Das Netzprojekt raw/war ist ein Archiv für Kunst von Künstlerinnen (und alle, die sich als Frau fühlen). Es präsentiert diese öffentlich  – und ohne Auschlussverfahren. Denn immer noch sind die meisten Werke in öffentlichen Museen von Männern gemacht, immer noch sind Frauen im Kunstbetrieb weniger sichtbar. Ziel von raw/war ist also die Umgehung der bisherigen Geschichtsschreibung, da diese mittels Favorisierung und Kanonisierung durch Einzelpersonen vieles was „anders“, also nicht normativ, ist, ausblendet. Stattdessen soll zukünftig eine neue, umfassende und demokratische Historisierung ermöglicht werden, die beweist, dass Frauen keine blinden Flecke in der (Kunst-) Geschichte sind. So lautet auch das Hauptmotto von raw/war „Bring Light“. Das Archiv ist interaktiv und gemeinschaftlich organisiert. Mitmachen kann jede/r, egal ob man die eigene Kunst einbringen möchte oder andere Künstlerinnen empfiehlt.

Aus der bisherigen Sammlung von raw/war hat die Projektleiterin Lynn Hershman Leeson eine Installation während des Sundance Filmfestivals zusammengestellt. Das Projekt raw/war versteht sich auch als Dokumentation und Fortführung des Feminist Art Movement in den USA.

Über das Feminist Art Movement hat Lynn Hershmann Leeson auch einen Film gedreht, !Woman Art Revolution, der dieses Jahr auf der Berlinale zu sehen war. Der Film thematisiert mittels archiviertem und neuem Interviewmaterial die us-amerikanische feministische Kunstbewegung. Die ursprünglichen Anliegen der Ende der 60er Jahre initiierten Feminist Art Movement lagen darin, die Bemühungen und Errungenschaften der feministischen Bewegung in ihre eigene Kunstproduktion einzubauen, um eine Reflexion und Veränderung innerhalb der Kunstszene zu bewirken. Der Fokus lag auf der Hervorhebung von Frauen in der Kunstgeschichte und Gegenwartskunst, gearbeitet wurde mit sogenannten „weiblichen Technologien“ wie Performance-Kunst, Verkleiden und Video-Installationen. Das Projekt wurde zunehmend zum Selbstläufer und lief in zahlreiche produktionsästhetische Bereiche über, wie in das Feminist Design Programm oder in feministische Schreibkurse.

Die Effekte dieser Bewegung reichen bis in die Gegenwart, zahlreiche KünsterInnen haben die Ideen aufgegriffen und erweitert. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das seit Mitte der 80er Jahre aktive Kollektiv Guerilla Girls, das bis heute radikal feministische und antirassistische Kunst produziert und die Öffentlichkeit mit Aussagen wie „Do women have to be naked to get into the Met. Museum“ provoziert. Dabei werden umfangreiche Konzepte aufgegriffen, wie etwa Prozessualität im Sinne eines stetigen, unstatischen Frau-, Tier- und Schwarz-Werdens: Sie präsentieren sich als Gruppierung, deren Agitatorinnen unbekannt sind, sich aber nach verstorbenen Künsterinnen immer wieder neu benennen, tragen Gorilla-Masken und prangern alle Formen von Herrschaft an. Ihr Unterfangen übersteigt somit das rein feministische, es geht um den Einsatz für alle benachteiligten Minoritäten. Dabei entziehen sie sich jeglicher Identifikation: „Wir könnten jede sein; wir sind überall“ – und so ist es auch erwünscht, dass sich neue, ähnlich konzipierte Gruppen bilden. Exklusivität und Originalität werden somit klar abgelehnt.

In !Women Art Revolution stellt Hershman Zusammenhänge zwischen der feministischen Kunstbewegung und anderen historischen Ereignissen, wie Anti-Kriegs- und Bürgerrechtsbewegungen her. Zeitsprünge machen eine chronologische Zuordnung nicht immer ganz einfach, vermitteln aber vor allem eines: Es hat sich zwar einiges an den strukturellen Verhältnissen in der Kunstwelt geändert, aber wir sind noch längst nicht am Ziel. Nachfolgende KünstlerInnen-Generationen scheinen die Errungenschaften der Feminist Artist Bewegung der ersten Stunde als selbstverständlich hinzunehmen, und der Begriff Feminismus ist vielen irgendwie unbequem geworden, obwohl das Thema nicht an Aktualität verloren hat. So wurde beispielsweise eine Feminist Art Show vom US-Kongress (natürlich von Männern) als Pornographie abgestempelt und verboten. Hershman Leeson selbst bekam eine ihrer Arbeiten von einem Käufer mit großer Empörung zurück, als er herausfand, dass sie von einer Frau stammte. Der Film erzählt von Zensur, Diskriminierung und Aufbegehren, von den daraus entstehenden alternativen Kunst- und Aktionsräumen. Wie schockierend relevant das Thema auch heute noch ist, zeigt sich an einem simplen Beispiel. Als die Regisseurin 2006 vor dem MOMA in New York Museumsbesucher befragte, ob sie ihr 3 weibliche Künstlerinnen nennen könnten, kamen die wenigsten über Frida Kahlo hinaus.Die Regisseurin zeigt Positionen von Künstlerinnen und Aktivistinnen, wie Adrian Piper, Martha Rosler, Miriam Shapiro, Marcia Tucker, Hannah Wilke, Ana  Mendieta, den legendären Guerilla Girls, Miranda July und vielen mehr. Der Soundtrack zum Film, produziert von Ex-Sleater-Kinney Carrie Brownstein, unterstreicht das Konzept, es wurden ausschließlich weibliche, repräsentative Musikerinnen wie Sleater Kinney, Laurie Anderson, Erase Errata und Janis Joplin ausgewählt.

Anders als der Film beschränkt sich das raw/war Netzprojekt nicht auf nationale Grenzen. Auch die Kunstform wird nicht eingegrenzt, es werden lediglich grobe Kategorien wie etwa „Körperpolitik“, „Identität“, „sozialer Protest“ etc, vorgegeben.

Die Offenheit der feminisischen Kunstbewegung, alle Interessierten am eigenen Kunstprozess teilnehmen zu lassen, bietet auch raw/war. Allein die Betitelung des Projekts intendiert eine Mannigfaltigkeit, „raw“ kann beispielsweise roh, neu und offen bedeuten. Revolution Art Women – ein nicht abgeschlossenes und nicht wirklich abschließbares Unterfangen, zumal Ausgrenzung weiter besteht. Auch wenn sich an den äußeren Strukturen einiges getan hat, stellen vor allen Dingen viele innere Positionen noch eine große Hürde dar.

Ansehen kann man sich die Installation sowie alle hinzugefügten Beiträge auf der raw/war-Seite und bei Interesse auch gleich mitwirken.

Text: Justine Donner/ Viola Thiele (Filmreview)

Foto: www.rawwar.org