Vor ein paar Wochen konnte man auf dieser Seite lesen: Gudrun Gut ist die Gewinnerin der Goldenen Indie Axt 2011. Diese Anerkennung hat sie für ihre Verdienste für die Independentkultur in Deutschland erhalten. Verdient hat sie das allemal, denn als Künstlerin, Musikerin, Radiomacherin und Labelchefin ist Gudrun Gut eine der umtriebigsten Frauen der Musikszene. Missy-Redakteurin Stefanie Lohaus sprach mit ihr über die fehlende Anerkennung von elektronischer Musik in Deutschland, ihre Wunschliste für die Zukunft, neue Projekte und warum sie sich jetzt doch als Feministin bezeichnet.

Erstmal herzlichen Glückwunsch! Du hast gerade für deine Labeltätigkeit und dein Engagement für die Indiemusik die Goldene Indieaxt, den Preis des VUT (Verband unabhängiger Musikunternehmen) verliehen bekommen … Danke, danke. Ich habe überraschend viele Glückwünsche erhalten, aus dem In- und Ausland. Auch aus Ecken, von denen ich es gar nicht erwartet hatte, weil ich dachte, dass sie sich nicht für solche Branchenpreise interessieren. Aber viele finden es gut, dass gerade ich den Preis bekommen habe, weil ich nicht das klassische Industriebeispiel bin. Ich bin ja selbst in erster Linie Musikerin und Künstlerin und betreibe ein Künstlerlabel. Aber vielleicht ist genau das auch der Weg in die Zukunft: die eigene Musik selbst zu veröffentlichen.

Du hast damals das Label gegründet, weil du deine eigenen Sachen veröffentlichen wolltest. Aber irgendwann hast du dann beschlossen auch Musik von anderen herauszubringen. Wie kam es dazu? Ich bin, seit ich 19 bin, als Musikerin in Bands und der Szene unterwegs – eine lange Zeit. Die eigene Musik steht immer an erster Stelle und alles andere tritt in den Hintergrund. Es ist also leicht egoman. Irgendwann hatte ich das Bedürfnis, eine soziale Komponente in mein Leben zu bringen, der Musikszene etwas beizutragen. Es fehlte mir aber an Künstlern, die dafür infrage kamen, bis ich 1997 die ganze Berliner Wohnzimmer-Szene um Joe Tabu entdeckt habe: Barbara Morgenstern, Quarks, Contriva und so weiter. Und das war es für mich wert, es zu veröffentlichen.

Hast du Monika Enterprise auch gegründet, um spezifisch Künstlerinnen zu featuren, oder ist das eher so zufällig passiert? Das ist eher zufällig passiert. Es musste eben Musik sein, die ich gut finde. Als Indielabelchefin arbeitet man quasi zum Nulltarif, und selbst wenn ich zeitweise sogar mehrere bezahlte Mitarbeiter hatte, bekomme ich selbst keinen Stundenlohn. In den letzten Jahren habe ich sogar viel von meinem eigenen Geld hineingesteckt. Als Künstlerin inspiriert es mich, wenn ich andere Frauen auf der Bühne sehe: Barbara Morgenstern zum Beispiel. Sie war für mich eine Offenbarung: wie klar und selbstbewusst sie alleine ihre Sachen gemacht hat. Sie stellt sich ganz selbstverständlich hin und sagt: „Hier, das ist meine Musik.“ Das hat bei mir in jedem Fall Spuren hinterlassen.

Und das, obwohl du zu dem Zeitpunkt als Künstlerin doch schon ein alter Haudegen warst. Ja, aber ich habe eine Bandgeschichte, habe immer mit Menschen zusammengearbeitet und hatte das auch noch nie so konsequent gesehen, wie eine, die keine Singer/Songwriterin ist – Mädchen mit Gitarre sieht man ja öfter – so selbst komponierte Stücke spielt, also auch Produzentin ist. Das war für mich neu.

Es stimmt, man sieht vor allem in der elektronischen Musik, viel zu selten Frauen, die alles allein machen. Mir ging das früher auch so, ich musste erst Bands wie Stereolab live erleben und dann merken – oh Frauen – also ich – können das ja auch, Musik machen. Es ist ein Unding, das es sowenig Frauen in der Popmusik gibt. Popmusik ist so ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur. Sie verfolgt einen das ganze Leben: Die, die damals mit den Rolling Stones und Beatles groß geworden sind, die sind heute schon fast im Rentenalter. Es ist DIE gelebte Kultur und das die so männerbestimmt ist, das geht doch eigentlich so GAR NICHT. In meiner Dankesrede bei der Preisverleihung zur Goldenen Indieaxt, die mehr eine Wunschliste war, habe ich mir gewünscht, dass die Medien doch auch mal die Festivals und „ganz normalen“ Labels nach ihrem Genderverhältnis zu fragen, damit nicht immer ich diejenige sein muss, die sich rechtfertigen muss, weil sie viele weibliche Künstler signed.

Was ist deine Erfahrung mit Festivals? Das ist teilweise ganz schön katastrophal: zum Beispiel beim Mutek-Festival. Das ist ein staatlich gefördertes Festival für elektronische Musik in Kanada und da war in diesem Jahr nur eine einzige Künstlerin eingeladen. Ich bin ja auch auf der Female Pressure List, einem Netzwerk für weibliche Djs. Wir waren alle so sauer und haben uns so richtig ausgekotzt.

Gibt es auch Festivals, bei denen das anders läuft? Ich habe mal auf einem Festival gespielt, in Umeå, in Schweden. Und es waren fast nur Frauen im Line-Up. Ich habe die Veranstalter gefragt, ob es ein Frauenfestival sei, die meinten „Nein, es sind nur zufällig so viele Frauen“. Das fand ich super. Es waren natürlich auch ein paar Jungs dabei, aber die ganzen Hauptacts waren Frauen. Dass das so selbstverständlich ist. Yes! Schweden! Ganz anders! Das werden wir in Deutschland glaube ich nicht mehr erleben.

Du hast ja viele Erfahrungen gesammelt, hast du denn das Gefühl, das es besser wird, mit dem Geschlechterverhältnis? Ich finde es tragisch, dass es noch nicht besser ist. Damals in den 80ern, mit der Punk-Explosion, war es für mich gefühlt so, dass alle gleichberechtigt sind. Nach dem Motto: „Alles ist neu, jetzt werden die Karten neu gemischt“. Es gab unheimlich viele Frauen, die damals Musik gemacht haben. Das Gefühl hat sich im Laufe der Jahre als falsch erwiesen, weil viele Frauen, die am Anfang dabei waren, irgendwann nicht mehr dabei waren. Komischerweise hatte ich genau diese Diskussion mal mit Mascha Qrella , als sie im gleichen Alter war wie ich damals. Auch sie meinte, dass alles gleichberechtigt sei. Vielleicht ist es auch ein Altersphänomen, das man bestimmte Sachen irgendwann erkennt. Wenn man ein bisschen länger dabei ist und die gefestigten Strukturen sieht.

Bist du denn eigentlich Feministin, ich dachte immer eher nicht, aber wenn ich dich jetzt so reden höreJa …, also jetzt sag ich mal: ja. Eigentlich habe ich mich nie richtig geoutet. Aber in letzter Zeit denke ich: Eigentlich bin ich’s schon.

Das ist lustig, das du es outen nennst … Ich habe den Begriff vorher nie benutzt und mich damit auch nicht so identifiziert, weil Feminismus für mich immer bedeutet, dass man in einer ganz bestimmten Szene aktiv ist. Ich habe zwar oft auf feministischen Festivals gespielt, aber hatte ansonsten nichts weiter damit zu tun. Ich war – und bin – eben eher in der Musikszene verankert. Aber man kann ja auch gleichzeitig Feministin sein, das widerspricht sich ja nicht.

Du hast halt eine feministische Haltung. Genau. Aber das ist wirklich neu, dass ich das sage.

Was hast du dir noch in deiner Dankesrede gewünscht? Mehr Unterstützung für die deutsche Musik an sich, mehr Preise, nicht nur für mich, sondern für die deutsche Indie-Kultur, insbesondere im elektronischen Bereich. Weil das die Forscherecke ist. Natürlich gibt es auch kleine konventionelle Labels, aber wenn überhaupt neue Musik entsteht, dann im Indiebereich, nicht bei den Majors. Wenn du als Musik-Act die Charts anschielst, musst du schon den Kopierstift zücken, da wird sofort kopiert aus Sicherheit. Weil mit der Musik Geld verdient werden muss. Neues entsteht nur im Indiebereich. Und dieser Bereich braucht jetzt nunmal wirklich Geld. Und ich verstehe nicht, warum da nichts passiert. Zum Beispiel ist die deutsche Musik und insbesondere die deutsche Elektronik im Ausland SEHR beliebt. Wir hatten noch nie so eine Situation, dass international deutsche Musik so ein gutes Standing hatte wie heutzutage.

Auch nicht zu Zeiten von Kraftwerk und Can? Naja, das war eine kleine Szene, Krautrock. Und auch die wurde in Deutschland ignoriert. Heute hat es andere Dimensionen. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir das Land sind, wo Kraftwerk herkommt. Und das der Zugang von Deutschen zur Popmusik ein freierer ist, als der RnB-begründete aus dem anglo-amerikanischen Raum. Es gibt so viel Musik, die in Deutschland entsteht, die sich international überhaupt nicht verstecken muss. Aber die Vielfältigkeit der elektronischen Musik aus Deutschland wird von den Medien hierzulande kaum wahrgenommen.

Wie ist das im Verhältnis zu anderen Bereichen des Kulturbetriebs? Wenn man das vergleicht mit der Filmbranche, die genießt viel weniger Ansehen im Ausland, seit den 70er Jahren ging es stetig bergab in Richtung Mittelmaß. Sie bekommen nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Öffentlichkeit. Die Musik wird von den Medien total ignoriert, sogar im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Es gibt keine einzige Musiksendung in ARD und ZDF. Es gibt wunderschöne Literatursendungen, viele Film- und politische Kultursendungen und zu Musik gibt es einfach nichts. Es gibt eine Musiksendung, das Musikantenstadl. Hallo? Gerade in dieser Zeit, wo man wirklich über etwas berichten könnte. Da wird die Informationspflicht vernachlässigt. Volksmusikinterpreten sind dementsprechend auch die Einzigen, die noch Geld von der GVL (Anm.: urheberrechtliche Vertretung der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller.) bekommen.

Welche Auswirkungen hat das auf die Musikszene? Ich finde in Dresden und in Leipzig wird noch einiges auf die Beine gestellt, aber insgesamt ist in Deutschland nicht viel am Start. Schau mal an, was in anderen europäischen Ländern geht, in Frankreich, in Belgien, in den Niederlanden. Super Künstlerförderung, mit internationalen Workshops. Die machen irre viel, zum Beispiel in Skandinavien, Holland, Belgien: Auch kleinere Städte haben ein Kulturzentrum, in dem ein Toningenieur steht, ein Lichttechniker, in dem ein gute Anlage steht, ein guter Kurator arbeitet, der eine gute Musikauswahl macht. Und alle werden bezahlt. Nicht so wie hier, wo man z.b. für 200 Euro in Hamburg im Pudel spielen muss, weil es nichts anderes gibt. Ganz viele von den international arbeitenden deutschen Künstlern spielen einfach gar nicht mehr in Deutschland. Weil die Gagen so schlecht sind.

Was ist mit Institutionen wie das Goethe-Institut, das zum Beispiel deutsche Musiker ins Ausland schickt? Das Goethe-Institut ist sehr wichtig im Ausland, das Bild was man von deutscher Kultur dort hat, wird hauptsächlich vom Goethe-Institut geprägt – jedes Land hat ja ein solches Institut. Und es regen sich schon manche darüber auf, dass das Goethe-Institut zuviel Geld für elektronische Musik ausgeben würde. Aber wenn du es vergleichst, mit dem was das Goethe-Institut für andere Bereiche rausgibt, für Theater zum Beispiel, ist das wenig. Im Theater muss ja ein ganzes Ensemble eingeflogen werden, manchmal inklusive Hairstylisten, das sind ganz andere Relationen. Dabei du kannst mit Musik viel mehr erreichen, finde ich. Das Verhältnis von Musik- zur Kulturförderung allgemein befindet sich einfach nicht in einem ausgewogenen Verhältnis. Das sagt etwas über die Bedeutung aus, die Musik in Deutschland hat. Mir persönlich bedeutet Musik ganz viel. Und dann sehe ich, wie es von den offiziellen Stellen wahrgenommen wird, und finde das richtig unverschämt.

Woran liegt das deiner Meinung nach? Die letzten Jahre waren für die Musikindustrie total schlimm, sie ist ja richtig zusammengebrochen. Was macht die Politik? Senkt die Hotelmehrwertsteuer. Warum nicht CD’s? Jedes andere Kulturprodukt wird mit sieben Prozent besteuert, nur die Musik mit 19 Prozent. Das Problem ist, dass Indiekünstler keine große Lobby haben. Und diese Lobbyarbeit scheint wahnsinnig wichtig zu sein. Es geht nicht darum, was gerecht ist, sondern wer die größte Lobby hat. Das ist doch Scheiße. Wenn Deutschland jetzt so ein unwichtiges Musikland wäre, OK, aber es ist eines der wichtigsten der Welt. Nach den ganz Großen, USA und Japan ist Deutschland momentan der drittgrößte Musikmarkt. Und es gibt hier unheimlich viele wichtige Künstler. Das ist nicht verständlich, warum es so vernachlässigt wird.

Puuh, es gibt wirklich was zu tun. Kommen wir zum Abschluss noch zu einem netteren Thema: Was machst du eigentlich jetzt aktuell, wenn du nicht gerade Preise entgegennimmst? Eine ganz interessante Filmmusik, zusammen mit Jan Schade für einen Film: „A Man for a day“, eine Dokumentation über einen Workshop, bei dem Frauen lernen für einen Tag als Mann durch die Gegend ziehen. Es ist sehr interessant. Dann arbeite ich an meiner neuen Platte, und gerade sind die Remixe für mein Projekt mit Antye Greie-Fuchs rausgekommen, die Greie/Gut-Fraktion. Dann hat Natalie Beridze in Berlin gespielt, Barbara Morgensterns neues Album ist auch in Arbeit …

Wie schaffst du das alles zeitlich? Ich habe einfach immer viel zu tun.