Von Nadja Preyer

Ostgut Ton und Pop? Das ist wie Berghain und Madame Tussauds. No-mirror-policy versus gestriegeltes Wachsfigurenkabinett. Untergrund versus Touristenfalle. Ein Vergleich, der es wert ist, bemüht zu werden, um die Brisanz von Virginias erstem Album auf dem Berliner Label anzudeuten.

Polarisiert mit ihrem Debütalbum: Virginia © Stephan Redel
Polarisiert mit ihrem Debütalbum: Virginia © Stephan Redel

Mit ihrem Debüt „Fierce For The Night“ ist die DJ, Sängerin und Produzentin jedenfalls klar die Exotin im Ostgut-Kreise – obwohl seit Jahren fest in der Posse verankert. Eigentlich konzentriert sich das Label auf brachialen Techno von unten oder auf flatterhaften House, der oben spielen könnte. Nun ein Album mit Gesang als rotem Faden? Neuland. Doch spulen wir einmal zurück. In Zeiten vor dem Mauerfall, als Techno Ende der 80er die Acid House Welle wegsurfte. Und noch ein Stück weiter: ins goldene Zeitalter von Disco und Boogie, die in den 70ern als Unterhaltungsmusik aus Soul entstanden. Ist nicht der Spirit unseres Nachtlebens genau dieser Wurzel entwachsen?

Fakt ist, dass Virginias Songs sich an einer Lebensader von Clubkultur laben, die Ende der 70er-Jahre am Puls New Yorks aus Disco heraus entstand: die Ballroom Kultur. LGBTQ-Anhänger*innen walkten, posten und tanzten damals zu House Music durch die ersten Clubs oder über improvisierte Catwalks im Ghetto. Nun lässt schon die Headline Virginias Debüts diesen Vibe wieder aufleben.

Die Künstlerin selbst erklärt ihre Titelwahl so: „Ich mag die Doppeldeutigkeit des Begriffs ‚fierce‘, im positiven wie schwermütigen Sinne. Insgesamt hat das Wort einen Beiklang von Explosivität (…)“. Genau wie ihre Songs, die in Koproduktion mit den ebenfalls auf Ostgut heimischen Steffi, Dexter und Martyn entstanden sind. Kopfnote: Pop und Electro. Herznote: House und besagtes Divatum. Ein großartiger Spannungsbogen. Und die Basisnote? Virginias warme, soulige Stimme, die sich wie ein Karamellbonbon über das Seelenleben legt. Und dabei Geschichten von Inspiration und Liebe erzählt. Von zwischenmenschlichen Beziehungen. Und von Zwischenmenschlichkeit im Club. „Fierce For The Night“ ist ein absolut fierces Album, gemacht für alle – auch für die, die nicht reingekommen sind.