Reportage - Missy Magazine- Büro - Team - Treffen


Von Amina Aziz

Stella Richter ist seit gut drei Monaten bei Missy. Im Vorstellungsgespräch stellte sie eine Frage, die ihr als Schwarze Frau wichtig ist: „Wie viele BIPoCs arbeiten bei euch?“ Die Antwort, erzählt Richter an einem Nachmittag Mitte Juli, kam wie aus der Pistole geschossen: „Mehr als die Hälfte.“ Sie entschied sich dafür, den Job als Art- und Kreativ-Direktorin anzunehmen. Dabei verdient Richter hier um ein Vielfaches weniger als vorher. Nach wie vor ist sie als Sexworkerin und Künstlerin tätig. Sie konnte sich etwas ansparen und ist durch die anderen Jobs nicht ausschließlich auf das Gehalt von Missy angewiesen. Ist es das wert? Der Unterschied in einem diversen Team ohne cis Männer zu arbeiten sei laut Richter, dass man Basics nicht ansprechen müsse. „Die Awareness ist eine andere. Man fühlt sich sofort zugehörig, gesehen, verstanden. Dinge, die man Männern und oft auch noch Weißen erklären muss, fressen so viel Zeit, dass man eigentlich nicht mehr zum Arbeiten kommt“, erklärt sie. „Allein, dass ich als Domina hier einen Safe Space habe und es nicht räudig sexualisiert, sondern gefeiert wird, ist ein Segen! In welchem männlich dominierten Beruf wäre das so?“ Eine Redaktion, in der mehrheitlich Nicht-Weiße tätig sind, das ist in Deutschland noch immer eine Rarität. „Natürlich haben wir darauf geachtet, mehr BIPoCs an Bord zu holen, aber nicht um jeden Preis“, sagt Hengameh Yaghoobifarah, Print-Redakteur*in und seit neun Jahren Teil der Redaktion, eine der dienstältesten Personen im Team. Eine linke, feministische Perspektive sei unabdingbar, um bei Missy zu arbeiten. „Die Frage ist aber leider auch immer: Wer kann es sich leisten, bei uns zu arbeiten? Die Anstellungsverhältnisse sind prekär“, weiß Yaghoobifarah. In den vergangenen Jahren haben Journalist*innen immer wieder in verschiedenen Medien oder auf Social Media Klassismus im Journalismus thematisiert. Der Einstieg ist für Menschen ohne höheren Bildungsabschluss schwierig und unbezahlte oder sehr schlecht bezahlte Praktika, die weit verbreitet sind in der Branche, können sich viele nicht leisten. Dadurch werden Voraussetzungen geschaffen, die den Berufseinstieg für einen Großteil unmöglich machen. Missy kann dem nur bedingt entgegenwirken, denn wie bei den meisten linken und unabhängigen Medien fehlen die Mittel, um einen guten Lohn zu zahlen. Das Team bietet jedoch Menschen ohne Schreiberfahrung an, Texte zu veröffentlichen, wenn das Thema passt, um ihnen so den Einstieg in den Journalismus zu erleichtern. Generell wird bei Missy versucht, niedrigschwellige Zugänge auch zu verantwortungsvollen Positionen zu schaffen. Die Co-Chefredakteurin Marie Serah Ebcinoglu etwa hat vor einigen Jahren als Praktikantin bei Missy angefangen, ist noch im Studium und hatte keine ausgeprägte Berufserfahrung, als ihr der Vorschlag unterbreitet wurde, Teil der Chefredaktion zu werden. Der niedrige Lohn bei Missy – es gibt einen Einheitslohn für alle – bedeute in der Konsequenz, dass diejenigen im insgesamt 20-köpfigen Team, die keine Rücklagen haben, mit anderen Jobs und Tätigkeiten aufstocken müssen. 40 Stunden arbeitet niemand bei Missy, dafür fehlt vor allem das Geld. Die Inflation hat das Problem verstärkt. „Man kann sich mit demselben Lohn heute nicht mehr dasselbe leisten wie noch vor einigen Jahren, da vieles teurer geworden ist. Dadurch wurden unsere Löhne entwertet“, sagt Ulla Heinrich, Geschäftsführer*in. Redakteurin Jennifer Beck pflichtet dem bei. Als sie vor etwa fünf Jahren bei Missy anfing, konnte sie mit dem Festgehalt noch ihre Fixkosten decken. Das sei inzwischen schwieriger. Ab und zu würden sich Existenzängste einschleichen, die sie vorher nicht hatte, so Beck.

„Man kann sich mit demselben Lohn heute nicht mehr dasselbe leisten wie noch vor einigen Jahren, da vieles teurer geworden ist. Dadurch wurden unsere Löhne entwertet.“ – Ulla Heinrich, Geschäftsführer*in

Die letzten Wochen haben nun das Thema Geld und Existenz für die Missys nochmal auf eine ganz andere Art auf die Tagesordnung gebracht.  Denn das Magazin ist in eine finanziell missliche Lage geraten – und das ausgerechnet in dem Jahr, in dem Missy 15. Geburtstag feiert. Wer die Redaktion betritt, merkt sofort, dass hier ein Indie-Magazin mit wenigen Mitteln produziert wird. Berge an alten Ausgaben stapeln sich überall. Es gibt keine Rückzugsräume, alles spielt sich in einem größeren Dachgeschosszimmer mitten in Berlin ab. Sollte ausnahmsweise Mal das gesamte Team zur selben Zeit da sein, wird es eng. Größere Redaktionsräume oder ein richtiges Lager sind finanziell nicht drin.

Wer die Redaktion betritt, merkt sofort, dass hier ein Indie-Magazin mit wenigen Mitteln produziert wird.

Als das Missy Magazine 2008 als Herzensprojekt von Sonja Eismann, Chris Köver, Stefanie Lohaus und Margarita Tsomou gegründet wurde, gab es keine Strukturen für Redaktion und Vertrieb. Zusätzlich zum geringen Verdienst, konnte das für angespannte Situationen sorgen, die auch an die Substanz der Beteiligten gingen. Um das zu vermeiden, hat das Team in den vergangenen Jahren seine Strukturen ausgebaut und professionalisiert. Vor allem die Redaktion, die vorher viele andere, nicht redaktionelle Aufgaben übernommen hatte, wurde durch die Einführung einer Geschäftsführung oder der Social-Media-Abteilung entlastet. Sollte es in der Redaktion einen krankheitsbedingten Ausfall geben oder jemand überraschend Menstruationsurlaub nehmen, kann dies durch eine Vertretung aufgefangen werden. Und: Missy kann inzwischen auf einen großen Pool freier Journalist*innen, Illustrator*innen und Fotograf*innen zugreifen, die für das Magazin arbeiten, trotz der auch nach einer kürzlich erfolgten Anpassung der Honorare noch immer verhältnismäßig schlechten Bezahlung. Das Team zählt freie Mitarbeiter*innen dabei genauso zu seiner Community wie die Abonnent*innen. Abos sind, neben den Werbeeinnahmen, Missys Standbein. Sie sind das Geschäftsmodell. Risky Business, aber so will sich das Team die Unabhängigkeit, die ihm so wichtig ist, erhalten. Große Verlage oder Finanziers im Hintergrund zu haben, kommt hier für niemanden in Frage. Das bedeutet auch: Größere Rücklagen oder Finanzspritzen, wenn es mal enger wird, gibt es nicht.

Große Verlage oder Finanziers im Hintergrund zu haben, kommt hier für niemanden in Frage. Das bedeutet auch: Größere Rücklagen oder Finanzspritzen, wenn es mal enger wird, gibt es nicht.

Seit einigen Monaten machen sich nun aber die Auswirkungen der Inflation besonders in der Produktion des Heftes bemerkbar. Mitte letzten Jahres erfuhr die Geschäftsführung, dass die Druckerei, in der Missy jahrelang gedruckt wurde, pleite ist. Schnell musste eine neue her. Inzwischen wird Missy in Lahr, einem kleinen Ort in Baden-Württemberg am Rande des Schwarzwalds gedruckt. „Die Situation der Papierindustrie und der Druckereien ist das Resultat einer Abfolge von Krisen im Zusammenhang mit der Coronapandemie, dem Ukrainekrieg und der Inflation“, erläutert Markus Kaufmann, Geschäftsführer des Druckhaus Kaufmann, in dem rund 200 Mitarbeiter*innen tätig sind. In Deutschland hätten, so Kaufmann, in den vergangenen 15 Jahren viele Druckereien den Betrieb einstellen müssen: Von 120 vergleichbaren industriellen Betrieben gebe es nur noch knapp 30. Die aktuellen Schwierigkeiten haben in der krisenerfahrenen Branche mit dem Wegfall von Druckaufträgen aufgrund teuren Papiers und der fortschreitenden Digitalisierung zu tun. Beschleunigt hätten dies die Maßnahmen während der Pandemie, so Kaufmann. Plötzlich mussten beispielsweise keine Kataloge oder Flyer mehr für die Tourismusbranche gedruckt werden. „Diese Vollbremsung führte dazu, dass Papier weniger nachgefragt wurde und die Papierindustrie ihre Kapazitäten nach unten angepasst hat.“ Anfang 2021 sei Papier noch sehr günstig gewesen. Doch neben den Auswirkungen der Pandemie seien die Energiepreise stark angestiegen, was zwischenzeitlich zu einer Papierteuerung von über 100 Prozent führte. Vor allem Gas als fossiler Energieträger und Strom spielen bei der Papierproduktion nach wie vor eine große Rolle. Die Herstellungskosten für eine Zeitschrift liegen etwa um die 60 Prozent beim Papier. „Die Papierpreisexplosion konnte keine Druckerei alleine stemmen. Wir mussten die Preise erhöhen“, sagt Kaufmann. Erschwerend kommt hinzu, dass ein wichtiger Absatzkanal für Zeitschriften der Lebensmitteleinzelhandel ist. Die Zeitschriftenregale dort kennt man. Doch mit der Inflation würden sich Kund*innen laut Kaufmann nun zweimal überlegen, ob sie zusätzlich zum Einkauf noch eine Zeitschrift mitnehmen.

Mitte letzten Jahres erfuhr die Geschäftsführung, dass die Druckerei, in der Missy jahrelang gedruckt wurde, pleite ist.

Missy-Geschäftsführer*in Heinrich bestätigt das: „Auf unserer Website kann man einen Grund anklicken, wenn man sein Abo kündigt. Mit Abstand am häufigsten wird ‚Preis ist mir zu hoch‘ angeklickt.“ Für Heinrich ist das verständlich, schließlich seien die Abonnent*innen häufig ein Spiegelbild der Redaktion und des Rests der Community: prekär lebend und mehrfachmarginalisiert. Die Inflation hat zu einer Zunahme der Kündigungen bei den Abos geführt, aber vor allem auch dazu, dass weniger neue Abos abgeschlossen werden als noch vor einem oder zwei Jahren. Das steht den enorm gestiegenen Druckkosten gegenüber. Zusammengenommen ergibt sich so ein finanzielles Missverhältnis, das Missy nicht mehr allein stemmen kann. Das Team startete deshalb Mitte Juli die Kampagne #RetteMissy und passte zudem den Abopreis an. Laut Heinrich habe das Magazin seitdem eine „unglaubliche Welle an Solidarität“ erfahren. Viele Menschen sind dem Ruf gefolgt, ein Abo zur Unterstützung von Missy abzuschließen. Das Ziel von 1500 neuen Abos in zehn Wochen war schon nach zwei Tagen erreicht. Damit ist die akute Krise zwar abgewendet, eine langfristige Planung sei dennoch nicht möglich. „Deswegen machen wir auch weiter mit unserer Kampagne“, sagt Heinrich.

Die Abonnent*innen sind häufig ein Spiegelbild der Redaktion und des Rests der Community: prekär lebend und mehrfachmarginalisiert.

Allein ist das Magazin mit der Krise nicht: Auch andere linke Medien sind von der Inflation betroffen. Die Tageszeitung „nd“, vormals „neues deutschland“, etwa hat jüngst bekannt gegeben, eine Finanzierungslücke von 600.000 Euro schließen zu müssen. Diese sei durch äußere Faktoren wie gestiegene Herstellungs- und Vertriebskosten entstanden, und auch durch eigene Fehler, die der Umstrukturierung beim Übergang von der GmbH zu einer Genossenschaft geschuldet waren, sagt Regina Stötzel, Mitglied der Redaktionsleitung. „Vor allem aber hat uns die Inflation zu schaffen gemacht. Die Kosten sind so drastisch gestiegen, dass wir trotz treuer Leser*innen, die auch Genossenschaftsanteile gezeichnet haben, eine Rettungskampagne starten mussten.“ Seither wirbt das „nd“ um Unterstützung. Auch wurden einige Sparmaßnahmen beschlossen und zuletzt zwei Redaktionsstellen nicht nachbesetzt. Anderswo muss man sich dagegen um Geld keine Sorgen machen: Selbst nach zahlreichen Vorwürfen wegen Belästigung und Machtmissbrauch vertritt beispielsweise Ex-Bild Chefredakteur Julian Reichelt weiterhin reichweitenstark seine Meinung auf Youtube. Inzwischen sind er und andere Rechte wie Jan Fleischhauer und Reichelt Ziehsohn Julius Böhm Teil der neu gestarteten Pseudo-Nachrichten-Plattform „Nius“. Diese wird von dem CDU-nahen Unternehmer Frank Gotthardt finanziert. Gotthardt betreibt bereits drei Fernsehsender. Mit „Nius“ finanziert er ein Portal, auf dem u.a. Stimmung gegen trans Menschen und Geflüchtete gemacht wird.

Dass linke Medien in Zeiten, in denen die AfD bei Umfragen inzwischen regelmäßig neue Rekorde bricht, ums Überleben kämpfen müssen, während rechte Medien eindeutig mehr Menschen erreichen können, u.a., weil sie finanziell besser aufgestellt sind, ist wohl auch ein Gradmesser dafür, wie stark Rechte in Deutschland sind.

Es gibt keine Erhebung darüber, ob Medien in Deutschland inhaltlich eher konservativ oder progressiv sind. Vereinzelt existieren Studien über die politische Ausrichtung von Journalist*innen oder über die mangelnde Vielfalt in Talkshows. Verlässliche Aussagen über die Inhalte lassen sich aber nicht treffen. Doch dass linke Medien in Zeiten, in denen die AfD bei Umfragen inzwischen regelmäßig neue Rekorde bricht, ums Überleben kämpfen müssen, während rechte Medien eindeutig mehr Menschen erreichen können, u.a., weil sie finanziell besser aufgestellt sind, ist wohl auch ein Gradmesser dafür, wie stark Rechte in Deutschland sind. „Wir brauchen Missy als Gegenstimme. Als Raum für verschiedene Perspektiven und für eine feministische Community“, sagt Stella Richter. „Wenn es Missy nicht gibt, wäre das bezeichnend für die Welt, in der wir leben. Es wäre unser gesellschaftlicher Untergang, den Rechten das Feld zu überlassen.“