Statement der Mitinitiatorin des Kegelclubs der Piraten zu fünf Jahren Queer-Feminismus

Foto: Alicia Kassebohm

Denke ich fünf Jahre zurück, so muss ich mir selbst einen ausgeprägten Anti-Feminismus attestieren, ein absolutes Unverständnis für die Herangehensweise, die Perspektive. Ich fühlte mich nicht diskriminiert, gab den Frauen* die Schuld, fand die Analysen übertrieben, irgendwie weltfremd. Ein „Yes you can!“- Feminismus, wie es Paula Villa und Sabine Hark mal ausdrückten. Mit dem Jahr 2010 begann ich mich zunehmend auf Twitter aufzuhalten und begegnete Frauen*, die sich als Feministin bezeichneten und die ich in ihrer politischen Haltung sehr schätze. Schnell las ich mich ein, verstand wie Geschlecht in unserer Gesellschaft ver_handelt wird und würde mich heute wohl als queer-marxistische Feministin bezeichnen. Das ist also mein persönliches queer-feministisches Fazit.

Da ich noch nicht allzu lange Teil der Diskurse bin, fällt es mir schwer, eine allgemeine Analyse der letzten fünf Jahre zu machen. Jedoch denke ich, sagen zu können, dass es eine sehr ambivalente Entwicklung ist. Auf der einen Seite sind queere Identitäten sichtbarer geworden, auch durch die Möglichkeiten, die das Netz und die sozialen Medien an der Stelle bieten. Viele queer-feministische Menschen vernetzen sich, tauschen sich aus, bilden Banden. Das ist gut. Auch werden queer-feministische Kritiken präsenter, die Vorstellung, dass Identitäten etwas Fließendes sind, etwas Unstetes, scheint ebenfalls selbst_verständlicher zu werden.

Auf der anderen Seite sind die Anfeindungen, die Nicht-Akzeptanz oder offene Bekämpfung ebenso sichtbarer, organisierter geworden. Das zeigt sich besonders anschaulich im Fall Chelsea Manning, die als Whistleblowerin (noch) unter dem (männlichen) Namen Bradley Manning bekannt wurde und in diesem Jahr bekannt gab, ab nun als Frau* addressiert werden zu wollen. Die deutsche Wikipedia nun wird konsequent von anti-feministischen Akteur*innen blockiert, so dass Chelsea immer noch nicht als Frau* und unter ihrem Namen in der deutschen Wikipedia geführt wird.

Gleichzeitig haben sich einige Medien, wie z.B. Tagesschau dafür entschieden, sie konsequent als Frau* zu be_schreiben. Das ist ein kleiner Schritt, der zeigt, wie unzugänglich für viele die Konzepte und Ideen sind, die sich unter Queer-Feminismus vereinigen lassen und wie mühsam gerade Institutionen davon zu überzeugen sind, dass der ausdrückliche Wille einer Person mehr zählt, als biologistische Weltanschauungen und dass biologisches und soziales Geschlecht nicht identisch sind.

Besonders finster ist, dass diese Erkenntnis bereits viele Menschen überfordert, die wiederum mit Hass und Ablehnung reagieren. Aus queer-feministischer Sicht ist es entsprechend eine schwierige Zeit, da sich der Widerstand gegen eine kritische Betrachtung von Geschlecht ebenso formiert, wie gleichzeitig die queer-feministischen Auseinandersetzungen differenzierter und substantieller werden. Eine schwer zu ertragende Dissonanz.

Abgesehen von steter, radikaler Selbstkritik, ist es wichtig queer-feministische Überlegungen in klare, unmissverständliche Worte zu gießen, die hart sind, die weh tun, die wach rütteln. Dafür ist es manchmal vielleicht notwendig, die Grenze einer differenzierten Herangehensweise zu überschreiten, polemisch zu sein, satirisch; aber einen Versuch ist es wert. Schließlich hat mich das vor ein paar Jahren auch überzeugt.

juliaschramm.de

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