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Salamina, Griechenland
Die Solidaritätsklinik von Salamina bietet kostenlose medizinische Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung an. Maria und Nitouche Anthoussi, Mutter und Tochter, engagieren sich seit 2012 ehrenamtlich in der Klinik. Maria lebt selbst auf der Insel.
Wie ist eure Klinik entstanden?
Nitouche Anthoussi: Die Sparmaßnahmen nach der Wirtschaftskrise von 2008 führten zu drastischen Kürzungen im Gesundheits- und Sozialwesen Griechenlands. Die Regierung hat im Grunde genommen ihre Verantwortung für die grundlegendste Gesundheitsversorgung eines großen Teils der Bevölkerung aufgegeben. Das Recht auf kostenlose
Gesundheitsversorgung wurde praktisch abgeschafft. Die Apothekerin Efi Zissi hat daraufhin diese Klinik gegründet – ein erster Akt des praktischen Widerstands gegen die Politik.
Was genau bietet die Klinik?
Maria Anthoussi: Kostenlose ärztliche Betreuung und Medikamente – besonders für Arbeitslose, Menschen mit chronischen Krankheiten, Migrant*innen. Ich bin selbst nicht versichert – was bedeutet, dass ich etwa die Hälfte meiner Medikamente selbst bezahlen muss. Das ist nicht immer einfach. Neben Allgemeinmedizin wird auch fachärztliche Betreuung angeboten, z. B. pädiatrische oder endokrinologische. Außerdem versorgen wir Gefängnisse und Psychiatrien und unterstützen Geflüchtetennetzwerke.
Welche Rolle spielt dabei die Lage eurer Insel Salamina?
MA: Salamina war schon immer eine stark vernachlässigte Gegend, und die Bevölkerung ist stark gewachsen. Es ist wunderschön: Wir haben antike Monumente, eine eindrucksvolle Natur und sind ganz in der Nähe von Athen und Piräus, weshalb viele Menschen hier früher ihre Sommerhäuser hatten. Die Häuser sind ganz klein – die Leute wollten nur einen Ort haben, an dem sie den Sommer verbringen konnten. Aber jetzt können sich viele von ihnen das Leben in Piräus oder Athen nicht mehr leisten und sind dauerhaft in ihre Sommerhäuser gezogen. Unser Haus war früher auch ein Sommerhaus. Wir leben hier, aber wir kommen nicht aus Salamina.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen für euch?
MA: Viele Solidaritätskliniken haben geschlossen, aber wir arbeiten mit den verbleibenden Kliniken in einem Netzwerk zusammen und helfen uns gegenseitig. Die Kliniken schließen, weil sie sich den Betrieb nicht mehr leisten können. Wir Freiwilligen arbeiten unentgeltlich und finanzieren den Betrieb, so gut es geht – aber da sich die wirtschaftliche Lage immer weiter verschlechtert, können sich immer weniger Freiwillige einen Beitrag leisten. Außerdem wurden uns die Räumlichkeiten, die uns von der Gemeinde 13 Jahre lang kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, vor etwa einem Jahr genommen. Seitdem müssen wir Miete zahlen. Die Klinik war früher größer. Wir hatten Kühl- und Gefrierschränke, aber die mussten wir aufgeben. Ein weiteres großes Problem ist unser Kleinbus – er muss ausgemustert werden. Oh, und die Fähren: Früher haben sie uns kostenlos befördert, z. B. um Medikamente zu transportieren – eine informelle Vereinbarung mit bestimmten Booten. Aber jetzt hilft uns niemand mehr mit kostenlosen Fahrten. Weil wir auf einer Insel sind, ist das eine der größten Schwierigkeiten.
Vieques, Puerto Rico
Eira Rodriguez ist landwirtschaftliche Vermittlerin von La Colmena Cimarrona, einem frauengeführten Landwirtschaftsprojekt, das auf der karibischen Insel für Ernährungssouveränität kämpft.
Nach dem Hurrikan Maria im Jahr 2017 habt ihr euer Projekt gegründet. Wie kam es dazu?
Wenn man auf Vieques in den Supermarkt geht, ist es normal, dass es dort einfach nichts zu essen gibt. Die Regale sind völlig leer, weil keine Lebensmittel an die Insel geliefert werden – für die Einwohner*innen ist das Alltag. Nachdem Hurrikan Maria die Insel getroffen hat, hatten die Gründerinnen unseres Projekts die Idee, eine Suppenküche einzurichten – um Ernährungssouveränität zu gewinnen.
Was genau macht ihr?
Es gibt vier Säulen unserer Arbeit: Erstens, das „Saatbeet“, das ist einfach der Ort, an dem wir säen und anbauen. Zweitens, die „Bienenwabe“, ein Programm, in dem wir allen, jung und alt, das landwirtschaftliche Wissen beibringen, das sie brauchen, um z.B. bei sich zu Hause anzubauen. Wir bieten im Rahmen dieses Programms auch Kurse für Freiwillige und Schulabsolvent*innen an, die eine zeitlang gemeinnützige Arbeit verrichten müssen, und ein zweiwöchiges Sommercamp nur für Mädchen, in dem es auch darum geht, das sie Vieques besser kennenlernen – ein bisschen wie Tourist*innen auf ihrer eigenen Insel. Die dritte Säule ist das landwirtschaftliche Kollektiv. Hier kommt aller Ackerbau aus Vieques zusammen. Ohne das Kollektiv läuft gar nichts. Seitdem die US-Marine 1941 kam und die Einwohner*innen enteignet und umgesiedelt wurden, ist unser Land nicht mehr unser Eigentum – obwohl wir es kultivieren und darauf arbeiten, gehört es nicht uns. Deswegen ist es umso wichtiger für uns, dass wir alles, was wir haben und brauchen, teilen. Wir besuchen uns auf den Bauernhöfen und helfen uns gegenseitig aus – auch mit Geld, damit alle mit ihren Projekten weitermachen können. Aber es geht auch immer darum, richtig lecker zusammen zu essen. Ich arbeite nicht zuletzt in der Landwirtschaft, weil ich gutes Essen liebe – nicht den Fertigkram aus Tüten. Essen ist für uns die Antwort auf alles (lacht) – um dich umsorgt, geliebt, zufrieden zu fühlen. Die letzte Säule ist „La Sambumbia“. Hier geht es darum, einen Marktplatz zu schaffen, wo alle Landwirt*innen ihre Produkte verkaufen können. Denn wir alle müssen monatlich unsere Miete und Pacht zahlen.
Wieso nennt ihr euch La Colmena Cimarrona? Die „Cimarrones“ waren Sklav*innen, die entkamen und von dem leben wollten, was es in der Natur gab. „Colmena“ („Bienenstock“) bezieht sich auf Monte Carmelo, ein Gebiet, das von einem Mann namens Carmelo und seiner Frau Maria von der US-Marine zu- rückerobert wurde. Sie zogen mit ihrer Familie dorthin und bauten eine Art Burg, als Form des Widerstands. Dann kam das Militär, um nicht nur die Familie, sondern die gesamte Bevölkerung von Vieques zu vertreiben – damit die ganze Insel zu einem Testgelände für Bombenversuche werden konnte. Dieser Herr Carmelo und seine Frau waren Imker*innen. Also stellten sie rund um das gesamte Gebiet, das sie gerettet hatten, Bienenkästen auf. Als das Militär kam, um die Kästen zu entfernen, konnten sie das nicht, weil die Bienen sie angriffen.
Wie hat sich die Besetzung von Vieques, das von der US-Marine von 1941 bis 2001 als Militärübungsplatz genutzt wurde, auf die Bevölkerung ausgewirkt?
Es hat uns alle geprägt, denn alle Familien in Vieques haben auf irgendeine Weise unter der Marine gelitten. Im östlichen Teil der Insel wird niemals wieder jemand leben können, weil das gesamte Gebiet ein Minenfeld ist. Es ist supergefährlich dort. Meine Großmutter wurde mit 17 Jahren von ihrem Wohnort weggebracht. Sie starb mit 61 Jahren, ohne dass sie in ihr Haus zurückkehren konnte.
Wie können die Probleme auf Vieques gelöst werden?
Wenn der politische Wille da wäre, könnten die meisten Probleme gelöst werden. Aber wir leben in einer kapitalistischen Welt, in der die Politik völlig gegen das verstößt, woran wir glauben. Das Leben ist wie Schwimmen gegen den Strom. Mamá Tingó, eine dominikanische Aktivistin, hat immer gesagt: „Das Land gehört denen, die es bearbeiten.“ Aber hier gehört das Land dem, der das Geld hat, es zu kaufen. Die Landwirtschaft ist nichtsdestotrotz etwas Uraltes und auch etwas Heilendes. Das kann Teil der Befreiung sein.
Martinique
Das Kollektiv COAADEP setzt sich für die Rechte der Bananenfarmarbeiter*innen auf Martinique ein, die durch das Insektizid Chlordecon vergiftet wurden. Wir haben mit Yvon Sérénus, dem Vorsitzenden des Kollektivs, Patricia Moutenda, der Schriftführerin, und Robert Saé, einem langjährigen Mitglied, über ihren schwierigen Kampf gesprochen.
Wie begann Ihre Vereinigung?
Robert Saé: Mit dem Streik von 1974. Wir wollten uns aus der Bananensklaverei befreien. Frauen wie Madame Josette Bomaré und Madame Gisèle Gros standen an der Spitze dieser Protestbewegung, denn Frauen hatten die schmutzigsten Arbeiten zu erledigen, wie z. B. den Transport der Bananenstauden. Sie trugen sie auf dem Kopf, bis der Lkw kam, um sie abzuholen. Sie waren es, die die Pestizide wie z. B. Chlordecon versprühten. Und sie waren es, die die Bananen wuschen – die Chemikalien aus dem Waschwasser tropften auf sie herunter. Das machte sie und ihre Kinder krank. Der Streik führte zwar zu Verbesserungen, aber erst als die Krankheiten die Menschen systematisch zu befallen begannen, wurde über den Chlordecon-Skandal gesprochen. Das Kollektiv der durch Pestizide vergifteten Landarbeiter*innen und ihrer Angehörigen besteht seit Dezember 2019.
Die Chlordecon-Vergiftung in den Antillen ist eng mit der kolonialen Unterdrückung durch Frankreich verbunden. Können Sie mir erzählen, wie sich dieser Kontext der Ungerechtigkeit in den Ursprüngen der Kontamination manifestiert?
RS: Bereits während des Streiks von 1974 war eine unserer Forderungen das Verbot giftiger Produkte. Denn damals erkrankten Dutzende von Menschen, insbesondere Frauen. Wenn die Arbeiter*innen sich weigerten, sie zu verwenden, kam es zu Repressionen. Und als der Streik stattfand, weigerte sich Frankreich, über diesen Punkt zu diskutieren. Nach dem Chlordecon-Verbot von 1990 hat der Staat dann Ausnahmegenehmigungen erteilt, um hierzulande damit weiterzumachen.
Yvon Sérénus: Sie wussten, was in den USA passiert war: Es gab den Skandal in Hopewell, Virginia, wo Arbeiter*innen in der Chlordecon-Produktion vergiftet und das Pestizid in einem Fluss entsorgt wurde. Nun sind die Menschen in Martinique und Guadeloupe betroffen, und ich frage mich, warum man in den Kolonien mit den Pestiziden weitergemacht, während man in Frankreich damit aufgehört hat. 2018 gehörten wir zu den größten Verbrauchern von Glyphosat pro Hektar.
Gibt es administrative Hindernisse in Ihrer Arbeit?
Patricia Moutenda: Die Arbeiter*innen werden von den Behörden im Stich gelassen. Es ist sehr schwierig, ihnen Recht zu verschaffen.
RS: Man kann nur dann vom französischen Staat unterstützt werden, wenn die Krankheit in der Liste der Berufskrankheiten der französischen Sozialversicherung aufgeführt ist. Und die einzige dort anerkannte Krebsart ist Prostatakrebs.
PM: Wir kämpfen dafür, dass Gebärmutter-, Brust- und Schilddrüsenkrebs anerkannt werden. Denn es gibt viele Arbeiterinnen, die an diesen Krankheiten leiden. Eine weitere Hürde ist, dass man zehn Jahre lang gearbeitet haben muss, um eine Berufskrankheit anerkannt zu bekommen. Doch nach sechs Monaten Arbeit mit Pestiziden bekommt man bereits Prostatakrebs.
RS: Wir glauben, dass sie auf Zeit spielen, da hauptsächlich ältere Menschen betroffen sind. Jede Woche sterben Mitglieder unserer Vereinigung. Die Behörden denken, dass es dann für die Hinterbliebenen schwieriger sein wird, Ansprüche geltend zu machen. Etwa zwanzig Personen haben durch die Akten der Organisation Phyto-Victimes eine Entschädigung erhalten, aber nur lächerliche Beträge. Sie haben Krebs, sind behindert, haben Chemotherapien hinter sich, können nicht mehr gehen oder Auto fahren. Und diese Menschen bekommen dreihundert Euro.
Wie schaffen Sie es, in der Arbeit weiterhin Sinn zu finden?
PM: Es ist eine langwierige Arbeit, wie ich immer sage. Ich bin so entschlossen, weil meine Tochter das Leiden ihres Vaters miterlebt hat: Sie war neun Jahre alt, als er starb. Als sie älter wurde, ermutigte sie mich, mich dem Kollektiv anzuschließen. Für meine Tochter tue ich es. Und für die Landarbeiter*innen, die so sehr leiden.
Mallorca, Spanien
Joana Estrany Vallespir ist Aktivistin bei SOS Residents auf Mallorca. Das Kollektiv will auf die immer schlimmer werdenden Auswirkungen des Massentourismus auf die Bevölkerung der balearischen Insel aufmerksam machen.
Welche Probleme haben euch dazu gebracht, gegen Massentourismus auf Mallorca aktiv zu werden?
Es gibt hier vor Ort viele länger existierende Probleme, die wir als Bewohner*innen stark spüren. Zuerst waren es die Strände, die von Tourist*innen überlaufen waren. Dann wurde auch der Wohnungsmarkt immer schlimmer. Seit Plattformen wie Airbnb beliebt wurden, sind die Mieten explodiert. Immer mehr Investor*innen kaufen hier Immobilien, während Einheimische sich das nicht mehr leisten können.
Welche weiteren konkreten Auswirkungen hat der Tourismus?
Der Wasserverbrauch ist auch ein großes Thema. Neubauten für Reiche haben große Pools und Gärten, aber Mallorca hat knappe Wasserressourcen. In ländlichen Gebieten werden riesige Solarparks gebaut, sie ersetzen Naturflächen und decken trotzdem nicht den Bedarf des Tourismus. Zudem beobachten wir eine soziale Spaltung: Immer mehr Menschen leben in Wohnwägen, während Reiche hier ihre Sommerresidenz haben und Luxusautos fahren. Auf den Balearen hatten wir letztes Jahr 18,7 Millionen Tourist*innen und dieses Jahr sollen es noch mehr werden. Die Regierung plant sogar, den Tourismus in den Winter auszudehnen, was die Ruhezeiten der Insel stören würde.
Was sollte die Regierung tun?
Eine Obergrenze für Tourist*innen einführen, besonders im Sommer, weniger Kreuzfahrtschiffe anlegen lassen, und höhere Tourismussteuern erheben. Die „Ökosteuer“ ist lächerlich. Das gestaltet sich jedoch eher schwierig, weil die Regionalregierung rechts und wirtschaftsfreundlich ist und wenig auf die Anliegen der Einheimischen hört. Ein neues Gesetz erlaubt es sogar, 20.000 Wohnungen in bislang unbewohnten Gebieten zu bauen, was die Insel noch mehr zubetonieren wird.
Man hört oft: „Ohne Tourismus bricht die Wirtschaft zusammen.“ Stimmt das?
Klar brauchen wir Tourismus, aber nicht in dieser Form. Das Problem ist, dass die Wirtschaft zu stark auf den Tourismus ausgerichtet ist und es kaum alternative Industrien gibt.
Wie geht es für euch weiter?
Wir sind auf Instagram aktiv, informieren und versuchen, ein Bewusstsein für die aktuelle Lage zu schaffen. Wir sind in Kontakt mit anderen Gruppen, die auch auf dem Festland aktiv sind. Der Plan ist, gemeinsam größere Aktionen zu machen.
Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/25.