Warum bietet das deutsche Fernsehen kaum interessante Frauenfiguren? Weil wir zu wenig fernsehen! Die Medienjournalistin Klaudia Wick über Rosamunde Pilcher, den »Tatort« und die Abwanderung der jungen ZuschauerInnen zur DVD.

Klaudia Wick, Jahrgang, 1964, ist Fernsehkritikerin und lebt mit ihrer Lebensgefährtin, drei Fernsehern und ihrem Hund in Berlin.

Frau Wick, ehrlich gesagt kennen wir uns im deutschen Fernsehen nicht besonders gut aus. Das wundert mich nicht. Damit entsprechen Sie genau Ihrer Altersgruppe der 19- bis 30-Jährigen, die schauen nämlich kaum noch fern.

Wir haben den Eindruck, dass das deutsche Fernsehen sehr wenige interessante Frauenfigurenzeigt, geschweige denn Figuren, die man als feministisch oder emanzipiert bezeichnen könnte. Wir mussten lange überlegen, bis uns überhaupt weibliche Charaktere einfielen, mit denen wir uns identifizieren können. Maria Furtwängler als »Tatort«-Kommissarin Charlotte Lindholm, vielleicht noch Ulrike Folkerts als Kommissarin Lena Odenthal. Fallen ihnen weitere ein? Da muss ich erst mal zurückfragen: Mit wem können Sie sich identifizieren? Muss das jemand sein, der wie Sie um die 30 ist? Oder darf ich auch mit einer Figur wie Bella Block kommen, die Ihre sehr spät gebärende Mutter oder junge Oma sein könnte?

Dürfen Sie. Auch eine ältere Frau kann ja Identifikationsfigur sein, wenn sie ähnlich denkt und handelt wie man selbst. Dann gibt es auch jenseits der »Tatorte« eine Reihe von Figuren, die Ihre Kriterien erfüllen. So spielt in der Serie »KDD« eine Polizistin mit, die lesbisch ist. In der neuen dänischen Serie »Protectors «, vom ZDF koproduziert, gehört eine Frau mit Migrationshintergrund zum Team der Personenschützer. Und Ulrike Kriener spielt für das ZDF die »Kommissarin Lucas«, die anfangs ihren Ehemann im Wachkoma pflegen musste und sich nach dessen Tod aus Kummer in den Beruf stürzte. Jetzt hat man ihr mit Anke Engelke eine jüngere Schwester zur Seite gestellt, anhand der das Thema »Role Models« neu durchgespielt wird. Es gibt also eine Menge Beispiele. Allerdings sind alle diese emanzipierten oder sogar feministischen Figuren fast immer kinderlos oder jenseits des gebärfähigen Alters.

Woran liegt das? Das Fernsehen – vor allem das öffentlich-rechtliche, das sich bemüht, progressive Figuren anzubieten – hat einen Zuschauerkern, der zwischen 50 und 60 Jahre alt ist, also sehr viel älter als Sie. Für diese ZuschauerInnen wird das Programm gemacht. Die 25-Jährigen sind als Fernsehpublikum nahezu nicht existent. Deswegen tauchen sie auch als Hauptfiguren praktisch nicht auf.

Gerade die Öffentlich-Rechtlichen sollen sich doch nicht nur an den Quoten orientieren, sondern haben laut Verfassung die Aufgabe, ein »inhaltlich ausgewogenes« Programm anzubieten. Das tun sie, sie machen schließlich »KDD« trotz unbefriedigender Quote. Ich finde, wir haben keine Anbieterkrise, sondern eine Publikumskrise. Wenn die Mehrheit das Fernsehen nur zum Chillen einschaltet, weil Spannendes angeblich nur im Kino stattfindet, wird das »inhaltlich ausgewogene Programm« eben stilistisch für die gemacht, die lieber wenige Schnitte und klassischere Charaktere mögen.

Das ist doch ein Zirkelschluss: Würde das Fernsehen ein jüngeres Publikum ansprechen, würden auch mehr jüngere Menschen fernsehen. Fernsehen ist ja ein Markt, das heißt: wenn ich etwas produziere, muss ich damit Erfolg haben. Und dazu muss ich mich an eine Zielgruppe wenden, die »da« ist. »Da« sind in erster Linie diejenigen Frauen, die älter als 35 sind, Kinder haben und nicht ausgehen. Und es ist schwer, junge Charaktere anzubieten für ein Publikum, das sich mit dem Programm gar nicht auseinandersetzt. Niemand verlangt jetzt von Ihnen, sich Rosamunde Pilcher anzusehen. Aber Sie könnten sich eine Fernsehzeitschrift kaufen und die spannenden Sachen ansehen. Ich komme wieder mit »KDD«: Da hat das ZDF ein Qualitätsprogramm nach US-Standards produziert, aber die Alten mögen es nicht und die Jungen sehen es nicht. Dann stellt das ZDF seine Bemühungen irgendwann ein.

Warum kommen denn aus den USA so viele intelligente Serien mit differenzierten Frauenfiguren? Zunächst einmal: Die Serien, die hier ankommen, sind die Qualitätselite. Der USMarkt produziert auch viel Unsinn. Aber er ist größer, und der internationale Verkauf »guter« Serien ist von dort aus leichter. So refinanzieren sich gute Produkte, die immer nur von einer Teilöffentlichkeit gesehen werden, besser. Der deutschsprachige Markt ist dagegen klein, und die Zielgruppe für das moderne Qualitätsfernsehen entsprechend winzig.

Was ist mit den Vorabend-Serien, »GZSZ«, »Marienhof«, den Telenovelas? Da tauchen durchaus junge Frauen auf. Nur sind sie in der Regel die totalen Klischees. Telenovelas funktionieren tatsächlich bei den jungen Frauen zwischen 14 und 29 sehr gut. Also versuchen die Sender, diese Zielgruppe frühzeitig zu binden, damit die Schülerin von heute später, wenn sie mal mit 35 zu Hause sitzt, zur treuen Zuschauerin wird.

Diese Serien werden für zukünftige Hausfrauen gemacht? Ich habe ja nicht gesagt, dass die Frauen »nur« zu Hause sitzen. Aber die Marktforschung hat eindeutige Zahlen: Wer kleine Kinder hat, bleibt abends häufiger daheim und schaut mehr fern.

Die jungen Frauen in diesen Formaten haben zwar Jobs, definieren sich aber trotzdem vor allem über ihr Privatleben und ihre meist heterosexuellen Romanzen. Was für meine Mutter Rosamunde Pilcher ist, sind für die Zielgruppe der unter 30-Jährigen heute die Telenovelas. Das ist natürlich total unrealistisch. »Verliebt in Berlin« etwa: Da kommt ein Mädel aus der Provinz nach Berlin, verguckt sich und wird durch ein paar patente Entscheidungen Geschäftsführerin einer großen Firma. Aber sie macht letztlich nur Karriere, um diesem Mann zu nahe zu sein. Alice Schwarzer würde das Backlash- Fernsehen nennen.

Würde es helfen, mehr genderbewusste Menschen in Entscheidungspositionen zu bringen? An die These vom Durchmarsch glaube ich nicht. Es gibt kaum einen Bereich, in dem das Bewusstsein für Identitätskonstruktion so ausgeprägt ist wie in den Redaktionen von öffentlich-rechtlichen Sendern. Das Problem tritt auf, wenn man anfängt zu erzählen. Dann will eine Regisseurin nicht auf Frauenthemen festgelegt werden. Schauspielerinnen wollen diese »lesbische« Rolle nicht spielen und, und, und.

Wie sieht Ihre private Fernsehutopie aus? Ich würde mir manchmal auch wünschen, dass ein anderes Leben im Fernsehen gezeigt würde. Aber am Ende vom Tag schätze ich das Fernsehen so wie es ist, weil ich das Wichtigste daran finde, dass es mehrheitsfähig ist. Dass dieses Medium in der Lage ist, 12 oder 13 Millionen Menschen an einem gefühlt gemeinsamen Ort zu versammeln. Ich verstehe zwar auch nicht, warum das Publikum sechsmal im Jahr »Wetten, dass …?!« sehen will. Aber ich finde es gut, dass sich Fernsehdeutschland noch sechsmal im Jahr einig wird.

Zum Weiterschauen:

KDD. Mit: Saskia Vester als Kommissarin Kristin Bender. ZDF. DVD 1. & 2. Staffel je ca. 20,00 €

Protectors. Mit: Cecilie Stenspil als Personenschützerin Jasmina El-Murad. ZDF. DVD 1. Staffel. 30,95 €

Bella Block. Mit: Hannelore Hoger als Kommissarin Bella Block. Samstag 22 Uhr, ZDF.

Kommissarin Lucas. Mit: Ulrike Kriener als Kommissarin Ellen Lucas, Samstag 20.15 Uhr, ZDF.