Lässt sich Gewalt erzählen? Diese Frage treibt die Protagonist*innen in „Alle Hunde sterben“ um, dem zweiten Roman der Künstlerin Cemile Sahin. Die Erzählperspektive in den neun Episoden des Buchs wechselt, der Ort des Geschehens bleibt: ein 17-stöckiges Hochhaus, irgendwo in der Westtürkei. Die Bewohner*innen sind dort nicht zu Hause, sie wollen dort nicht bleiben, sie haben staatlichen Terror erlebt, sie berichten davon, sie sind entkommen, doch findet der Terror sie wieder. Die Bewohner*innen des Hauses warten: auf einen geliebten Menschen, auf die Möglichkeit zur Rache, auf die Polizei, die Soldaten – oder so etwas wie Frieden. Das Haus ist vielleicht eine Metapher für das Land.

Cemile Sahin hat diesen Ort erschaffen, in ihrem Kreuzberger Studio, wo sie täglich arbeitet – Schriftstellerin ist sie indes nicht und möchte es auch nicht sein. „Ich bin Künstlerin und trenne die Bücher nicht von der bildenden Kunst, ich mache Installationen, die aus Video, Text und Skulptur bestehen, das Schreiben ist für mich nur ein Medium innerhalb dessen“, erklärt sie im Gespräch. Ihre Geschichten beginnen mit Bildern: „Ich sammle Bilder und entwickle über sie meine Arbeiten.“ Die Bücher sind Vorarbeiten für Filme – ein Zwischenschritt kurz vor dem Drehbuch. Deswegen heißen die Kapitel auch Episoden. Man muss nichts über diese Arbeitsweise wissen, um die klare, direkte Sprache der Texte und in ihrem neuen Roman das Zusammenspiel von Bild und Text zu bemerken: Ein Foto ist jeder Episode vorangestellt. Es zeigt die immer gleiche Ebene, vermutlich eines Parkhauses, von oben. Zu sehen sind auf dem Asphalt dieses Platzes drei Pfeile, auf denen „one way“ steht, es geht in d…