. Auch, dass sie das Thema der weiblichen Wut aufgreift, ist nicht neu. Aber trotzdem tut sie es und das allein verdient es schon, honoriert zu werden. Ein etwas mainstreamiges, arg durchproduziertes Album, das aber Spaß macht. Katrin Börsch

RAUCHEN
„FALLEN UND SCHWEBEN“
( Zeitstrafe )
„Perspektive ist notwendig, sonst gibt es nur zwei Dimensionen“, zitiert die Hamburger Band RAUCHEN die Schriftstellerin Margaret Atwood auf ihrer neuen Platte. Sie deuten fragmentarisch die patriarchale Dystopie der „Handmaid’s Tale“ an und bringen uns Hörer*innen dabei ins Zweifeln, wie viel der fiktiven Bedrängnis eigentlich in der gegenwärtigen Realität zu finden ist. Und so können wir uns mit der Band auf eine persönliche Suche begeben: Wie viel Abhängigkeit verträgt Autonomie und wie viel Loslösen von Kontrolle braucht echte Freiheit? Doch RAUCHEN bleiben widerständig, haben nicht die einfachen Antworten parat, sondern geben vielmehr der Komplexität Raum. Es ist die Magie der Gleichzeitigkeit und Uneindeutigkeit – zu Fall zu kommen und dennoch nicht zu stürzen –, die angsteinflößend und tröstend zugleich ist. Diese fragile Vermittlung innerer Konflikte lässt dennoch eine klare Haltung zu, und das ist auch zu hören. Die vertraute Härte der Vocals und der schweren Riffs trifft auf eine neue Zärtlichkeit und Zugänglichkeit der Melodien. Dabei verbinden sie den Sound der Neunziger mit dem der Gegenwart, bringen Elemente aus Post-Punk und Post-Hardcore zusammen. RAUCHEN eröffnen mit „FALLEN UND SCHWEBEN“ so eine neue Dimension ihres Schaffens, und wir können uns den flüchtigen Momenten im Dazwischen mit bester Vertonung hingeben. Nicole Dannheisig

Sophie Ellis-Bextor
„Perimenopop“
( Decca )
Ein bisschen irreführend ist der Name von Sophie Ellis-Bextors achtem Studioalbum schon: „Perimenopop“ liefert weder verkopften Diskurspop noch eine besonders persönliche Bestandsaufnahme, sondern die von der Britin gewohnte Mischung aus Nu Disco und Pop. In der konsequenten Fortführung ihrer 2001 mit „Murder On The Dancefloor“ etablierten Ästhetik zwischen Sassiness und Sophistication liegt dann doch eine ernstere Bedeutung des Albumtitels, den Ellis-Bextor als verspielte Replik auf das Klischee sieht, nach dem Frauen ihres Alters weder mit Pop noch Partyhedonismus etwas zu tun haben sollten. Das Video zu „Freedom Of The Night“, in dem die Musikerin als Helikoptermutter einen Kindertanzwettbewerb sabotiert, illustriert die ungebremste Freude am Musikmachen und -teilen. Musikalisch gehört der Track neben dem wunderbar flirty „Taste“ und dem pumpenden „Vertigo“ zu den Highlights des an Ohrwürmern nicht armen Albums. Besonders gut zu tragen kommt Ellis-Bextors Signature-Kombination aus 1970er-Jahre-Funkiness und den Vibes der frühen Nullerjahre auf „Layers“. „Perimenopop“ ist eine tanzbare Platte, die mal an Kylie Minogue erinnert, mal an Dua Lipa oder Selena Gomez, vor allem aber als generationsübergreifende Feier von Glamour auf dem Dancefloor glänzt. Jana Sotzko

Lola Young
„I’m Only F**king Myself“
( Island Records )
Spätestens seit ihrem Nr.-1-Hit und auf TikTok viralem Song „Messy“ ist Lola Young zum internationalen Popstartum aufgestiegen: laut, unpoliert und mit einem bratzigen Südlondoner Charisma. Auf ihrem dritten Studioalbum „I’m Only F**king Myself“ spricht sie schamlos über ihre mentale Gesundheit und offen von Substanzabhängigkeit, ohne sie zu verherrlichen. Entstanden ist die Platte zwischen dem Höheflug von „Messy“ und einem Klinikaufenthalt zum Kokainentzug und knüpft an Youngs Markenzeichen an: cheeky-sexuelle Lines, auf denen sie klassische Rollenbilder umdreht („Everybody wants to know you, but me, I only want one thing“). Und die rauen Vocals, die ohne Mühe mehrere Oktaven durchröhren, seien es R’n’B- oder Rock-Einflüsse. Schonungslose lyrische Selbstbetrachtungen über die eigenen Imperfektionen und Fehler liefert Young weiterhin („I wanna get away, far from here / Pack my bags and tell my dealer I miss him“). Genauso wie Seitenhiebe auf die letzte toxische Beziehung aus einer langen Reihe („You can keep your sad sob story, ’cause I won’t read it anyway“). Die 24-Jährige überzeugte schon als Teenager den ehemaligen Manager von Amy Winehouse, der sich sogleich aus dem Ruhestand heraus begab. Ob die Öffentlichkeit seit Amy im Umgang mit talentierten und vulnerablen jungen Frauen dazugelernt hat? Weil ihre Großtante den „Grüffelo“ geschrieben hat, traf Young eine Welle von Nepotismus-Vorwürfen. Mit dem sexuell-selbstbewussten Track „One Thing“ bekam sie überdurchschnittlich viele Hasskommentare, weil ihr Körper nicht der Norm der Musikindustrie entspricht. Nach einem Zusammenbruch auf der Bühne im September kündigte Young eine unbefristete Karrierepause an. Künstler*innen priorisieren heute mehr und mehr ihre mentale Gesundheit – den Preis dafür müssen sie allerdings noch immer selbst bezahlen. Sophie Boche

Cardi B
„Am I The Drama?“
( Atlantic Records )
Nach „Invasion Of The Privacy“ 2018 nahm sich Cardi B Zeit für ihre Mutterschaft. Jetzt ist „Am I The Drama?“ erschienen. PR-technisch sicher kein Zufall, dass der Release nur kurz nach Cardi Bs Freispruch von einer Klage wegen Körperverletzung kam. Zehn Tage nach Erscheinen erhielt es bereits Doppel-Platin. „Am I The Drama?“ markiert eine starke Rückkehr, lyrisch liefert Cardi B vor allem Ehrlichkeit ab und ihr Flow klingt fast mühelos gut. Mit 24 Tracks und über 71 Minuten erinnert es an Zeiten, in denen lange Alben noch normal waren. Einen dynamischen Einstieg findet sie mit einigen klassischen Battle-Rap-Tracks. In „Man Of Your Word“, „What’s Goin On“ und „Shower Tears“ thematisiert Cardi B die Trennung von Rapper Offset. Aber auch ihre neue Beziehung zu NFL-Spieler Stefon Diggs erhält einen Credit durch den Love Song „Put It On My Bag“. Ihren Beef mit Rapperin BIA nimmt sie wiederum in dem Diss Track „Pretty & Petty“ auf. Stilistisch handelt es sich mehr um ein HipHop-Album mit klaren R’n’B-Einflüssen als beim vorherigen, auf dem sie den Crossover zum Pop erkundet hat. Dennoch ist Cardi experimentierfreudig: „Bodega Baddie“ ist ein Merengue-Song, mit dem sie auch an ihre lateinamerikanischen Wurzeln erinnert. Ein sehr vielseitiges, ehrliches Album, in dem Cardi B beweist, wer die Queen of Rap ist. Katrin Börsch

The Last Dinner Party
„From The Pyre“
( Island Records / Universal )
Das zweite Album ist oft ein schwieriges. Aber wenn es bereits beim Debüt so viel Hype und Anti-Hype gab wie bei The Last Dinner Party, musiziert es sich womöglich ganz ungeniert. Industry Plant, reiche Eltern, nicht „authentisch“: Sicher, eine Band, die komplett aus Frauen und nicht-binären Personen besteht, ist bedrohlich und muss zerredet werden. Davon ließen sich die fünf Londoner Musiker*innen nicht irritieren – und klingen jetzt noch bedrohlicher. Die Liebe ist alles verschlingend, die Selbstzweifel sind groß und die Selbstironie größer. „One kiss and I was disemboweled“, intoniert Abigail Morris gewohnt drastisch das Gefühl des Verliebtseins im Opener „Agnus Dei“. Ihr Gesang – mal samtig-tief, mal zuckersüß in Gift getränkt – hält den blutigen Blumenstrauß aus Chorgesang, bissigen Riffs und Cabaret-Keyboard zusammen. „This Is The Killer Speaking“ überzeugt mit viel Swagger; in „Woman Is A Tree“ geht es von der Burlesque-Bühne in den Hexenwald. Versteckter Höhepunkt ist „I Hold Your Anger“, eine Beinahe-Ballade über die emotionale Arbeit einer Frau, die sich nicht von ihrem Partner abgrenzen kann („I hold your anger … nobody asked me to, but that’s what I’m meant to do“). TLDP zementieren auf „From The Pyre“ ihren Sound, der sich von Klassik über Glam Rock bis Goth an allem bedient, was Spaß macht und Abgründe auftut. Eva Szulkowski
Dieser Text erschien zuerst in Missy 06/25.
