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In der Nacht von Sonntag auf Montag werden in Los Angeles die Acadamy Awards verliehen. Und diesmal lohnt es sich vielleicht wirklich aufzubleiben und nicht nur den Gang über den roten Teppich, sondern die eigentliche Veranstaltung zu schauen. Mich hat jedenfalls lange keine Oscar-Verleihung mehr so interessiert wie die kommende.
Es sind überraschend viele gute Filme (Precious, District 9, The Hurt Locker, Inglorious Basterds, A Serious Man) und Filmschaffende nominiert, außerdem hat zum ersten Mal eine Frau die realistische Chance einen Oscar als Regisseurin zu gewinnen – und zwar Kathryn Bigelow mit The Hurt Locker. Das ist aus mehr als einem Grund sehr interessant.
Bis jetzt waren in der 82-jährigen Geschichte der Oscars erst drei andere Filmemacherinnen nominiert (Lina Wertmüller, Jane Campion und Sophia Coppola), gewonnen hat ihn bisher keine.
Doch wie das so mit Erfolg ist, es gönnen ihn ihr nicht alle. Unter anderem wird Kathryn Bigelow in der Presse immer wieder dafür angegriffen einen guy‘s film gedreht zu haben. Ein Label, das im Falle von The Hurt Locker keinen Sinn macht. Frauen drehen nach dieser Rechnung also Filme über Frauen und Männer über, ähem, alles? Unfug.

Vielleicht ist es sogar als Erfolg zu werten, dass eine Frau mit einem nicht-repräsentativen Thema so viele Nominierungen bekommt? Mir ist das ehrlich gesagt egal. The Hurt Locker ist einer der besten Filme des Jahres 2009 und einer der besten Filme, die ich je gesehen habe. Nicht zuletzt, weil ich Filme, die keine offensichtliche Message vor sich herschieben, genauso bevorzuge wie beinhart inszenierte Spannung – für mich die große Kunst im Kino.

Es stimmt außerdem nicht, dass die Inszenierung von Jeremy Renner als Sergeant William James eine kritikfreie Darstellung von männlichem Heldentum ist, wie viele behaupten. Bigelow inszeniert ihn weder als widerspruchslosen Helden, noch als die immer beliebter werdende Spiegelung – den Antihelden. Stattdessen zeichnet sie eine ambivalente Figur, deren Stärke in einem Bereich immer von Schwächen in einem anderen durchkreuzt wird.

Nur ein anderer Film hat genauso viele Chancen auf die verschiedenen Auszeichnungen: Avatar und The Hurt Locker sind teilweise in den gleichen, teilweise in unterschiedlichen Kategorien nominiert. Beide haben aber insgesamt 9 Nominierungen eingeheimst. Sonntagnacht heißt es aber nicht nur James Cameron gegen Kathryn Bigelow, Avatar gegen The Hurt Locker und Ex-Ehemann gegen Ex-Ehefrau, sondern auch: Moral gegen die Behauptung, dass Filme keine Moral brauchen. Einfache Antworten gegen komplexe Inszenierungen. Überbordende Bilder gegen filmischen Minimalismus. Riesenbudget und mordernste Technik gegen geringes Budget und Spannung. Handwerk gegen Handwerk. Top-Player gegen Underdog. Box-Office-Erfolg gegen Kritikerliebling. Mann gegen Frau. Amerika gegen Amerika. Das interessiert nicht nur die Cineastin in mir, sondern auch die Gossip-Süchtige, die einen guten Showdown mag. Es ist wohl auch relativ deutlich geworden auf welcher Seite ich in jeder Hinsicht stehe.

Trotzdem hat Kathryn Bigelow natürlich mit den üblichen Vorurteilen zu kämpfen. In Artikeln über sie wird nie damit gespart ihr Aussehen zu beschreiben. Man scheint sich nicht entscheiden zu können, ob ihre Attraktivität ihr Talent konterkariert oder zu einem doppelten Abschreckungsergebnis führt.
Nicht zuletzt wird Frauen der körperlich-harte Job des Regisseurs oft abgesprochen. Auch das sollte Kathryn Bigelow mit ihrem „Körperfilm“ The Hurt Locker wohl eindrucksvoll widerlegt haben. Man darf die Relevanz, die der mythisch aufgeladene Regisseur in Popkultur einnimmt nicht unterschätzen. Er ist Autor, Befehlshaber, das letzte Universalgenie – und auch daran kratzt Bigelow.

Aber warum ist das überhaupt alles interessant? Mit den Filmpreisen gehen nicht nur Geld, Ruhm, Bekanntheit und mehr künstlerische Freiheit einher; die erfolgreichen Regisseure fungieren auch als Rolemodels. Frauen, die sich im Studienfach Regie einschreiben oder dabei bleiben sind deutlich in der Unterzahl. In der weiteren Laufbahn sieht es noch düsterer aus: Letztes Jahr erschien eine Studie der San Diego State University, die besagt, dass nur 9% aller Hollywood-Regisseure weiblich sind .
Die Rechnung ist also einfach: Mehr erfolgreiche Frauen, mehr Rolemodels, mehr Veränderung. Naja, ganz so einfach ist die Rechnung vielleicht nicht. Aber ich freue mich gerade sehr am Freuen.

Doch wie groß ist die Chance wirklich, dass Kathryn Bigelow in 5 Tagen den Oscar als beste Regisseurin bekommt? Relevante Filmpreise, die dem Oscar vorausgehen und als wichtigste Indikatoren für die Academy-Nacht gelten, hat sie gewonnen. Unter anderem auch den Directors Guild of America Award als beste Regisseurin. Und das als erste Frau seit der Preis vor 62 Jahren das erste Mal verliehen wurde. Manchmal muss man sich Zahlen einfach noch mal im Mund zergehen lassen: Zweiundsechzig Jahre!

Gleichzeitig darf man aber nicht unterschätzen mit welcher Wucht der 3D-Film Avatar in die Kinogeschichte eingeschlagen hat. Die Oscars sind eine ordentlich konservative Veranstaltung und immer wieder werden Entscheidungen getroffen, die Hollywood konservieren, statt Veränderungen einzuläuten. Wie groß das ökonomische Kalkül hinter solchen Entscheidungen ist, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass bei den letzten Oscarverleihungen immer öfter alternativere Filme gewonnen und gleichzeitig das Interesse, gemessen an den Ratings, zurückgegangen ist.
Diese Oscarverleihung wird für mich die spannendste seit langem. Nicht nur wegen The Hurt Locker, sondern auch, weil so viele andere interessante Filme, SchauspielerInnen und Filmschaffende nominiert sind. Doch dazu dann später mehr, in einem anderen Post.

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