Monika Gintersdorfer ist unsere Frau von Rolle vorwärts in der aktuellen Missy. Darin stellt Sie ihr Projekt „Rue Princess“ vor, dass Sie zusammen mit Knut Klassen und deutschen sowie ivorischen KünstlerInnen erarbeitet hat. Kommendes Wochenende kann man das Ergebnis live begutachten – beim zugehörigen Festival auf Kampnagel in Hamburg.

Wann & Wo?
Donnerstag, 7. Oktober 2010, ab 18 Uhr
Freitag, 8. Oktober 2010, ab 18 Uhr
Samstag, 9. Oktober 2010, ab 19 Uhr
Kampnagel Hamburg, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg

Monika Gintersdorfer erzählt in Missy wie die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Hamburg mit Abidjan lief und warum sie Zukunft hat (Protokoll Elise Graton):

Es gibt Leute, die glauben, dass irgendwas bei uns nicht stimmt, dass es doch rassistisch oder inkorrekt sei, wie wir in unseren Stücken mit ivorischen und deutschen DarstellerInnen arbeiten und dadurch eine unterschiedliche Körperlichkeit sichtbar wird. Kritiker spielen das häufig gegeneinander aus. Sie sind fasziniert von den afrikanischen Darstellern und schämen sich gleichzeitig für das eigene Europäische. Da liegt ein Missverständnis vor. Denn es geht bei uns nicht um Wettbewerb zwischen den Identitäten, sondern darum, gemeinsam Differenzen zu beschreiben. Mein Projektpartner Knut Klaßen und ich arbeiten seit 2005 mit ivorischen Künstlern und insbesondere mit dem Choreografen und Sänger Franck Edmond Yao zusammen. Eine unserer ersten gemeinsamen Arbeiten, die Serie „Ob du willst oder nicht, du musst“ lief 2006 im Prater, aber wir haben nicht viele Karten verkauft. Im Zentrum stand eine Inszenierung über die schwelende politische Krise in der Elfenbeinküste, nicht gerade Topthema in Deutschland und in seiner Komplexität schwer zu vermitteln.

Verständlich, denn es ist auch eher einem Zufall zu verdanken, dass ich mich überhaupt für das Thema interessiere. In Hamburg habe ich den ivorischen Modedesigner Bobwear kennengelernt, der mich zu Musik- und Tanz-Shows mitgenommen hat. Von allein wäre ich nie darauf gestoßen. Aber mir gefiel sofort, dass diese Szene aus Riesenangebern zu bestehen schien, die bei jeder Gelegenheit rhetorisch, gesanglich und tänzerisch performen können. Das liegt mir als Theaterregisseurin: Wagemut und Spinnertum, wobei es nie um Perfektion geht, sondern um Behauptung und Stil. Man kann mit ihnen gleich loslegen und es entstehen starke Auftritte.

Erstmals breiter wahrgenommen wurden wir ab 2008 mit „Othello, c’est qui“, in dem Franck und die Schauspielerin Cornelia Dörr ihre Sicht auf das Shakespeare’sche Original zeigen. Die Auseinandersetzung mit einem solchen Klassiker bietet dem Publikum ein klares Bezugsfeld, und da hat dann jeder erkannt, was Franck auf der Bühne macht. Von da an haben wir mit immer wechselnden KünstlerInnen kooperiert, etwa mit dem amerikanischen Tänzer Richard Siegal für den letzten Teil unserer Reihe „Logobi“.

„Rue Princesse“ ist unser bisher größtes Projekt: Über fünfzehn KünstlerInnen aus Deutschland haben wir für jeweils zwei Wochen nach Abidjan eingeladen. Es geht wieder um ivorische Themen, nämlich die Verbindung von Politik, Showbiz und Religion, den drei aktuell wichtigsten Kräften im Land. Noch vor Kurzem herrschte Bürgerkrieg – die Lage ist bis heute instabil. Zur gleichen Zeit ist aber Coupé-Décalé, eine neue Musik- und Tanzform entstanden, die eine eigenwillige Erfolgsgeschichte erzählt und nun afrikaweit sehr populär geworden ist. Die Erfinder dieses Stils, die zwischen Paris und Abidjan pendeln, nennen sich nicht umsonst „Jet Set“. Ein Muss für die Szene sind die Clubs an der Rue Princesse, auch bekannt als größte Vergnügungsmeile Westafrikas.

Für das Projekt haben wir KünstlerInnen aus Deutschland nach Abidjan gebracht, die in ihrer Arbeit ähnliche Themen behandeln und in ihrer eigenen Karriere Musik, Politik und Kunst verbinden: Leute, die schnell reagieren und innerhalb weniger Tage eine Show oder einen Song raushauen. Auch wenn die Technik unter der Hitze gelitten hat, ist viel entstanden: Das VideokünstlerInnen-Duo AlexandLiane hat einen Film über die Tänzer des Coupé-Décalé gedreht. Jacques Palminger und Erobique haben mit dem Sänger Shaggy Sharoof den Song „Totaler Spinner“ aufgenommen, der jetzt in Deutschland beim Label Staatsakt erscheint. Melissa Logan von den Chicks on Speed und Nadine Jessen, die in Hamburg gemeinsam die Girlmonster- Abende veranstalten, ließen feministische elektronische Musik auf Coupé-Décalé treffen.

Die Kooperationen laufen nicht nur zwei Wochen, sondern bestenfalls langfristig – sowohl in Abidjan als auch in der deutschen Szene. Im Moment sieht es so aus, als würde das klappen: Girlmonster sind im Juni mit Shaggy Sharoof und Gadoukou la Star durch die Clubs von Abidjan getourt und ab August kommen ivorische Künstler nach Deutschland, unter ihnen die Arrangeure Champy Kilo und Elvis Seconde. Wenn wir Glück haben, wird daraus ein ganz neuer Stil entstehen.