In Zürich lässt der Performancekünstler Mathias Ringgenberg fünf Männer miteinander spielen. GAME heißt ein Stück, das Fußball mit mehr als Bier und Männlichkeit mit definitiv mehr als Konkurrenz verbindet.
Von Nora Trenkel

Es ist ein heißer Sonntagabend. Schwitzend stehen zwei Duzend kunstinteressierte Mittzwanziger hinter dem Theater Gessnerallee in Zürich und warten darauf, dass sich die Tür zur Performance auf der Südbühne öffnet. Es wird locker geschwatzt, alle scheinen sich zu kennen, alle sind sie auffallend gut angezogen. Sie erwarten die Performance GAME des Künstlers Mathias Ringgenberg. Der 27-Jährige wurde eingeladen, eine Performance in (kritischem) Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2014 zu kreieren.

Eine Woche vorher sitze ich mit Matthias Ringgenberg in einem Café bei einem Latte freddo. „Im Titel GAME ist phonetisch auch GAY enthalten. Ich wollte ein Stück kreieren, das sich zwar entfernt mit den Themen Homosexualität und Fußball auseinandersetzt, jedoch nicht in die Falle von Gay-Pride und Gay-Is-Good fällt. Ich habe manchmal das Gefühl, das bringt und verändert gar nichts.“

Die geschlechtsneutrale Figur applaudiert den Davids für ihre Eingangsauftritte. Im Hintergrund wird Make-Up auf ein Plexiglas geschmiert.

Ringgenberg beschäftigt sich nicht zum ersten Mal mit Männlichkeiten. Kürzlich hat er ein Fanzine zum Thema Homosexualität und Fußball produziert. „They are maybe gay, but they aren’t allowed to say“ steht da beispielsweise. Homophobie ist im Fußball immer noch Normalität, wobei Ringgenberg vor allem die Medien dafür verantwortlich sieht. „Ich wollte es also etwas anders angehen. Nicht Homosexualität sollte im Zentrum stehen, sondern wie Männlichkeit dargestellt wird.“

Als sich die Türen zur Südbühne öffnen, betritt das Publikum einen mittelgroßen Saal und setzt sich auf die harten, holzigen Festbänke, die an Public Viewing erinnern. Obschon an diesem Sonntag in Brasilien kein Fußball gespielt wird, scheint es eher unwahrscheinlich, dass sich Fußballbegeisterte im Publikum befinden. An das Thema Worldcup-FIFA erinnern an diesem Abend direkt nur die Dekoration der Bar in der hinteren Ecke des Saales und Anspielungen auf David Beckham im Stück.

Die Kosmetikmasken sollen Assoziationen zur Metrosexualität wecken.

Drinnen dröhnt laute R’n’B-Musik aus den Boxen. Diana Ross besingt inbrünstig ihre Begierde nach Männlichkeit mit den Worten „I want muscles“. Eine zwischengeschlechtliche Figur in Jeans, Truckerhemd, weißem Cap und mit einem Schleier von blondem Haar betritt den Raum. „Please. Welcome. David.“ – fordert die affektierte Stimme der Figur das Publikum auf, worauf fünf athletische Männer mit Kosmetikmasken eintreten. Die Kosmetikmasken sollen Assoziationen mit Metrosexualität wecken: „In den 90er-Jahren begann ein männlicher Körperkult, der fortan Metrosexualität genannt wurde. Die Kosmetikindustrie sah in den Männern eine Marktlücke und suchte einen Weg, ihre Produkte zu vermarkten. Fußballer stellten dabei die perfekten Botschafter dar. Denn wer wirkt männlicher und heterosexueller als ein Fußballspieler?“ erklärt Ringgenberg im Kaffee.

Im Laufe der 50-minütigen Performance offenbaren die Davids ihre Gesichter und später auch ihre Körper, bis sie alle nur noch in weißen David-Beckham-for-H&M-Slips vor dem Publikum stehen. Eben diese schwirren dann im Schwarzlicht wie abgetrennte Skulpturen durch den Raum, immer im Hintergrund beobachtet von der geschlechtslose Person, die der ‚Boy-Group’ sagt, was sie zu tun hat. Eine solche Person nutzt Ringgenberg nicht nur für diese Performance: „Ich habe gemerkt, dass es seine Vorteile hat, eine eigene Persona für die Bühne zu entwickeln und nicht als Mathias Ringgenberg dazustehen. Ich bin gerade daran, mir eine solche Persona, mit ihrem eigenen Habitus, ihrer Art zu laufen, zu sprechen, zu tanzen, sich zu bewegen aufzubauen. Es ermöglicht dem Performer eine Fassade aufzubauen, moralische Grenzen zu sprengen. Du kannst dir dann auf der Bühne Dinge erlauben und ausleben, die du im ‚normalen’ Leben nicht tun würdest.“ Beispielsweise Homoerotik in homosozialen Räumen, die Anstrengungen des Mann-Seins und die Opfer der hegemonialen Männlichkeit zu thematisieren.

Im Gegensatz zum Theater scheinen die Besucher_innen während der Performance nicht passiv zu sein, sondern dazuzugehören. Zu Beginn der Performance spürt etwa einer der ‚Davids’ die Herztöne einer peinlich berührten Zuschauerin. Fortan schwingt immer die Angst mit, man könnte unerwarteterweise auch einbezogen werden, etwa wenn die fast nackten Davids immer wieder Zuschauer_innen mit ihren stechenden Blicken fixieren. Genau das scheint den Reiz der Performance-Kunst auszumachen. Das Publikum weiß nicht, was es erwartet. Dadurch entsteht eine Spannung im Raum, die nicht zu vergleichen ist mit einem Theater- oder Museumsbesuch. Das Publikum wirkt konzentriert und nach dem Stück wird untereinander das soeben Gesehene besprochen, diskutiert und hinterfragt.

Im Schwarzlicht wird die Aufmerksamkeit auf die weißen Slips gelenkt.

Doch was ist nun die Botschaft dieser Performance? „In meinem Stück GAME will ich nicht etwas vermitteln, etwas ‚beibringen‘, eine politische Botschaft rüberbringen oder sagen: das ist gut und das ist schlecht. Ich möchte das Publikum anregen, Moods, Emotionen, Assoziationen auslösen. Ich möchte anregen statt vermitteln.“ So werden während der Performance dem Publikum immer neue Männlichkeitsbilder präsentiert, die teilweise laute Lacher auslösen, meist irritieren und die Zuschauenden immer in den Bann ziehen. Die Performance endet, als alle Davids, wieder angezogen, nacheinander auf einem Himmel-Hölle-Spiel aus dem Saal hüpfen. Erinnernd an die Fussball-Liveübertragungen im Fernsehen sprechen sie am Ende des Hüpfspiels ein zögerliches Statement in ein Mikrofon. „Nach der Aufführung verkaufen wir unsere Unterhosen, falls jemand interessiert ist“ meint einer. Als der letzte David ansetzt um etwas zu sagen, fällt ihm nichts ein und er läuft raus. Verschwunden ist die Boygroup.

Bilder: Anja Lina Egli

Die Performance GAME wurde im Juli 2014 im Rahmen des Festivals „LASS ES RAUS“ in der Gessnerallee Zürich gezeigt.

http://www.lass-es-raus.ch
http://mathiasringgenberg.tumblr.com