Eine starke afrodeutsche Community, dank starker Frauen
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Von Anne Chebu
„Woher kommst du ursprünglich? Wo hast du so gut Deutsch gelernt? Darf ich mal deine Haare anfassen?“ – Fragen, die wohl jeder Schwarze Mensch in Deutschland kennt. Genau diese Fragen wollten schon vor über 30 Jahren junge Afrodeutsche nicht mehr erdulden müssen. Eine von ihnen war die Aktivistin und Poetin May Ayim. Mit ihren Texten wehrte sie sich gegen Rassismus und analysierte ihn. Durch ihre Gedanken und Arbeiten wurde die Schwarze deutsche Community miterschaffen. May Ayim und Katharina Oguntoye gaben in dem Buch „Farbe bekennen“ (1986, Orlanda Verlag) Schwarzen Menschen, Schwarzen Frauen, das erste Mal eine Stimme in der deutschen Öffentlichkeit. May Ayim und Katharina Oguntoye waren die Samen aus denen die afrodeutsche Bewegung wuchs und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD e.V.) entstand, die dieses Jahr 30-jähriges Jubiläum feiert.
Und all das wäre wohl nicht möglich gewesen, hätte die Afro-US-Amerikanerin Audre Lorde nicht als Gastdozentin an der Freien Universität Berlin unterrichtet. Sie war es, die die jungen Frauen dazu brachte, sich bewusst mit ihrem Schwarzsein auseinanderzusetzen, die die Studentinnen motivierte, zu schreiben und schließlich Inspiration für die Entwicklung der Selbstbezeichnung Afrodeutsche*r war. Wenn Ayim und Oguntoye die Samen sind, dann ist Audre Lorde das Wasser, das diese Samen zum Keimen brachte. „Farbe bekennen“ wurde zum Meilenstein der afrodeutschen Bewegung. Dieses Buch gab und gibt vielen Schwarzen Menschen eine Identität und ein positives Selbstwertgefühl. Nun sind fast 30 Jahre später drei neue afrodeutsche Bücher erschienen.
„Spiegelblicke“ wirft einen Blick auf die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), beschäftigt sich dabei mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Community. „Mit dem Sammelband blicken wir gemeinsam in einen Spiegel und sehen ein Bild, das persönliche und auch analytische Einblicke in Schwarzes Leben und die Schwarze Bewegung in Deutschland zeigt“, so Eleonore Wiedenroth-Coulibaly. Sie war Mitgründerin der ISD und hat nun gemeinsam mit Denise Bergold-Caldwell, Laura Digoh, Hadija Haruna-Oelker, Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum und Camilla Ridha „Spiegelblicke“ (Orlanda Verlag) herausgebracht.
Camilla Ridha, Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum, Denise Bergold-Caldwell, Eleonore Wiedenroth-Coulibaly, Hadija Haruna-Oelker und Laura Digoh (Hg) „Spiegelblicke. Perspektiven Schwarzer Bewegung in Deutschland“
Orlanda, 302 S., 19,51 Euro.
Wie schon das Buch „Farbe bekennen“, gibt auch „Spiegelblicke“ Menschen eine Plattform, die sonst wenig gehört werden. Doch 30 Jahre später geht es nicht mehr „nur“ ums Schwarzsein, sondern auch um andere Identitäten. So erzählt Vincent Hesse welche Erfahrungen er als Schwarzer gehörloser Mann macht. Oder Ginnie Bekoe und Tsepo Bollwinkel berichten über ihre Erlebnisse als queere Schwarze. Über 50 Autor*innen schrieben für den Sammelband, der zeigt, was die afrodeutsche Diaspora von den Anfängen bis zur Gegewart bereits erreicht hat und was sie auch noch künftig beschäftigen wird. „Es ist beeindruckend, welchen großen Erfahrungsschatz und welche Expertise wir innerhalb der Schwarzen politischen Bewegung haben.“, fügt Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum hinzu.
Doch das Buch wirft auch einen ernüchternden Blick auf Rassismus in Deutschland, zum Beispiel in den Kapiteln, in denen Theodor Wonja Michael oder Marie Nejar über ihr Leben im Nationalsozialismus erzählen. Und einem ein paar Seiten weiter bewusst wird, dass afrodeutsche Jugendliche heute immer noch ähnliche Rassismuserfahrungen machen müssen. Ein Thema, das zum Nachdenken anregt und auch weitere öffentliche Diskussionen eröffnen soll – und zwar innerhalb Schwarzer Gemeinschaften und darüber hinaus, so die Herausgeberinnen.
Die beiden anderen Bücher widmen sich den starken Schwarzen Frauen Audre Lorde und May Ayim: „Sisters and Souls“, herausgegeben von Natasha A. Kelly und „vertrauen, kraft & widerstand“, herausgegeben von anouchK ibacka valiente. In letzterem finden sich Texte und Reden von Audre Lord, die noch nicht ins deutsche übersetzt wurden. Die meisten Texte stammen aus der Zeit 1970-1980. Im Vorwort geht AnouchK Ibacka Valiente darauf ein, wie wichtig Audre Lord für die Schwarze lesbische Community war. Selbst nach 40 Jahren seien ihre Texte immer noch passend für die queere Community of Color.
anouchK ibacka valiente (Hg)
„vertrauen, kraft & widerstand. kurze texte und reden von audre lorde“
übersetzt von pasquale virginie rotter
w_orten & meer, 112 S., 9 Euro.
Die Herausgeberin Natsha A. Kelly legt den Fokus auf May Ayim, anlässlich ihres 20. Todestages. „Sisters and Souls“ ist keine Autobiographie, sondern zeigt, welche Inspiration May Ayim war. Über 20 Autor*innen berichten, in unterschiedlichen Erzählstilen, welche Projekte und Identitätsvehandlungen durch Ayims Texte entstanden sind. Dabei geht es auch um strukturellen Rassismus. So beschreibt Neurobiologin Emily Ngubia Kesse, wie mit Schwarzen Menschen im medizinischen Bereich umgegangen wird. Sie zeigt auf, dass Rassismuserfahrungen bis zum (Frei-)Tod führen können. Oder Redakteurin und Moderatorin Jacquline Mayen setzt sich mit dem Bild Schwarzer Menschen in Medien auseinander und berichtet, welche Erfahrungen nicht-weiße Journalist*innen machen.
Wichtig war Herausgeberin Natasha A. Kelly, ein vielfältiger Blick Schwarzer Frauen*.
Natasha A. Kelly (Hg)
„Sisters and Souls. Inspirationen von May Ayim“Orlanda, 250 S., 19,50 Euro.
Ohne May Ayims Lyrik hätten wohl viele Schwarze Frauen gar nicht angefangen zu schreiben, wie die Schauspielerin und Produzentin Lara-Sophie Milagro. Sie lebt Ayims Traum von einer Schwarzen Theatergruppe. Das erste Stück ihrer Kombo „Lable Noir“ heißt „Bittersüße Heimat“ und ist Ayim gewidmet. Drei Generationen kommen in dem Buch „Sisters and Souls“ zusammen. Frauen, die May Ayim persönlich kannten, Frauen, die durch ihre Texte inspiriert wurden sowie junge Frauen und Jugendliche, die über die Gegenwart sprechen und dabei auch benennen, wie wichtig eine Schwarze Wissensvermittlung ist, als Mittel gegen den Rassismus, den sie im Schulalltag erleben.
Für Katharina Oguntoye ist es eine wichtige Entwicklung, dass es inzwischen auch andere afrodeutsche Literatur gibt. Dass lesbische und heterosexuelle Frauen die Initialzündung der Schwarzen deutschen Community waren, sei ein großes Glück für die Bewegung. Trotzdem war es nicht leicht bei feministischen Themen voll akzeptiert zu werden, weswegen sich wohl auch der Verein Afrodeutscher Frauen, ADEFRA, gründete. Katharina Oguntoye sieht die eigene Identität als eines der wichtigen Kernthemen – die Community und der Begriff „afrodeutsch“ seien hierbei wie Name, die früher gefehlt haben. Ob sie noch passend sind, kann und soll immer wieder neu verhandelt werden.