Während ich schreibe konfrontiere ich mich mit den physischen Folgen einer langen Samstagnacht, Imbissbudengeschmack zum Sonnenaufgang und tanzen zu schrammeliger Indie-Musik, durchwachsen von Fehlgriffen im Getränk und ein paar Takten Beyonce Knowles. Die Mercedes Benz Fashion Week ist gestern zu Ende gegangen, Leere und Müdigkeit heute in Berlin, ein dahinplätschernder Sonntag zwischen lippenstiftverschmierten Pappbechern des vergangenen Abends in Heidelberg.

Wiegende Hüften und Kussmünder, klare geometrische Schnittformen bei lässig am Körper fallendem Stoff, die das Einheitsgrau der Hosenanzüge durchbrechen könnten, strenge Klassik mit feinen Details – inmitten des reizüberflutenden Bildmaterials von Berlins Traumhochzeit mit der Modeindustrie ein Interview der Süddeutschen mit dem Frauenfreund Stefan Eckert. Entgegen dem Diktat der Branche sucht er für seine Shows Frauen mit Brüsten und ohne hervorstehende Knochen, Gucci und Louis Vuitton hält er für Gleichschaltung, Größe 34 für ein Missverständnis. Selbst zelebriert er die Individualität mit Dreadlocks und tätowiertem Arm während die Kolleginnen und Kollegen pflichtgetreu abgetragene Luxussymbole ausführen. Die halbherzige Revolution einer Durchschnittszeitschrift ohne Models (und gemeint ist hier mit Sicherheit nicht die wohlplatzierte Konteraktion bei Missy) erblasst im Angesicht gelebter Innovation und einem Wagnis gegenüber der fadenscheinigen Trendsetzung vereinzelter modischer Schwergewichte.

[Revolution, sexuelle:]

Eine andere Form der Revolution wurde diese Woche von der Onlinezeitung The European ausgerufen – in einem Kontext, der den zweifelhaften Titel mit Mühe aufgeklebt bekam: die neue, sexuelle R., mit den Hauptdarstellerinnen Demi Moore, Madonna oder Simone Thomalla – Ü40-Frauen, die sich bedeutend jüngere Männer halten. Dies allein noch nicht revoltionär genug, möglichst sei auch die reife Haut der dubiosen Avantgarde in die Playboy-Kamera zu halten. Der Artikel spricht von weiblicher Emanzipation, endlich könne sich eine Frau das leisten, was erfolgreiche Männer ihr jahrelang vor der Nase weggelebt hätten, mit der einzigen Einschränkung, dass man dafür besser Schauspielerin sein solle – alles andere sei unseriös, Beispiel Irland. So wenig bewundernswert eine vierzig Jahre jüngere, mäuschenhafte Begleiterin an der Seite von Franz Müntefering wirkt, so wenig Achtung habe ich vor scheinbar selbstbewusster weiblicher Fleischbeschau und der Nötigung eines jüngeren Wilden, der Angst vor dem Alter Untertan zu sein. Es handelt sich mit Sicherheit um patriarchale Überreste eines Wahrnehmungsmankos nicht bereit zu sein, Frauen ein ebenso breites Spektrum an Altersunterschied bei der Wahl ihrer Partner zuzugestehen – was an Politikern schon krampfhaft wirkte, wird an Demi Moore jedoch nicht sexy. Vielmehr ist das brüchige Label für einen Vorgang, der aus Unsicherheit und der verbissenen Suche nach Jungbrunnen in plastischer Chirurgie und sozialem Umfeld hervorgeht keiner, der in meinen Augen emanzipatorische Wertung verdient. Daneben ist ein Auftritt im Playboy, unabhängig von Graden der Jugend eines plakativen Sexmodells, ohnehin kein Akt der Revolution.

Weit weg von Puderzuckerfassaden aus Botox sitze ich weiter in grauem Kapuzenpullover vor dem Laptop, es dämmert bereits an einem Tag, der außer einem langsam verhallenden Katersoundtrack mal wieder keine maßgeblichen Spuren hinterlässt, süße Untätigkeit und ein paar Zeilen Text. Der Januar und damit mein liebgewonnener Aufenthalt im Gästezimmer des Missy Blog neigen sich Richtung Ende, bis zu ertönenden Abschiedsglocken koste ich genüsslich von der bunten Behaglichkeit – wir sprechen uns noch.

[Bild: Herakut via artgeographic.com]