Viele Frauen kennen das Gefühl hilfloser Wut, das sich einstellt, wenn Typen auf offener Straße anzüglich werden. Warum das nicht nur nervt, sondern System hat, erklärt „Street Harassment“-Expertin Holly Kearl.

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Illustration: Rinah Lang

Du hast ein Buch über ‚Street Harassment‘ geschrieben, ein Begriff der hierzulande noch nicht geläufig ist, seine Übersetzung „Straßen Belästigung“ erst recht nicht. Was man nicht benennen kann, gibt es auch nicht – zumindest nicht in den Köpfen vieler.

Probleme ohne Definition oder eben sogar ohne Namen bleiben verborgen. Street Harassment bezeichnet geschlechtsspezifische Belästigung in öffentlichen Räumen, genauer: Wenn Männer versuchen, mit sexualisierenden Blicken, Worten oder Gesten die Aufmerksamkeit von ihnen unbekannten Frauen oder eine Interaktion mit ihnen zu erzwingen. Und genau das passiert überall auf der Welt andauernd und braucht deshalb einen für alle verständlichen Namen.

Für Dein Blog und Dein Buch hast Du Geschichten von über 1000 Frauen aus verschiedenen Ländern zusammengetragen und Online-Umfragen gemacht, also „Fakten“ zum Thema gesammelt, um Mythen aus dem Weg zu räumen, wie Du schreibst.

Ja, denn diese Mythen sind gefährlich, gerade weil sie so verbreitet sind, zum Beispiel der Glaube, dass Street Harassment ein Kompliment oder ein Witz ist. Das ist absurd, wenn man sich vor Augen führt, wie es tatsächlich abläuft: Die betroffenen Frauen sind in der jeweiligen Situation meistens allein, während die Männer sich oft in Gruppen befinden oder mindestens ihre Kumpels um sich wissen. Es geht den Männern doch nicht darum, der Frau etwas Gutes zu tun, wenn sie zu mehreren aus einem Auto einer einzelnen Frau auf dem Gehweg hinterherjohlen. Für die Männer ist es meistens ein Spiel untereinander, dessen Konsequenzen für die Frauen sie gar nicht bedenken.

Und wie lässt sich der Mythos widerlegen, die Frauen würden so ein Verhalten erst durch ihre jeweilige Aufmachung provozieren?

Wie sich jemand anzieht, sagt überhaupt nichts darüber aus, ob dafür Kommentare erwünscht sind. Wenn sich eine Frau in Schale wirft, dann meistens, weil sie selbst Freude daran hat, wegen eines besonderen Anlasses oder um bestimmten Personen zu gefallen, aber keinesfalls um von allen wildfremden Männern kommentiert zu werden. Außerdem erleben Frauen Street Harassment auch in Wintermänteln oder komplett verschleiert. Mehr als 80% der Frauen in Ägypten, mehr als 90% im Jemen und Indien leiden darunter. Egal, welche kulturellen Normen und welche klimatischen Verhältnisse vorherrschen und sogar unabhängig davon, ob es sich um ein Krisengebiet oder Kriegszone handelt: Überall auf der Welt wird Frauen der Zugang zu öffentlichen Räumen erschwert, weil sie Angst vor der Belästigung durch Männer haben.

Die vollständige Version dieses Beitrags  ist in der Ausgabe Missy 01/11 erschienen. Jetzt in allen gut sortierten Bahnhofs-Buchhandlungen und Zeitschriftenläden oder gleich hier im Abo.