Magazin 04/2020
Liebe Leser*in,
so hatten wir das nicht gemeint, als wir uns wieder mehr Theater wünschten! Was sich gewisse heimatverbundene Minister und Medien in den letzten Wochen an Diskursverrenkungen
und -verschiebungen geleistet haben, ist zwar bühnenreif, aber nicht wirklich sehenswert.
Viel wichtiger ist der eigentliche Kontext, in den sich die viel diskutierte „taz“-Kolumne von Missy-Redakteur*in Hengameh Yaghoobifarah stellt: Weltweit wird die langjährige Kritik an rassistischer Polizeigewalt nun so laut, dass viele sie nicht mehr bequem ignorieren können. In diesem Sinne: Solidarität mit Hengameh! Bleiben wir ungemütlich.
Auch an anderer Stelle gibt es plötzlich Aufmerksamkeit für Themen, die alles andere als
neu sind. Unsere Reportage im sächsischen Erzgebirgskreis zeigt, dass häusliche Gewalt auch ein infrastrukturelles Problem ist (S. 40). Warum Menschen in Gesundheitsberufen nicht erst seit der Pandemie am Limit arbeiten, lest ihr auf Seite 74.
Bei all dem Stress ist der Griff zur Flasche, Fluppe oder Partydroge nicht nur dort schnell getan. Wir widmen uns in unserem Sommerdossier dem Thema Drogen: von Profiling bis Popkultur (ab S. 52). Wie Letztere auch lesbisches Flirtverhalten heten- mäßig prägt, lest ihr im Sexkommentar auf S. 73. Und wir freuen uns tatsächlich über mehr und besseres Theater: Missy hat mit dem neuen Leitungsteam
der Gessnerallee Zürich über Wege aus dem Theaterpatriarchat gesprochen (S. 26).
Jede Menge Lesestoff für faule Tage und die besten Film- und Serienstreamingangebote, bis die Kinos wieder zuverlässig laufen, findet ihr wie immer auf unseren Edutainment-Seiten (ab S. 76). Und auch, wenn der Urlaub diesmal vielleicht um die Ecke stattfindet (S. 71).
Dossier: Drug the system!
Wie hältst du’s mit den Drogen? Eine weltweit repressive Drogenpolitik macht auch diese Frage zu einer politischen. Ein Dossier über Stigmata gegen konsumierende Frauen, trippy Klischees in der Popkultur, Racial Profiling und Sex – nüchtern oder high.
Achtung, Süchtige! Weltweit erfahren drogenabhängige Frauen viel Gewalt. Das liegt an der repressiven Drogenpolitik – aber auch an religiösen und kapitalistischen Idealen. – S. 54
Nebelschwanger: Rauchen in der Schwangerschaft gilt nach wie vor als Tabu. Doch wie umgehen mit der Sucht? Ein Erfahrungsbericht. – S. 56
Sex, Drugs & Gangster-Rap: In der Popkultur spielen Drogen eine Schlüsselrolle. Dabei ist das Thema anfällig für Klischees, bietet aber auch Überraschungen, wie die Beispiele aus der Missy-Redaktion zeigen. – S. 58
Kein Angebot ohne Nachfrage: In der Drogenpolitik spielt die Verschränkung von Rassifizierung und Kriminalisierung eine große Rolle. Die Aktivistin Céline Barry wünscht sich mehr Solidarität – innerhalb der Schwarzen Community und im Kontext von Partykultur. – S. 60
Just say no? Sex und Drogen gehören für manche einfach zusammen, andere praktizieren lieber Sober Sex: Nicht zuletzt wegen der Frage nach dem Konsens unter Drogeneinfluss scheiden sich bei diesem Thema die Geister. – S. 63
Titel: Nura – Es ist wieder Rap!
„Die Stimme von unten“: Nura startete 2014 als Teil des Rap-Duos SXTN durch. Letztes Jahr veröffentlichte sie ihr erstes Soloalbum „Habibi“, das zweite ist in der Mache. Zwischendurch hat sie auch noch Zeit gefunden, eine Autobiografie zu schreiben. Auf den Spuren einer Rastlosen. – S. 46
Aufschlag:
Banden bilden: Homo-Office. Unsere Autorin lebt (manchmal) in einem schwulen Paradies. Und auch während der Kontaktbeschränkungen achteten die Mitbewohner*innen auf individuelle Bedürfnisse. – S. 12
Lieblingsstreberin: Eve Polastri – S. 13
Work Work Work: Die Schmuckdesignerin – S. 14
Hä, was heißt denn Hufeisen-Theorie – S. 15
Kultur & Gesellschaft:
Das Dorf in mir: Ronya Othmanns Debütroman „Die Sommer“ spielt inmitten der kurdischen Landschaft in Nordostsyrien, Rojava. Sie erzählt darin eine Geschichte von Zerrissenheit, Ohnmacht und Identität. – S.17
„Nina Simone ist Gott“: Ijeoma Umebinyuos Lyrik erzählt von den Leben Schwarzer Mädchen und Frauen, von Traditionen und Trauma, Rassismus und Repräsentation. Dabei geht es ihr auch darum, zu empowern und zu heilen. Jeden Tag, auch jetzt. „Like you, I am tired of waking up to news of death“ heißt es in einem ihrer Gedichte aus dem vor fünf Jahren erschienenen Band „Questions For Ada“, und es stimmt auf die Tonlage unseres Gesprächs ein: Breonna Taylor, Tony McDade und George Floyd – die Nachrichten der rassistisch motivierten Morde durch die Polizei liegen nur wenige Tage und Wochen zurück. – S.20
„Die Wände einreißen“: Anlässlich ihres neuen Albums spricht die britisch-jamaikanische Musikerin Denai Moore über Weltschmerz, Genrelosigkeit und Strategien gegen Kontrollverlust. – S. 24
Rolle Vorwärts: „Wir wollen nicht führen“: Ab Sommer 2020 leitet erstmals ein rein weibliches Kollektiv die Gessnerallee in Zürich. Im Interview sprechen die drei über ihre Visionen für den Theaterbetrieb von morgen. – S. 26
Politik & Arbeit:
Real Talk: Schuften im Schweinestaat. Egal, ob in der Pflege, auf Schlachthöfen oder in der Landwirtschaft: Die Arbeitsbedingungen für Arbeitsmigrant*innen aus EU-Ländern sind in Deutschland durchweg schlecht. – S. 37
Reportage: Feminist Wasteland. Der Erzgebirgskreis besitzt kein Frauenhaus. Im „sächsischen Bible Belt“ werden Themen von evangelikalen Christen, Ultrakonservativen der CDU und rechten Bewegungen besetzt. Feministischer Aktivismus hingegen hat es schwer. – S. 40
Mode & Machen:
Styleneid: Merve Çelikurt – S. 67
Unfair Fashion: Wegen der Corona-Krise haben viele Textilmarken ihre Bestellungen storniert. Die Einstellung der Produktion, u. a. in Bangladesch und Sri Lanka, geht auf Kosten der bereits unterbezahlten Textilarbeiter*innen. – S. 68
Sex & Körper:
Sex Kommentar: Wer küsst wen? Unsere Autorin beklagt, wie internalisierte Hetencodes das Lesbendating verwirren. – S. 73
Gesund machen, krank bleiben: Mit der Pandemie wurde die Sorge vor Überlastungen im Gesundheitssystem laut. Dabei waren Burn-outs hier schon lange an der Tagesordnung. – S. 74
Edutainment:
Musik: Mutation als Superkraft. Gebrochene Akkorde, ausgefranste HipHop-Beats und Björk: Die venezolanische Produzentin Arca vereint in ihrer Musik Extreme und zelebriert Nonbinarität als Lebenseinstellung Gebrochene Akkorde, ausgefranste HipHop-Beats und Björk: Die venezolanische Produzentin Arca vereint in ihrer Musik Extreme und zelebriert Nonbinarität als Lebenseinstellung. – S. 77
Film: „Gaffer!“: Lucrecia Martels Film „Zama“ entlarvt das kolonial-männliche Herrschaftssystem als kuriose Farce, ohne dabei dessen Brutalität zu verharmlosen. – S. 83
Serie: Wer will nicht beliebt sein? Die südafrikanische Serie „Blood & Water“ erzählt so eindrücklich von den Rivalitäten junger Mädchen, dass das Ausgangsthema untergeht: Menschenhandel. – S. 84
Film- & Serientipps: – S. 84
Literatur: Frau in Nahaufnahme. Jhumpa Lahiris erster italienischsprachiger Roman „Wo ich mich finde“ erzählt in minimalistischer Form über flüchtige Beziehungen und subtile Bindungen. – S. 87
Literatur- und Comictipps: – S. 89
Now & Then: Melanie Garanin über Selma Lagerlöf – S. 91
Typenparade: Provinz vollscheißen! In seinem Debütroman schickt Sebastian Janata, auch bekannt als Teil der Band Ja, Panik, seinen Helden auf eine Entdeckungsreise, die ihn lehrt: Das Matriarchat ist für alle Männer das Beste. – S. 93
Kunst: Narben in der Landschaft: Soziale und topografische Veränderungen sind das Gerüst für die Werke der nigerianischen Künstlerin Otobong Nkanga – und Anlass, Machtverhältnisse und Verteilungskämpfe zu reflektieren. – S. 97
Kolumne: Nicht ohne mein Chlorwasser. Unsere Kolumnistin hat im Freibad gelernt zu machen, was ihr guttut – das war nicht immer so. – S. 98