medieneliteIch bin noch nicht lange Feministin und Verfechterin diverser Gender-Theorien. Genauer gesagt, kam der Impuls zu meinem derzeitigen Studium erst vor etwa einem Jahr auf dem „Gender is Happening“ der Heinrich-Böll-Stiftung. Vorher fand ich Quoten doof und schien mir relativ sicher zu sein, dass meine Homosexualität irgendwie genetisch bedingt sei. 24 Jahre meines Lebens konnte ich mit diesen festen Denkstrukturen ganz gut verbringen. Soziale Ungleichheiten trafen mich bis dato lediglich aufgrund meiner Liebe zum gleichen Geschlecht, Sexismen erkannte ich erst gar nicht, sondern dachte mir immer: Männer sind halt chauvi und Frauen sind tussig.

Das Studium, Literatur, Blogs und Gespräche mit Menschen, die essenzialistischen und naturalisierenden Strukturen eher ablehnend gegenüber stehen, erweckten in mir meine gendersensible und feministische Ader. Seitdem befinde ich mich permanent in einem Empowerment- und Befreiungszyklus, der mein gesamtes Denken, Fühlen und Handeln auf den Kopf stellt. Endlich finde ich Antworten auf mein Ohnmachtsgefühl, auf mein Gefühl von Gefangensein und sehe Ungleichheiten, die ich sonst nie in Frage gestellt hätte. Ich kritisiere meine eigenen Vorurteile und versuche mich von unumstößlichen Erklärungen von der Welt zu lösen. Diese Arbeit mit sich selbst brachte in mir unweigerlich Gedanken von Missionierung hervor, halte ich doch das Hinterfragen von Hierarchien und Kategorien für ein besseres Menschenbild als das stereotype Rollenverständnis von Mann und Frau. Ich bin zu einer Kämpferin für Gleichheit und Gerechtigkeit geworden – allerdings mit dem Kopf durch die Wand und netten flauschigen Scheuklappen, die nicht selten den Blick auf Bedürfnisse von anderen verdecken.

Nämlich zu erkennen, dass es Menschen gibt, die sich gern mit festen Strukturen zufrieden geben, weil für sie selbst kein Handlungsbedarf besteht. Dass Menschen sich subjektiv Handlungsmacht einräumen, obwohl sie objektiv gefangen und unterdrückt erscheinen. Das ist eigentlich weniger ärgerlich, denn mehr als wünschenswert.

Während ich in meinen Vorstellungen von Ungleichheiten, Hierarchien und Gewaltformen bade und mich oft ohnmächtig fühle, Veränderungsprozesse anstoßen zu können, gelingt es einer Vielzahl von Menschen permanent zu verändern und zu gestalten, ohne dabei an den Grundpfeilern zu rütteln – weil sie es nicht müssen und weil sie Grundpfeiler brauchen, um durch die Welt navigieren zu können. Es ist zweitrangig, ob diese Grundpfeiler nun aus freien Stücken selbstgewählt oder naturalisiert und sozialisiert gedeutet werden. Wir teilen uns die Welt auf und dann legen wir los, sie mit Ideen, Handlungen und Leben zu füllen.

Wer uns die Grenzen unseres Handelns streitig machen will – seien es diese ollen Gender-Theoretiker_innen oder Biologist_innen, dem verwehren wir uns vehement. Dafür braucht es keine Argumentation, wir fühlen uns schlicht in unserer Handlungsfreiheit eingeschränkt, neu eröffnete Handlungsstränge werden daher nicht als Möglichkeit oder Erweiterung gesehen, sondern als glatteisiges Terrain ohne Chance auf Wiederkehr in alte gewohnte Gefilde.

So kam ich nämlich zu einer Erklärung, warum es mir nicht möglich ist, einen universellen queeren Standpunkt einzunehmen. Ich denke selten queer. Queers sind mir zu frei, zu selbstbestimmt, zu offen, zu wenig identitär. Das ist keine Kritik an queeren Interventionen, sondern an mir selbst. Ich will einfach nicht so sein. Ich habe Angst davor, Angst ohne meine gewohnten Pfeiler auskommen zu müssen, Angst mich überfordert zu fühlen, wo mich doch jetzt schon feministische oder gendersensible Denke überfordert, weil ich damit immer wieder auf neue Problemfelder stoße.

Insofern kann ich nachvollziehen, warum es Menschen gibt, die an naturalisierten und essenzialistischen Welterklärungen festhalten, weil auch ich dies tue – nur irgendwie mit einer anderen Perspektive. Ich stehe an einem anderen Grundpfeiler ein paar Meter weiter links oder rechts, vorn, hinten, oben, unten, egal.

Grundpfeiler sollten also nicht auf Teufel komm raus eingerissen, sondern beständig vervielfältigt werden. So bleiben am Ende für alle genug Pfeiler übrig, um ihre Parzelle ganz unabhängig und frei mit Leben zu füllen, Macht über das eigene Handeln zu bekommen. Denn ohnmächtig will sich niemand fühlen.