Das Geld ist unschuldig, es wird missbraucht und wenn es fehlt, ist die Krise viel größer als wir selbst. So meint zumindest Angela Richter in ihrem aktuellen Stück  „Vive La Crise!“, das sie derzeit am Garage X-Theater in Wien inszeniert. Eva Morocutti hat die Regisseurin zum Krisengespräch getroffen.

Wie kam es zu „Vive la Crise“?

Ali Abdullah und Harald Posch, die künstlerischen Leiter des Garage-X-Theaters, riefen mich kurzfristig an, ob ich nicht ein Stück zur Krise machen will. Meine erste Reaktion war: Oh Gott, bloß nicht, das geht ja gar nicht. Ich musste dann aber ein anderes Stück absagen und habe gedacht: Ich krieg Depressionen, wenn ich da so eine Lücke habe. Also habe ich spontan doch zugesagt und mir gedacht, irgendwas wird mir schon einfallen.

Das Stück besteht aus unterschiedlichen Versatzstücken, zum Beispiel aus Texten von Rainald Goetz.

vlc2Am Anfang ist eine kurze Passage von Rainald Goetz drin (aus „Loslabern“, Anm.). Das meiste haben wir aber während der Probenphase selbst zusammen gebastelt. Wir haben sehr viel gelesen und angeschaut. Aber irgendwann habe ich mir gedacht, es bringt nichts, den Leuten das Wissen zu präsentieren. Die können ja selbst lesen und googeln, das hat nichts mit Theater zu tun. Man muss irgendwie am Schauspielerkörper die Krise ausagieren. Deswegen gibt es immer wieder diese Stellen, wo die Schauspieler sagen „Ich hab die Krise“, „Ich hab die großen Depressionen“. Die endgültige Fassung haben wir dann in einer Nacht zusammen gestellt, so zehn Tage vor der Premiere.

Du hast dich auch aus den Biographien deiner SchauspielerInnen bedient.

Ich hab ihnen während der Proben die Aufgabe gestellt, mir ihre jeweils eigene finanzielle Biografie zu erzählen. Wir haben dann gleich bei den ersten beiden festgestellt, dass das sehr persönlich ist, weil man die finanzielle Biografie gar nicht von der sonstigen trennen kann. Am Ende blieben zwei Biografien, von denen ich gesagt habe: Wenn ihr euch bereit erklärt, das würde mich interessieren. Das waren die von Eva Löbau und Melanie Kretschmann. Ihre Geschichten haben wir dann für die Bühne fiktionalisiert, aber es ist nichts erfunden. Es wirkt nicht unbedingt echt. Das war auch nicht die Aufgabe. Ich finde es erstaunlich, wie das funktioniert, dass man etwas auf der Bühne macht und es so verkünstlicht, dass die Leute denken: das ist ausgedacht.

Das Stück funktioniert nach dem „Rauswähl“-Prinzip wie man es aus TV-Formaten kennt. Die SchauspielerInnen befinden sich in einem so genannten Erschöpfungsmarathon und wer auf dem Boden landet, scheidet aus und bekommt keine Gage. Worum ging es dir dabei?

In den 30er Jahren gab es diese Tanzmarathons. Die waren die Idee für das Stück. Ich habe nach etwas gesucht , das man theatral verwerten kann. Und ich dachte: „Moment mal, das war damals ja schon so etwas wie die erste Castingshow, bei der es nicht wirklich um den Sieger ging, sondern darum, dass die Leute sich zerrütten und man sich in eben dieser Zerrüttung, der Erschöpfung, suhlt.“ Diese Parallele kann man nicht ignorieren. Aber es gibt dennoch einen großen Unterschied zwischen Castingshows und dem, was wir gemacht haben: Wir wollten nicht damit punkten, dass wir die Schauspieler wirklich zwölf Stunden lang tanzen lassen. Dieses echte, authentische Zerfleischen, von dem diese Sendungen leben, finde ich wahnsinnig obszön, das hat im Theater nichts verloren. Die Leute, die daran teilnehmen, haben ja eigentlich auch keine Skills. Bei uns gab es dann diese Entscheidung „Ihr habt ja Skills! Ihr seid Schauspieler.“ Der eigentliche Erschöpfungsmarathon ist dann gar nicht das Tanzen, sondern das Schauspiel ist der eigentliche Wettbewerb.

Melanie Kretschmann und Eva Löbau tragen in dem Stück Ballkleider im 50er-Jahre-Stil.

Nein, die sehen zwar aus wie Petticoats. Das sind aber echte Tanzkleider aus den 80ern. Die haben unten eine wahnsinnige Menge an Rüschen und Drähten, damit sie sich da drin auch richtig gut bewegen können. Heute bekommt man diese Teile nicht mehr, weil sie ein bisschen altmodisch anmuten und auch etwas Übertriebenes haben. Aber ich wollte gerade ein Kostüm, das ein bisschen wie ein eigenes Bühnenbild ist.

Dein Mann, der Künstler Daniel Richter, hat das Bühnenbild gestaltet. Wie kam es dazu?

Ich wollte eigentlich Kathrin Brack haben, aber die konnte nicht, also hab ich Daniel gefragt. Da er sowieso in Wien ist, er ist hier Professor, und die Familie dann zusammen sein kann, dachte ich, wir können ja mal schauen, ob das noch funktioniert. Er hat während seines Studiums öfter Bühnenbilder für mich gemacht. Wir haben aber seitdem nicht mehr zusammen gearbeitet. Ich habe dann noch ein paar Änderungen gemacht, so dass wir am Ende nicht mehr genau wussten, wer was gemacht hat, aber das spielt auch keine Rolle.

Im Stück geht es darum, wie das Theater mit der Krise umgeht. Bist du jetzt krisensicherer?

Die Frage ist ein bisschen gemein. Ich bin überhaupt nicht krisensicherer. Ich finde es wahnsinnig schwer, Leute zu belehren. Das war für mich das größte Problem. Wir haben wirklich viel gelesen und Filme angeschaut wie „The Corporation“ und „The Ascent of Money“ und was es so gibt, von links bis neoliberal, und waren so voll gepumpt mit dem ganzen Wissen und hinterher denkt man sich: „So, und jetzt sich da hinstellen und das auf die Leute ablassen, das geht irgendwie nicht.“ Ich glaube auch nicht an Dokumentartheater, das ist nicht, was ich suche. Ich suche eher eine Wahrhaftigkeit.  Es ist extrem schwer, diesen Anspruch, den man hat „nicht zu langweilen, nicht zu belehren und keine Klischees zu bedienen“ hinzukriegen. Hinterher sieht es so leicht aus, aber in Wirklichkeit ist es einfach wahnsinnig anstrengend.

Deine Diplominszenierung aus dem Jahr 2001 hast du nach einer Romanvorlage der französischen Autorin Marie Darrieussecq gestaltet. Welche Autorinnen oder Dramatikerinnen scheinen dir derzeit interessant?

Ich bin generell auf der Suche nach zeitgenössischen Autorinnen. Im Moment gibt es viel auf dem Romansektor. Ein Buch, das ich noch nicht gelesen habe, aber lesen will, ist das von Helene Hegemann. Und bei Theater, na gut, die ewige Jelinek natürlich. Dann gibt’s die Grether-Schwestern, die mal für die Spex gearbeitet haben. Die beackere ich schon seit zwei Jahren, dass sie ein Stück schreiben sollen. Sie haben jetzt gesagt, dass sie dabei sind.

Regiearbeit scheint immer noch eine Männerdomäne zu sein. Was würdest du jungen Frauen raten, die Regisseurin werden wollen?

Einfach machen. Es ist nicht mehr so eine Männerdomäne, wie das mal war. An der Regieschule, an der ich war, waren wir in meiner Klasse zu siebt und hatten nur zwei Typen. Ich glaube, dass sich das gerade umdreht.

Wie bist du zum Theater und dann zur Regie gekommen?

angela-richter_garag199455Ich fand Theater schon immer toll, und habe dann in der Schule, wie wahrscheinlich alle, die beim Theater sind, „Theater-AG“ gemacht. Für kurze Zeit dachte ich, ich will Schauspielerin werden. Das hat sich dann relativ schnell als Irrtum erwiesen. Ich mochte das Intensive, dieses sich wochenlang nur mit einer Sache beschäftigen und die ganze Welt vergessen können. Man macht die Post nicht mehr auf, ist für niemanden mehr ansprechbar, man kann das ganze Unangenehme, das einen so belästigt, mit gutem Grund aussperren. Das ist eine Utopie von Freiheit für mich. Und dann hab ich überlegt: gut, wenn’s nicht Schauspiel ist, was dann. Ich habe dann angefangen zu hospitieren und darüber habe ich gemerkt, dass es Regie ist.

Du hast ein Kind. Wie gestaltet sich bei dir die Vereinbarkeit zwischen Berufs- und Familienleben?

Schwer. Ich meine, es funktioniert natürlich, aber ich habe sehr oft ein schlechtes Gewissen. Gleichzeitig krieg ich’s ganz gut hin. Wenn ich jetzt vergleiche, wie viel Zeit meine Eltern mit mir verbracht haben und wie viel ich heute mit meinem Kind, glaube ich, dass unsere Generation mit sich viel strenger ist. Ich war ganz oft bei meinen Verwandten in Kroatien geparkt, schon als kleines Kind. Das Gute bei meinem Mann (Daniel Richter, Anm.) und mir ist, dass wir beide Künstler sind. Wenn ich arbeite, nimmt er das Kind komplett und wenn er richtig aktiv eine Ausstellung plant, bin hauptsächlich ich da. Trotzdem sind wir beide immer anwesend. Wir haben halt keinen „9 to 5“-Job, das ist ein Vorteil und dann ist es einfach eine Frage von Organisation. Wir haben früher hauptsächlich nachts gearbeitet, jetzt zwingen wir uns, früh aufzustehen und das zu machen, was man halt machen muss, wenn man ein Kind hat. Es ist anstrengend und es war leichter, aber natürlich hat man jetzt auch viel mehr Spaß auf einer anderen Ebene.

Du hast ein eigenes Off-Theater, das Fleetstreet-Theater in Hamburg gegründet. Warum?

Weil es mir angeboten wurde. Erst dache ich: Oh Gott, nein, weil ich so schlecht im Organisieren bin. Aber es war einfach ein tolles Angebot von Jochen Waltz, der mir den Raum praktisch mietfrei gegeben hat. Dadurch fällt schon mal dieser Stress weg, dass man Geld für die Miete erspielen muss. Dann habe ich auch ein relativ gutes Netzwerk von Leuten und dachte: ist doch toll, dann kann man alles in einem Raum vereinen. In Berlin gibt es total viele Experimentalräume, in jeder Garage ungefähr, und in Hamburg eben nicht wegen der krassen Mieten. Ich dachte also, das muss man zumindest mal versuchen. Es ist allerdings doch viel mehr Arbeit als ich gedacht habe. (lacht)

Im Sommer bist du beim „Young Directors Project“ der Salzburger Festspiele dabei: mit einer Inszenierung von Jon Fosses Stück „Tod in Theben“.

Ich freue mich schon richtig drauf, dass ich endlich mal einen Text habe, den ich gut finde und nicht noch selber Texte schreiben muss. Natürlich stellt einen das wieder vor ganz andere Probleme.

Interview: Eva Morocutti. Foto Richter: Pitt Sauerwein. Foto Vive La Crise: Yasmina Haddad.

Vive la Crise läuft am 20. März 2010 am Garage X-Theater in Wien – zum vorerst letzten Mal. Weitere Informationen hier im Netz.