denkwerstatt-rahmenNeulich in einem Wiener Amtsgebäude: Vor mir steht eine ältere Frau und beschwert sich über ein umständlich formuliertes Rundschreiben. „Kann man das nicht so schreiben, dass es auch jede Billa-Kassiererin* versteht?“, schnaubt sie. „Kann man das nicht so schreiben, dass es auch ich verstehen kann?“, würde wohl eher der Wahrheit entsprechen. Aber da ist immer noch die Supermarktkassiererin, auf die mensch zurückgreifen kann, um sich nicht selbst bloßstellen zu müssen.

Die Kassiererin ist nämlich offensichtlich ganz unten. Auch in Seminaren an der Uni sprechen wir über sie.

Schließlich haben uns schwarze Feministinnen schon in den 70er Jahren darauf hingewiesen, dass es  „die Frauen“ nicht gibt. Frauen sind von ganz unterschiedlichen Formen der Diskriminierung betroffen – race kann je nach Kontext etwa weitaus stärker ins Gewicht fallen als gender.

Autorinnen wie Chandra Mohanty kritisierten außerdem die Stigmatisierung der „dritten Welt-Frau“ durch westliche Feminstinnen: „This average third world woman leads an essentially truncated life based on her feminine gender (read: sexually constrained) and being ‚third world’ (read: ignorant, poor, uneducated, tradition-bound, domestic, family-oriented, victimized etc.). This, I suggest, is in contrast to the (implicit) self-representation of Western women as educated, modern, as having control over their own bodies and sexualities, and the freedom to make their own decisions.“

Wenn „wir“ Feministinnen also von „uns“ Frauen sprechen, dann sollten wir besonders sensibel für unzulässige Verallgemeinerungen sein. Und da kommt die Billa-Kassiererin wieder ins Spiel. Im Gender Studies Seminar reflektieren wir nämlich unsere eigene Position, von der aus wir sprechen: die Position der (oftmals) weißen Mittelschichts-Akademikerin. Bei einer Diskussion über die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt merkte jüngst  jemand an, dass hier natürlich differenziert werden müsse – eine Billa-Kassiererin würde sich wohl kaum mit ihrer Erwerbsarbeit identifizieren können und sie dementsprechend nicht per se als etwas Positives erleben.

So ist sie also, die Billa-Kassiererin: Sie übt eine Tätigkeit aus, die keine Erfüllung bieten kann und ist noch dazu wenig gebildet. Natürlich handelt es sich bei diesem Beruf tatsächlich um einen schlecht bezahlten, der oftmals mit Teilzeitarbeit und unregelmäßigen Arbeitszeiten verbunden ist und überwiegend von Frauen (und Migranten) ausgeübt wird. Dennoch stößt es mir sauer auf, wenn „die Kassiererin“ als Symbol für die Frau ganz unten dient und noch dazu den Gegenentwurf zur Mittelstands-Akademikerin darstellen darf.

Denn natürlich beinhaltet diese „Differenzierung“ eine hierarchische Komponente: Wenn es die ungebildete Kassiererin gibt, dann gibt es auch die gebildete, selbstbestimmte Akademikerin, die sich in ihrem Umfeld verwirklicht. Und auch wenn es notwendig ist, ökonomisch benachteiligte Gruppen zu benennen, so brauchen wir dazu das Stereotyp der Billa-Kassiererin nicht, die sich gegen unsere Zuschreibungen nur unzureichend zur Wehr setzen kann.

PS. Wer sich für das Phänomen der „Billa-Kassiererin“ näher interessiert, sollte dieses Wort  in eine Suchmaschine eingeben. Unglaublich, was da alles zu finden ist.

*In Österreich werden Markennamen besonders gerne als Synonyme für allgemeine Bezeichnungen verwendet, die REWE-Supermarktkette „Billa“ steht dementsprechend (in Ost-Österreich) für Supermärkte generell.