© Theresa Stritzinger
Mahdi schiebt sich eine gezuckerte Mandel nach der anderen in den Mund. „Jetzt ist aber genug“, sagt Hana Kazem mit einem Lächeln in der Stimme zu ihrem Sohn. Der Vierjährige schnappt sich noch eine, dann beginnt er, vom Sofa auf den Boden zu springen. Das circa 15 Quadratmeter große Schlaf- und Wohnzimmer wird zum Spielplatz, wenn Mahdi aus der Kita kommt.
„Er ist aufgedreht“, sagt Hana Kazem. „Er weiß jetzt, dass er die nächsten Tage bei mir ist. Bei mir kann er ganz frei sein.“ Drei Tage in der Woche schläft Mahdi bei seiner Mutter in der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in einer deutschen Großstadt. Die übrigen Tage verbringt er bei seinem Vater. Obwohl Kazem nur eingeschränkte Umgangsrechte mit ihrem Sohn hat, sieht sie Mahdi jeden Tag. Auch in der Wohnung des Kindsvaters ist es sie, die ihren Sohn zu Bett bringt und morgens aufweckt, um mit ihm zur Kita zu fahren.
Kazem lebt ein Schattenleben. Kurz nach Mahdis Geburt trennte sie sich von seinem Vater, weil er sie sexuell und psychisch misshandelte. Dann verlor sie das Sorgerecht. Um dennoch in Kontakt mit ihrem Sohn zu bleiben, übernimmt sie den großen Teil der Erziehung und Sorge. Sie erhält dafür weder
Kindergeld noch einen sonstigen Ausgleich. Und sie muss fast täglich einem Mann begegnen, der sie weiterhin beleidigt und belästigt. Aus Sicherheitsgründen will Kazem anonym bleiben, sie und ihr Sohn heißen eigentlich anders.
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Kazems Geschichte ist kein Einzelfall. Immer wieder müssen gewaltbetroffene Mütter den gewalttätigen Vätern Umgang zu den gemeinsamen Kindern ermöglichen, selbst wenn Mütter und Kinder dadurch einem großen Risiko ausgesetzt werden. Und immer wieder verlieren gewaltbetroffene Mütter sogar das Sorgerecht, weil ein kompliziert verzahntes System aus Jugendamt, Familiengericht, Gutachter*innen und Verfahrensbeiständen gegen sie arbeitet.
Dieses Versagen ist bekannt. Eine Expert*innenkommission des Europarats namens Grevio, die die Umsetzung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt überprüft, kam 2022 zu einem eindeutigen Ergebnis: So, wie das Umgangs- und Sorgerecht in Deutschland funktioniert, leiden gewaltbetroffene Mütter und ihre Kinder darunter. Die Gründe dafür sind vielschichtig, doch meistens trifft mindestens eines dieser Probleme zu: Partnerschaftsgewalt wird zu einem „Streit“ heruntergespielt, Jugendämter und Familiengerichte lassen bei der Bewertung des Kindeswohls die Gewalt gegen die Mutter außen vor, misogyne Stereotype prägen bewusst oder unbewusst die Entscheidungen von Ämtern und Gerichten.
Dazu kommt eine aktive Einflussnahme von sogenannten Väterrechtlern, die etwa durch Fortbildungen versuchen, in den verantwortlichen Institutionen ihre Ideologie zu verankern. Sie behaupten, gewaltbetroffene Mütter würden sich die Gewalt ausdenken und den Kontakt zum Ex-Partner vermeiden mit dem Ziel, ihre Kinder vom Vater zu entfremden. Eine „Correctiv“-Recherche von 2022 deckte eine breite Einflussnahme der „Väterrechtler“ auf Jugendämter, Justiz und politische Entscheidungsträger*innen auf.
Erhebungen zu familienrechtlichen Urteilen im Kontext häuslicher Gewalt gibt es keine. 2020 und 2023 forderten die Justizminister*innen der Länder die Bundesregierung auf, Kinderschutzverfahren wissenschaftlich evaluieren zu lassen, bisher erfolglos. Ohne einen solchen politischen Auftrag fehlt Forscher*innen der Zugang zu den Daten. Doch zahlreiche Berichte weisen auf ein strukturelles Problem hin.
Kazem hat Tee gekocht, auf die irakische Art. Sie erzählt: Vor acht Jahren kommt sie aus dem Irak nach Deutschland, aus Angst vor politischer Verfolgung. In Deutschland lernt sie einen deutschen Mann kennen, verliebt sich, wird schwanger. Dann beginnt die Gewalt. Er bedrängt Kazem, beleidigt sie, schlägt sie. Als er sie zu Sex zwingen will und sie sich wehrt, bestellt er eine Sexarbeiterin in die gemeinsame Wohnung und sperrt Kazem aus. „Ich saß im Treppenhaus, stillte Mahdi und wusste nicht, wohin ich gehen soll.“ Diese Situation wiederholt sich mehrmals. Als Mahdi über ein Jahr alt ist, versucht Kazems Ex-Partner erneut, sie zu vergewaltigen. Sie verlässt ihn und zieht mit dem Sohn in eine Mutter-Kind-Einrichtung des Jugendamts.
Nach der Trennung erhält Kazems Exfreund zuerst begleitetes Umgangsrecht, er darf also seinen Sohn nur im Beisein des Jugendamts treffen. Dann beantragt er uneingeschränkten Umgang und tritt ein neues Verfahren los. Hier liegt bereits ein strukturelles Problem: Das Familiengericht muss innerhalb eines Monats einen Termin finden, um über sogenannte Kindschaftsverfahren zu Umgangs- und Sorgerechten zu urteilen. Wenn die gewaltbetroffene Person nach der Trennung eine Anzeige gestellt hat, wird es innerhalb eines Monats aber noch keine strafrechtlichen Ergebnisse geben. Dementsprechend lässt sich die erlebte Gewalt nur schwer beweisen. Auch Kazems Strafanzeige spielt in dem Verfahren keine Rolle. Hinzu kommt, dass dem Gericht kaum Zeit für die vorgeschriebene Amtsermittlung bleibt, also für die Aufgabe, alle relevanten Informationen, die das Kindeswohl betreffen, aufzutreiben und mit in die Entscheidung einfließen zu lassen.
In sogenannten hochstrittigen Fällen – in denen oft häusliche Gewalt eine Rolle spielt – greifen die Gerichte deshalb häufig auf externe Hilfe zurück und bestellen familienpsychologische Gutachten. Im Jahr 2015 wurden 270.000 Gutachten an deutschen Familiengerichten in Auftrag gegeben, an allen anderen Zivil-, Arbeits-, Finanz- und Verwaltungsgerichten nur 30.000 insgesamt. Das schreibt die Anwältin und Autorin Asha Hedayati in ihrem Buch „Die stille Gewalt“ und macht damit auf die große Macht der Gutachter*innen aufmerksam: Wenn das Gericht unter Zeitdruck steht, wird es der psychologischen Einschätzung umso wahrscheinlicher folgen.
So auch in Kazems Fall. Der Gutachter besucht sie nur zweimal. Die Gespräche beschreibt Kazem als extrem unangenehm: „Er hat mich gefragt, ob ich Sex hätte.“ Der Gutachter schreibt basierend auf Kazems Reaktionen im Gutachten, dass sie sozial isoliert sei – also erziehungsuntauglich. Er diagnostiziert ihr psychische Probleme, die Kazems Psychotherapeutin im Nachhinein widerlegt. „Und er hat mich gefragt, ob ich mein Kind für den Aufenthaltstitel bekommen habe“, erzählt sie. Als sie verneint und erwidert, dass sie am liebsten gar nicht in Deutschland leben würde, wenn es ihren Sohn nicht gäbe, legt der Gutachter ihr das negativ aus: Im Gutachten warnt er vor einer dringenden Gefahr der Kindesentführung in den Irak. Dabei kann Kazem gar nicht reisen. Weil sie mit falschen Papieren nach Deutschland kam, stellt ihr die Ausländerbehörde bislang keinen Aufenthaltstitel aus. Trotzdem hat die Bewertung des Gutachters direkte Folgen: Das Jugendamt beschließt eine Inobhutnahme, Mahdi kommt zu einer Pflegemutter. Und das Familiengericht entzieht Kazem das Sorgerecht. Für Kazem ist der Gutachter ganz klar ein Rechter. Wer seinen Namen googelt, findet in einem Mütterforum ähnliche Erfahrungsberichte, seine Website deutet auf Verbindungen zu Väterrechtlern hin.
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Auch die anderen Institutionen lassen Kazem im Stich. Die Inobhutnahme verunsichert das Kind nachhaltig. „Mahdi war noch so klein, aber er erinnert sich. Manchmal sagt er: ‚Mama, ich war mal ohne dich.‘“ Nach zwei Monaten bei der Pflegemutter kommt Mahdi zu seinem Vater. Das Jugendamt schikaniert Kazem weiter. Sie erhält zuerst nur begleiteten Umgang, das heißt, sie darf ihren Sohn lediglich im Beisein des Jugendamts treffen. Man verbietet ihr, mit Mahdi Arabisch zu sprechen. Bei gemeinsamen Jugendamtsterminen mit Mahdis Vater bestellt das Jugendamt keine externe Sprachmittlung, sondern lässt Kazems Ex-Partner ins Englische übersetzen. Und es ignoriert die Gewalt. „Vor der Mitarbeiterin sagte er zu mir: ‚Geh raus aus Deutschland, du Schlampe!‘ Und sie hat einfach nichts gemacht und diesen Vorfall auch nicht ans Familiengericht übermittelt.“
Kasthury Liedloff arbeitet als Sozialarbeiterin im Frauenhaus des Vereins Interkulturelle Initiative in Berlin. Sie kennt ähnliche Geschichten, wo Jugendämter basierend auf rassistischen Vorurteilen Kinder aus den Familien nahmen, etwa weil sie zu Hause nicht mit Messer und Gabel aßen oder weil ihre Frisuren nicht den Gewohnheiten der Jugendamtsmitarbeiter*innen entsprachen.
Daneben betont Liedloff strukturelle Probleme: etwa, dass Institutionen nicht immer von sich aus Sprachmittlung zur Verfügung stellen. „Dabei ist das so wichtig, damit die Frauen verstehen, was passiert, und sich äußern können.“ Dazu kommen Ungleichheiten zwischen den Eltern, für die die verantwortlichen Ämter und Institutionen selten sensibilisiert sind – z. B. wenn der Mann Deutscher ist und die Frau nur einen befristeten Aufenthaltstitel hat. „Da gibt es ein Machtgefälle, es geht dann schließlich um ihre Existenz.“
Sarah S. ist 18 Jahre alt, als sie Jamil M. im Libanon kennenlernt. Er hat die deutsche Staatsbürgerschaft und verspricht S. ein Leben im Wohlstand. „Er war ein toller Mann, ich habe einfach alles geglaubt.“ Sie heiraten, 2011 reist S. über das Ehegattenvisum in eine deutsche Großstadt. Wie ausgemacht kommt sie dort zuerst bei M.s Mutter unter. „Ich habe mich gefreut, wollte die Stadt kennenlernen, aber das ist nicht passiert“, sagt sie rückblickend. S. darf nicht allein das Haus verlassen, die Familie kontrolliert sie – und drängt sie zur Schwangerschaft. „Ich wollte das nicht, aber seine Mutter hat Druck gemacht.“
Nach einem Jahr zieht Sarah S. mit M. in eine gemeinsame Wohnung und bekommt ihr erstes Kind. Die Kontrolle setzt sich fort, M. lässt sie nicht allein raus, manchmal sperrt er sie ein. Er redet ihr ein, die Welt da draußen sei gefährlich. „Er hat mit meiner Psyche gespielt, er war wie ein Diktator in meinem Denken“, sagt S. 2014 kommt ihr zweites Kind zur Welt. Als es mit dreieinhalb Jahren in die Kita kommt, geht S. zum ersten Mal zum Jobcenter. Der Mitarbeiter erzählt ihr von all den Möglichkeiten, die sie hat, in die Schule zu gehen, einen Abschluss zu machen. „Ich dachte, ja! Endlich kann ich etwas machen, kann raus aus diesem Teufelskreis.“
Stück für Stück holt sich S. ihre Freiheit zurück. Sie geht zur Schule, gegen den Willen von M. Dann will er sie zwingen, nach Abu Dhabi zu reisen, um dort ihren Vater zu treffen: „Ich hatte Angst, dass er mich abschieben will.“ Die Sozialpädagogin ihrer Schule merkt, dass es Sarah S. nicht gut geht, S. vertraut sich ihr an. Sie gehen zusammen zu einer Beratungsstelle für Betroffene häuslicher Gewalt.
Diese rät S., sich heimlich zu trennen. Trennungssituationen sind für Betroffene häuslicher Gewalt besonders gefährlich. Weil sie sich aus der Kontrolle des Täters lösen, steigt das Risiko, dass der Täter zum letzten Mittel greift, um die Kontrolle über die Ex-Partnerin wiederzuerlangen. Laut einer Studie des Instituts für Polizei- und Sicherheitsforschung aus dem Jahr 2009 findet etwa ein Drittel aller Beziehungsfemizide in der Trennungsphase statt. In Sarah S.s Fall bekommt M. etwas von ihren Trennungsabsichten mit – und die Gewalt eskaliert. Er schlägt und würgt S. im Beisein der Kinder. Am nächsten Tag flieht sie mit den Kindern in ein Frauenhaus.
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„Das war aber erst der Anfang“, sagt Sarah S. Sie spricht leise und zupft mit den Fingern an einem zerknüllten Taschentuch herum. Ein großer Cappuccino steht fast unberührt vor ihr. Sie will erzählen, will verstanden werden. Dafür holt sie immer wieder Dokumente aus einer Mappe: Protokolle, Anwaltsschreiben, Gutachten.
Wenige Monate später zieht S. mit ihren zwei Kindern in eine eigene Wohnung. Sie geht nicht mehr in ihre alte Schule, seit M. einen Tag lang mit dem Auto vor dem Gebäude parkte und sie beobachtete. Strafrechtliche Konsequenzen für M. gibt es jedoch nicht, die Anzeige wegen Körperverletzung wird fallengelassen.
Etwa einen Monat nach der Trennung muss Sarah S. ihren Ex-Partner vor Gericht wiedersehen. Er hat beim Jugendamt Umgang mit den Kindern beantragt. Wie in Hana Kazems Fall spielt auch hier die häusliche Gewalt keine Rolle. M. darf die Kinder jede Woche abwechselnd für drei Nächte und für eine Nacht haben, obwohl die damals vier- und sechsjährigen Jungen dem Jugendamt gegenüber sagen, dass sie Angst vor ihrem Vater haben.
M. lässt seine Exfrau nicht in Ruhe. Das Scheidungsverfahren nutzt er für eine erneute Verhandlung des Umgangsrechts, seine Rechtsanwältin überhäuft Sarah S. mit Forderungen, auf die wiederum ihre Anwältin reagieren muss. Das alles kostet Geld – Geld, das S. nicht hat. In der achtjährigen Ehe hatte sie keinen Zugriff auf das geteilte Konto, nach der Trennung ist sie auf Sozialhilfe angewiesen. Für die Anwalts- und Gerichtskosten nimmt sie Schulden auf. „Ich habe diesen Monat die letzte Rate bezahlt, hundert Euro“, erzählt sie im Café.
Was S. passiert, nennt Asha Hedayati institutionelle Gewalt. Die Rechtsanwältin und Autorin hat viele Mandantinnen vertreten, die von gewalttätigen Ex-Partnern mit juristischen Mitteln zermürbt wurden. „Die Institutionen werden dann zu Instrumenten des Ex-Partners. Wenn die Frauen mit Verfahren überhäuft werden, können sie nichts tun, denn sie sind automatisch Verfahrensbeteiligte“, erzählt Hedayati am Telefon. Ihrer Erfahrung nach ginge es den Gewalttätern selten wirklich um ihre Kinder. „Nach der Trennung merken sie, dass das der einzige Weg ist, um noch Macht und Kontrolle über das Leben der Ex-Partnerin auszuüben.“
Das funktioniert nur deshalb so gut, weil gewaltbetroffene Frauen nach einer Trennung oft ohne finanzielle Ressourcen dastehen. Die meist ungleiche Aufteilung von Care-Arbeit führt dazu, dass Frauen tendenziell weniger Geld verdienen. Dazu kommt das Entziehen finanzieller Unabhängigkeit als Mittel der Kontrolle.
Über die Jahre nimmt Sarah S. eine Veränderung bei ihren Kindern wahr. Besonders ihr jüngerer Sohn will plötzlich nicht mehr, dass sie Freundinnen trifft oder sich auf den Mittleren Schulabschluss vorbereitet. „Was ist wichtiger, wir oder deine Arbeit?“, habe ihr Sohn sie gefragt. Der Vater kauft den gemeinsamen Kindern neues Spielzeug, macht mit ihnen Urlaub.
Sprung ins Jahr 2022. Die Kinder sind jetzt zehn und zwölf Jahre alt. Sarah S. hat einen neuen Freund und ist schwanger. Am Anfang hätten ihre Söhne ihren Partner gemocht, doch mit der Zeit nehmen die Feindseligkeiten zu. „Der Jüngere wollte ihn aus der Wohnung werfen.“ M. geht erneut ins Verfahren. „Ich war verzweifelt, die Kinder waren aggressiv und gegen mich. Ich dachte, das Jugendamt wird mich beschützen, sie kennen doch unseren Fall.“ Doch das Jugendamt interessiert sich nicht für ihre Sorge, ihre Kinder würden von M. manipuliert und gegen sie aufgehetzt. Das Gericht zieht einen familienpsychologischen Gutachter hinzu. Er redet mit ihr vor allem über die Ehe mit M. – und schreibt später in seinem Gutachten, S. habe sich die Gewalt ausgedacht. Über die Kinder reden sie kaum, erinnert sich Sarah S. Im Gutachten steht: Sie sei nicht in der Lage, die Kinder zu erziehen.
Bestellt das Familiengericht ein psychologisches Gutachten, lässt sich die Begutachtung nicht mehr verhindern. Es besteht lediglich die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen einen Befangenheitsantrag vor Gericht zu stellen mit dem Ziel, die begutachtende Person zu wechseln. Doch diese Anträge kosten Zeit, Nerven und versprechen nicht unbedingt Erfolg – denn selbst wenn im Gutachten Fehler stehen oder unsauber gearbeitet wurde, stellt das Gericht nicht zwangsläufig eine Befangenheit fest.
In Sarah S.s Fall wird zusätzlich eine sogenannte Verfahrensbeiständin hinzugezogen, um den Willen der Kinder zu ermitteln und vor Gericht zu vertreten. Aus den Protokollen erfährt Sarah S. im Nachhinein, was ihre Kinder der Verfahrensbeiständin erzählen: dass sie bei Mama keine Freunde hätten, dass ihre Mutter keine Zeit für sie hätte und nachts unterwegs sei. „Das war einfach gelogen, sie haben die Lügen von M. wiederholt“, sagt Sarah S. Sie verliert das Sorgerecht.
Jetzt, zweieinhalb Jahre später, will S. den Horror hinter sich lassen. Es gibt zwar mittlerweile eine Stellungnahme der Familienhilfe, die im Auftrag des Jugendamts ihre Kinder begleitet hat und die auch eine Manipulation der Kinder durch M. vermutet. Doch was bringt ihr das, wenn die Kinder weiterhin unter dem Einfluss des Vaters stehen und sich ihr Hass auf sie noch intensiviert hat? Solange sich das nicht ändert, will S. nicht mehr vergeblich um ihre zwei Kinder kämpfen. Sie blickt nach vorn. „Mir geht es jetzt besser, keiner kann mehr mein Leben kontrollieren.“
Hana Kazem hingegen steckt weiterhin fest. Es geht ihr nicht gut, die Angst um ihren Sohn und die Perspektivlosigkeit haben sie krank gemacht. Einen Weg, um doch wieder das Sorgerecht zu bekommen, sieht sie nicht. „Das Jugendamt sagt, dass meine Akte jetzt in einer Schublade liegt und da nicht mehr rausgeholt wird.“
Dieser Text erschien zuerst in Missy 02/25.