Von Timo Posselt

Es gilt als eines der schönsten Festivals Europas und ist dazu eines der umweltfreundlichsten: das Øya Festival in Oslo. Die Missy reiste für euch nach Norwegen, aß Geschirr, kriegte Bauchweh und kam mit einer Tüte Entdeckungen zurück. Die Nachos waren alle, nur Sauce blieb auf dem Teller übrig. Auf der Internetseite des Øya hieß es, die Teller seien essbar. Natürlich brach ich mir ein Stück ab, kaute und kaute.

© Timo Posselt
© Timo Posselt

 

(Bildbeschreibung: Ein brauner Teller mit abgeknabberten Rändern enthält nur noch Soßenreste von den ehemals drauf servierten Nachos. Ein Stück des Tellerrands wurde in Soße gedippt und wird von einer Hand gehalten.)

Irgendwie schmeckte das wie in Leim gepresste Haferflocken. Mit saurer Sahne und Chilisauce ging’s. Doch den ganzen Teller verdrücken – das schaffte ich nicht. Am Øya schienen sie die Umwelt wirklich ernst zu nehmen. Vor ein paar Jahren zog das Festival von der Insel im Fjord (daher der Name „Øya“, was auf Norwegisch „die Insel“ bedeutet) in einen Park mitten im Zentrum von Oslo. Zeltplatz gibt es keinen, dabei spart man wohl schon jede Menge Müll. Sonnenversengte Bierhelm-Festivaltrolle brüllten auch nicht rum, ganz im Gegensatz zu den meisten deutschen Festivals. Das mochte vor allem an den selbst für norwegische Verhältnisse spektakulären Bierpreisen liegen (9 Euro für ein großes „Øl“, wie man in Norwegen sagt). Statt sich in die Besinnungslosigkeit zu saufen, waren am Øya viele mit dem Snapchatten und Instagrammen des eigenen Festivallooks beschäftigt.

© Erik Moholdt/Øyafestivalen
© Erik Moholdt/Øyafestivalen

(Bildbeschreibung: Zwei Personen sitzen in einer großen Menschenmenge auf einer sonnigen Wiese und machen mit ihrem Smartphone Selfies.)

Ein paar Fashion-Victims in Birkenstock fielen im zwischenzeitlichen Schlamm ziemlich unglücklich. Doch daneben zeigten die Norweger*innen ein beeindruckendes Stilbewusstsein, was Regenklamotten angeht: Noch nie zuvor sah ich so viele schicke, schlichte und coole Regenjacken, Ponchos und Gummistiefel auf einem Haufen. Ansonsten die gängigen Sternchen auf den Wangen und Blumen in den Haaren. Erfreulicherweise auch hie und da bei einem Jungen. Norwegische Zurückhaltung zeigte sich im Tanzverhalten: Mehr als Kopfnicken war selten drin. Gelegenheit dafür bot sich zum Beispiel bei der sterbenscoolen Christine and The Queens, die den Auftakt machte. Ihre Backgroundtänzer machten es mit unfassbaren Breakdance- und Balletteinlagen vor.

 

© Ihne Pedersen/Øyafestivalen
© Ihne Pedersen/Øyafestivalen

(Bildbeschreibung: Die Mitglieder der Band Christine and The Queens tanzen während ihres Auftritts auf dem diesjährigen Festival im blauen Scheinwerferlicht.) 

Doch das Publikum wippte nur verhalten mit, rastete dafür im Applaus fast aus. Musikalische Begeisterung geht hier wohl in die Stimme statt die Beine. Der verputzte Teller stach inzwischen im Bauch. Während durch makellos-gekleidete Menschenmengen Kinder krochen und Becherpfand sammelten. Sowieso scheint das Øya ein sehr kinderfreundliches Festival zu sein. Sogar bei Headlinern wie PJ Harvey oder der Cross-Dressing-Legende Grace Jones sah man sie mit ihren drolligen Riesen-Ohrschützern in den ersten Reihen. Die Jugendumweltorganisation Natur og Ungdom sammelte derweil den Abfall ein und kämpfte mit einer Aktion gegen die Zerstörung des Fjordes an der norwegischen Küste. Dort werden Millionen Tonnen Grubenabfälle einfach ins Meer gekippt. Das gefällt den dort schwimmenden Dorschbabys und auch der Missy nicht. Natürlich machten wir dafür bei der Aktion „Halt den Dorsch“ mit und schmusten sogar ein bisschen mit dem lebensechten Kuschelfisch.

Oya Dorsch
© Timo Posselt

 

(Bildbeschreibung: Autor Timo Posselt hält einen Dorsch im Arm und küsst ihn ins Gesicht.)

Täglich um Punkt 23 Uhr ging das Festival im Park jeweils zu Ende. Die Stadtverwaltung Oslos ist dabei eisenhart und ließ selbst PJ Harvey nicht für eine Zugabe noch mal auf die Bühne. Anderen Bands wurde vor Jahren auch schon der Stecker rausgezogen. Feierwütige konnten derweil in die Clubs der Stadt weiterziehen, wo Øya-Partys mit weiteren Acts stiegen. Eintritt musste dabei jedoch noch mal bezahlt werden. Für mitteleuropäische Festivalgänger*innen ein etwas gewöhnungsbedürftiges Konzept, beginnt doch normalerweise um 23 Uhr die Festivalsause erst richtig. Doch irgendwie war es auch konsequent: Am Øya ist alles etwas zurückhaltender, schicker und eben äußerst vernünftig.

Schließlich gab es auf dem Øya auch jede Menge Musik zu hören. Hier die drei Lieblinge der Missy vom Øya 2016:

© Erik Moholdt/Øyafestivalen
© Erik Moholdt/Øyafestivalen

(Bildbeschreibung: Sängerin Aurora während ihres Auftritts auf dem diesjährigen Festival.)

Aurora
Sie wird gerade als die heißeste Newcomerin Skandinaviens gefeiert. Gerade mal 20 Jahre alt ist sie und schaffte es mit dem Oasis-Cover „Half The World Away“ auf Platz 11 der britischen Charts. Sie hat eine beeindruckende Stimme und starkes Songwriting auf ihrem aktuellen Album „All My Demons Greeting Me As A Friend“. Wenn sie ihre Eigenständigkeit behalten kann, könnte sie vielleicht bald in die Fußstapfen von Björk treten. Am Øya begeisterte sie mich auch, als sie stolz ihre Achselhaare zeigte und verschmitzt grinsend sagte: „Zwei Wochen wachsen lassen!“

© Mathias Ertnaes/Øyafestivalen
© Mathias Ertnaes/Øyafestivalen

(Arca tanzt während des Festivalauftritts in High-Heel-Stiefeln und großer Lederjacke.)

Arca
Einer der verstörendsten und gleichzeitig auch unvergesslichsten Auftritte bot der venezolanische Elektro-Produzent Arca, der auch schon FKA twigs, Kanye West und Björk produzierte. Während auf der Leinwand in Großaufnahme und Endlosschlaufe eine Ziege geboren wurde, mixte der queere Künstler quer durch die Musikstile. Hodige Gitarrenriffs eignete er sich genauso an wie ballerigen Dancehall. Dazu gab er mit Champagnerglas in der Hand und in ledernen High-Heel-Stiefeln und Slip abartige Rapeinlagen zum Besten. Noch dieses Jahr soll sein neues Album „Reverie“ erschienen – wir können kaum warten.

Okay Kaya
Die Sonne stand hoch, als Okay Kaya, die eigentlich Kaya Wilkins heißt, auf eine kleine Bühne des Øyas trat. Mit einer unglaublich warmen Stimme sang sie über etwas, was wir wohl alle nie ganz verstehen werden: Love. Es sind zurückhaltend arrangierte Songs voller wärmender Melancholie in Englisch und manchmal in purzelndem Norwegisch. Noch dieses Jahr sollen sie auf einem Album bei einem angesehenen Label erscheinen. Bis dahin bleibt uns Zeit herauszufinden, was Okay Kaya hier in Norwegisch so wunderschön singt: