Von Tatjana Söding
Illustration: Lony Mathis

Eine Weltkugel, die an den Klimafolgen leidet.

Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachung, mitgelesene E-Mails und Chats. Autofahrer*innen, die Protestierende mutwillig anfahren, mit Wasser übergießen, von der Straße schleifen und beschimpfen. Die Repressionen und Übergriffe, denen Aktivist*innen der Letzten Generation (LG) derzeit ausgesetzt sind, sind erschreckend – insbesondere, wenn man sich ihre moderaten Forderungen nach einem Neun-Euro-Ticket und einem Tempo­limit vor Augen führt. Verkehrsverbände etwa fordern solche Maßnahmen

schon seit Langem – unbehelligt. Gegen die LG wird dagegen ein ganzes Register an Maßnahmen gezogen, darunter das Bemühen der Bundesstaatsanwaltschaft, die Gruppe als kriminelle Vereinigung einstufen zu lassen, um ihr weiteren Aktivismus zu verunmöglichen. 

Dieser Unterschied im Umgang mit den Aktivist*innen mag auf den ersten Blick an der Wahl der Aktionsformen, vor allem Straßenblockaden, liegen, mit denen sich die LG für ihre Ziele einsetzt und die sich von den Methoden anderer Gruppen und Verbände vor allem darin unterscheiden, dass sie den Alltag massiv stören. Grundsätzlicher betrachtet sind die Repressionen, mit denen auf die Klimaaktivist*innen reagiert wird, ein Gradmesser ihres Widerstands gegen den fossilen Kapitalismus. 

Wie kann das sein, wo doch wiederum viele Linke die LG immer wieder dafür kritisieren, nicht kapitalismuskritisch (genug) zu sein? Auf einer ideologischen Ebene trifft diese Kritik zu. Die Aktivist*innen nutzen ihre Auftritte in Talkshows oder Zeitungsinterviews selten, um dem Kapitalismus eine Absage zu erteilen und linke Gegenvorschläge zu machen. Mit ihrem Fokus auf die Verkehrswende und die aktive Störung des auf Verbrennermotoren basierenden Individualverkehrs nimmt sich die LG jedoch das Bollwerk des fossilen Kapitalismus zur Brust: die Autoindustrie und die gesellschaftspolitische Rolle, die das Auto für den Erhalt des fossilen Kapitalismus spielt. Die Autoindustrie ist einerseits global der wichtigste Verwertungssektor von Öl: Der Straßenverkehr schluckt etwa die Hälfte der vielen Millionen Barrel Öl, die täglich weltweit verbraucht werden. Durch die besondere Verflechtung der Autoindustrie mit anderen Branchen, die ihr Vorleistungsgüter für die Kfz-Produktion liefern, ist die Autoindustrie gleichzeitig als Konsument einer der bedeutendsten Wertschöpfungssektoren des fossilen Kapitalismus. Zugleich spielt das vermeintliche Privileg der eigenen Automobilität auch eine wichtige kulturpolitische Rolle. Als ultimative Freiheit gilt vielen, ein Eigenheim zu besitzen, egoistische Konsumentscheidungen treffen zu können oder eben mit dem eigenen Verbrenner jederzeit unterwegs sein zu können. 

Dabei ist vielfach bewiesen worden, dass auf Individualverkehr basierte Mobilitätsformen klimatische und ökologische Grenzen überschreiten. Diese Einsicht greift jedoch gleichermaßen die Politik des grünen als auch des fossilen Kapitalismus an, für die sich liberale oder rechtslibertäre und konservative Kräfte einsetzen. In beiden Auslegungen ist andauerndes Wachstum notwendig, um eine global-ausbeuterische Ökonomie am Laufen zu halten und daraus resultierende Klassenkonflikte durch minimale Zugeständnisse, wie etwa den Wohlstand, ein eigenes Auto besitzen zu können, zu befrieden. Dass auch liberale Politiker*innen mit ihren Äußerungen über die LG lieber in das Horn rechter Klimawandelleugner*innen blasen, als sich hinter die klimapolitischen Minimalforderungen der Gruppierung zu stellen, deutet auf ein gemeinsames Interesse beider politischer Strömungen hin: den fossilen Kapitalismus in seiner Grundstruktur aufrechtzuerhalten und öffentlich ausgetragene Verteilungskonflikte zu vermeiden. 

Begleitet werden die teils massiven Repressionen gegen die LG von vielfältiger Bagatellisierung. Olaf Scholz etwa rät den Aktivist*innen, auch mal über andere Wege nachzudenken, ihr Anliegen voranzubringen. Klimaminister Robert Habeck belehrt, wie viele, sie würden mit ihrem Protest dem eigenen Anliegen schaden. Die Springerpresse redet derweil nur noch von „Klimachaoten“ und wirft den Aktivist*innen „Klimahysterie“ vor. Diese werden so als irrational, unreflektiert und naiv karikiert. Der „Spiegel“ betitelt die LG als „die neuen Staatsfeinde“ und fragt sich online: „Werden sie jetzt noch radikaler?“ Rechte Akteur*innen zeichnen gleichzeitig ein Schreckensbild strategisch agierender und gefährlicher Ökoterrorist*innen, das dem Bild des naiven Jugendlichen diametral entgegenzustehen scheint. In ihrer Kombination entfalten beide Diskurse eine Wirkmächtigkeit, die den Aktivist*innen Mündigkeit und Glaubwürdigkeit abspricht. Eine Strategie, die teilweise auch aus den Reaktionen auf feministische Kämpfe bekannt ist: Wut wird in „Hysterie“, Organisierung in gesellschaftliche Gefahr übersetzt.

Wenn sich Autofahrer*innen gegen die Blockaden der LG auflehnen, ist das aus der Perspektive einer direkten Betroffenheit mitunter nachvollziehbar: Den Blockaden ausgesetzt, stehen Menschen im Stau, die ihr Kind nicht in die Kita bringen können oder aufgrund ihrer Verspätung mit möglichen Lohnausfällen oder Abmahnungen konfrontiert sind. Das macht die gewalttätigen Übergriffe auf die Aktivist*innen jedoch nicht weniger kriminell. Als Repression muss in diesem Zusammenhang auch gewertet werden, dass die Übergriffe selten geahndet und von Politiker*innen und einigen Medien mit großem Verständnis behandelt werden. So wird nicht nur die Unversehrtheit der Aktivist*innen gefährdet, sondern auch ein Zeichen gesendet, dass es schon rechtmäßig sei, Gewalt gegen Protestierende anzuwenden. 

Indem die LG in den Verkehr eingreift, stellt sie die Sinnhaftigkeit des fossilen Kapitalismus infrage. Als rechtmäßig kann die Gewalt gegen die Aktivist*innen nur dann empfunden werden, wenn das Festhalten am fossilen Kapitalismus wiederum einen Grundwert darstellt, den es zu verteidigen gilt. Die LG mag diskursiv nur Tempolimit und Neun-Euro-Ticket fordern. Die Angst jedoch, dass die Gruppe, die nicht müde wird zu betonen, „immer friedlich“ zu bleiben, sich in ihrer Methodik radikalisieren könnte, rechtfertigt offensichtlich die Bandbreite an Repressionen, der Klimaaktivist*innen ausgesetzt sind. Und zwar in Zeiten der sich vor unseren Augen täglich in neuen Katastrophen manifestierenden Klimakrise. Eben deshalb deutet die Angst auf eine disruptive Störung hin, die die Letzte Generation für das Fortlaufen des fossilen Kapitalismus darstellt.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/23.