Nuo begann mit 19 Jahren zu Boxen und hatte den Traum, in dieser Männer-Sphäre ein Profi zu werden. In dieser Erzählung schildert sie ihre Erfahrungen in dem harten Sport, die Vorurteile die ihr begegneten und ihren Kampf um Anerkennung.

Foto: Andreas Reiner

Es ist Sommer, ihr T-Shirt ist komplett durchgeschwitzt, der Schweiß tropft ihr ununterbrochen von der Stirn, ihre Augen glänzen, sie bekommt schlecht Luft, es ist ein schwüler Tag. Im Sommer ist es besonders anstrengend, eigentlich kann sie nicht mehr, sie ringt nach Luft, aber bloß keine Schwäche zeigen, dass darf sie nicht, vor allem nicht hier, nicht vor den ganzen Jungs und ihrem Trainer. Sie gibt nicht auf, dass hat sie noch nie. Das Training ist hart vor allem im Sommer, aber auch sonst, immer. Ihre Hand schmerzt, sie hatte beim Training wohl wieder die Hand nicht ganz geschlossen gehabt, wie oft wurde ihr das schon gesagt, selber schuld, dachte sie.

Vor über zehn Jahren hat sie angefangen mit dem Boxen, damals haben nur sehr wenige Frauen geboxt, es war und ist eine Männerdomäne. Zuerst war es nur ein Hobby. Anfangs war es richtig schwer überhaupt einen Trainer zu finden, der sie trainieren wollte, nicht, weil sie eine Ausländerin ist, nein, weil sie eine Frau ist, nur aufgrund ihres Geschlechts, die sagten ihr das direkt ins Gesicht. So ein hübsches Mädchen wie sie solle doch eher tanzen. Was sollte sie mit tanzen? Tanzen wollte sie doch gar nicht! Wir schreiben das Jahr 2003 und sie lebt in einem freien Deutschland, wo Demokratie und Gleichheit herrscht, so dachte sie zumindest immer. Sie trainierte viel und hart, sie wurde schließlich doch von einem Trainer akzeptiert. Nach zwei Wochen taten ihre Hände so weh, dass sie in der Schule beim schreiben kaum einen Stift halten konnte, ihre Fäuste fühlten sich wie gebrochen an und die Handknöchel waren geschwollen und voll mit blauen Flecken. Im Training gab es nur eine Sparringspartnerin, die bekam aber immer Nasenbluten, obwohl sie sich bei ihr immer sehr zurückhielt, deswegen musste sie mit den Männern trainieren, sie war nicht das Problem, es lag eher bei den Männern, manche wollten keine Frau schlagen und sie schlug natürlich nicht zurück, wenn sie nicht geschlagen wurde. Aber irgendwann schlug sie doch zu, denn sie wollte trainieren und möglichst schnell gut werden. Beim Sparring geht es um einen simulierten Kampf. Blaue Flecken hatte sie am ganzen Körper, auf dem Kinn und in den Ohren, denn ihre Deckung war noch nicht gut.

Den Respekt der Männer hatte sie sich nach etwa drei Monaten verdient, weil sie merkten, dass sie boxen kann und für eine „Frau“ ziemlich stark ist. Manche Jungs traf sie manchmal ziemlich hart, die fühlten sich dadurch in ihrem Stolz verletzt und die schlugen ihr mit voller Wucht ins Gesicht, dann tat es so weh, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen, aber sie hielt durch. Außerhalb des Box-Clubs fanden es viele Männer „cool“, dass sie boxte, aber wollten nicht näher mit ihr zu tun haben, die meisten Frauen verstanden das gar nicht und fragten immer, ob es denn nicht große Schmerzen bereiten würde und „dumm“ machen würde. Naja, die Schmerzen spürte sie nicht, zumindest nicht sofort, die kamen immer erst danach, wenn sie zur Ruhe kam, aber sie war süchtig, süchtig nach dem Adrenalin, süchtig nach der Anerkennung, die sie durch das Boxen bekam, sie liebte die Veränderung ihres Körpers, ihre Muskeln wurden hart wie Stein, ohne das sie männlich ausgesehen hätte, sie wollte boxen, für sie wurde es eine richtige Leidenschaft. Nach dem Training ging es ihr unheimlich gut, es beruhigte sie ungemein, sie fühlte sich wie neu geboren. Sie wollte besser werden als die ganzen Boxer und es war umso schwerer zu ertragen, dass eine Frau niemals so stark werden kann wie ein guter Boxer.

Zuerst trainierte sie dreimal in der Woche für zwei Stunden, später fünfmal in der Woche. Das Training bestand immer aus Aufwärmen, Schattenboxen, Pratzentraining, Sandsack und Sparring, sie machte alles was die Männer auch machten, es gab für sie keinen Unterschied, anfangs schaffte sie keine Männerliegestützen und sie hatte auch noch nicht so viel Kraft wie jetzt, doch sie lernte sehr schnell, durch das Krafttraining konnte sie ihr Gewicht immer besser stemmen, der Trainer behandelte sie wie einen Mann, Gleichwertig, so wie sie behandelt werden wollte, sie war so dankbar und auch beim Sparring haben sich die meisten Männer und Jungs kaum zurückgehalten, natürlich war sie als Frau körperlich schwächer, aber in anderen Dingen stand sie den Männern in nichts nach, die Männer akzeptierten sie und das gab ihr ein gutes Gefühl, denn sie hatte hart dafür gekämpft um überhaupt ernst genommen zu werden. Fünfmal in der Woche jeden Morgen zwischen fünf und sechs Uhr joggte sie zehn km und zweimal in der Woche machte sie Krafttraining, zusätzlich zum Boxtraining versteht sich, sie schaffte schon 50 kg, sie wog selber kaum mehr als 62 kg.

Nach zwei Jahren boxte sie nur noch Wettkämpfe die ersten sechs Kämpfe verlor sie, aber sie machte immer weiter, ließ sich dadurch nicht entmutigen, da es so wenige Boxerinnen gab, musste sie immer gegen Boxerinnen boxen, die schon viel mehr Erfahrung hatten und sie hat „alles“ geboxt, denn sie hatte keine Angst, ihr Mut war grenzenlos. Eine Runde bei den Frauen geht zwei Minuten, aber wenn du nur Schläge einsteckst, dann gehen die Minuten niemals vorbei, eine Minute kommt dir dann vor wie eine Stunde und Sekunden sind wie Minuten, wenn die Gegnerin stärker ist, ist es wirklich schwer durchzuhalten, dann kannst du nicht mehr, die Beine wollen nicht mehr, du spürst keine Schmerzen, du fühlst dich wie betäubt, aber es knallt, es knallt immer wieder, du kannst nicht mehr, bekommst keine Luft mehr, du kannst deine Arme nicht mehr hochhalten, bist dann ungeschützt und du würdest in solchen Situationen am liebsten wegrennen, aber es geht nicht, du bist im Ring und spitzt deine Ohren und erwartest sehnsüchtig den Gong zur Pause oder das Ende des Kampfes ab. Im Ring kämpft man immer alleine, keiner kann dir helfen, du hörst zwar deinen Trainer, aber umsetzten musst du immer noch alles alleine.

Ohne ihren Willen hätte sie so einiges nicht durchgestanden. Wenn sie so einen Kampf hatte ging es ihr danach schlecht, sie hatte fürchterliche Halsschmerzen, die Stimme war fast weg und alles tat ihr weh, manchmal tat der Kiefer weh, manchmal die Hände, manchmal auch der Kopf. Einmal wurden ihr bei einem Kampf drei Rippen gebrochen, das war in der zweiten Runde, ihre Gegnerin war damals schon Weltmeisterin in Kickboxen bei den Amateuren und wollte sich noch alle Titel beim Boxen holen, die Schläge, die ihre Gegnerin austeilte waren so hart, dass sie nur noch Sterne sah, jeder Schlag trieb ihr die Tränen in die Augen, die Schmerzen waren quälend, kaum auszuhalten, bohrten sich wie Nadelstiche ins Herz, aber sie hielt durch bis zum Ende, bis zum Schluss, danach musste sie für mehrere Tage ins Krankenhaus. Hatte sie verloren war es für sie ein Ansporn noch mehr zu trainieren, sie wollte und konnte nicht aufgeben. Einmal wurde sie von einem Sparringspartner Niedergeschlagen, sie merkte es kaum, als sie es realisierte, kniete sie schon auf dem Boden und stützte sich mit beiden Händen ab, sie musste weinen vor Wut, sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, ihr Trainer tröstete sie, sie schämte sich, denn sie zeigte zum ersten Mal Schwäche. Ihren ersten guten Trainer hat sie nie vergessen, er ist wie die erste große Liebe, es ist keine Liebesbeziehung, sie hatte keine sexuellen Gefühle für ihn, aber wie soll sie es beschreiben, sie liebte ihren Trainer unglaublich viel, fühlte sich mit ihm unheimlich verbunden und vertraute ihm, er kannte sie besser als der eigene Freund. Sie war sein Schützling.

Ihre Mutter verstand nicht warum sie boxte, anfangs dachte sie wegen der Jungs, aber die waren ihr egal. Es gab Zeiten da trainierte sie von morgens bis abends, sie konnte lange nicht akzeptieren, warum die guten Boxer körperlich einfach stärker waren als sie, alles andere war in dieser Zeit unwichtig, sie ging nicht auf Partys, traf sich nicht mit Jungs, trank keinen Alkohol, rauchte nicht und ging generell überhaupt nicht mehr aus, während andere Mädchen Make-Up, Klamotten, Partys und Jungs im Kopf hatten, überlegte sie sich wie sie noch stärker werden konnte. Sparring machte sie nur noch mit guten Boxern, die Frauen waren ihr zu „schwach“. Diszipliniert und ehrgeizig war sie schon immer, aber wie wichtig harte Arbeit, Respekt, Willenskraft und Mut überhaupt sind, wurde ihr erst durch das Boxen bewusst. Dabei hatte sie noch nicht mal so viel Talent für den Sport, sie erreichte alles nur mit harter Arbeit ganz viel Ehrgeiz und Disziplin. Früher hätte sie niemals gedacht, dass ein Frauenkörper zu solchen Strapazen fähig ist, aber für sie kann eine Frau alles was ein Mann auch kann. Später holte sie viele Titel und schmiedete mit ihrem Trainer schon Pläne für Olympia 2012.

Seit über drei Jahren boxt sie nicht mehr, es ließ sich einfach nicht mehr mit ihrem Studium arrangieren. Und sie kannte viele gute Boxerinnen, die nicht von dem Boxen leben konnten. Die Masse will Frauenboxen immer noch nicht sehen, für sie unverständlich. Auch wenn sie vieles in dieser Zeit vernachlässigt hat das Boxen hat sie nie bereut und es war eine sehr gute Zeit.
(Text: Nuo Zhu)