Die Mutter, die du sein willst
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Von Stefanie Lohaus
Mütter-Reality-Formate sind regelmäßiger Bestandteil des deutschen Fernsehabends: sich über inkompetente und verantwortungslose Mütter zu erheben, das macht den deutschen Fernsehzuschauer*innen Spaß. Minderjährige Teenie-Mütter auf RTL 2, die sogenannte Supernanny Katharina Saalfrank, die Eltern auf RTL bei der Erziehung „unterstützt“, und das wohl widerlichste Format, „Frauentausch“, das Eltern aus benachteiligten sozialen Schichten vorführt.
Bei der Dokuserie „6 Mütter“, die morgen zum vierten Mal auf Vox läuft, ist das anders. Das Konzept: Sechs prominente Mütter – Unternehmerin und Ex-Model Dana Schweiger, Schauspielerin Moderatorin Nina Bott, Ex-Eisschnellläuferin Annie Friesinger, die international bekannte Künstlerin Ute Lemper, Schauspielerin Wilma Elles (in der Türkei als Soapstar berühmt) und Speerwerferin Christina Obergföll – sitzen auf der Couch und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus, diskutieren und geben sich Ratschläge. Einspieler mit Szenen aus dem Alltag sowie Einzelinterviews mit den Protagonistinnen, ihren Angehörigen und Freund*innen geben Einblick in ihr Privatleben. Die Szenen bieten auch Gesprächsstoff für die Frauen untereinander. Die Frauen werden sympathisch und kompetent inszeniert, sind Mütter, die um das Wohlergehen und die Erziehung ihrer Kinder besorgt sind. Kurz gesagt: Sie bieten anders als Teenie- und „Unterschichten“-Mütter weniger eine Abgrenzungsfolie als eine Möglichkeit zur Identifikation. Ein interessanter Paradigmenwechsel.
Wir wissen: Mutterschaft ist ein sozial-kulturelles Phänomen und als solches in hohem Maße von äußeren Einflussfaktoren abhängig. Sie ist nach gesellschaftlichen oder religiösen Normen, Zeitgeist und Klassenzugehörigkeit und so weiter konstruiert. Wenn sechs prominente Frauen sich über Rolle, ihre Gedanken und ihre Gefühle als Mutter äußern, dann hat das Vorbildcharakter und kann als eine Art Seismograf für den Stand der Mütterdebatte in Deutschland gelten.
Das heute in Deutschland vorherrschende Mutterbild speist sich nach wie vor aus den Ideen des Bürgertums, das seinen Ausgang im Ende des 17. Jahrhunderts fand, als Kindern erstmals überhaupt ein individueller Wert zugesprochen wurde. Im Zuge dieser Veränderung promotete im späten 18. Jahrhundert die im Volk überaus beliebte Königin Luise von Preußen (1776–1810) in Deutschland Mutterschaft als Essenz von Weiblichkeit. Sie wurde zum Vorbild der bürgerlichen Frau. In gesellschaftliche Schichten, in denen es finanziell möglich war, wurde Muttersein im Laufe der Jahre zur wahren Bestimmung der Frau. Im Zuge der ersten Frauenbewegung um 1900 und dann seit den späten 1960ern – nachdem das Hausfrauenideal zwei Jahrzehnten ungebrochenes Familienleitbild war – stellten Feminist*innen vehement das bürgerliche Konzept von Mutterschaft infrage und probierten neue Formen der Verteilung der Fürsorgearbeit aus. Sie pochten auf die Teilnahme der Frauen am Erwerbsleben und stärkten die soziale Elternschaft. Dieser Prozess, die Debatten um das bürgerliche Mutterbild dauern bis heute an.
Was damals für Königin Luise, die erste Promoterin des Muttersglücks galt, könnte nun also für die sechs Mütter gelten: Sie zeigen, wie Mütter heute sein können. Deswegen sei zunächst angemerkt, dass die sechs vorgestellten Frauen alle cis- und heterosexuell sind und andere Formen sexueller Orientierung oder Identität in der Sendung keine Rolle spielen. Auch sozialstrukturell sind die Frauen alle ähnlich aufgestellt: prominent und erfolgreich eben. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Sorgearbeit auslagern können, sich Nannys und Babysitter leisten können, die älteren Kinder gehen – wie im Falle der einzigen Alleinerziehenden Dana Schweiger – auf ein Internat. Den Frauen ist dabei durchaus klar, dass sie privilegiert sind und nicht die Mehrheitsbevölkerung repräsentieren. Trotzdem sind auch sie geprägt von den Einstellungen zu Mutterschaft, die in der Gesellschaft vorherrschen.
Schauen wir uns also die Aussagen der Protagonistinnen zur Mutterschaft und Weiblichkeit genauer an:
„Mein Beruf ist für mich keine Arbeit, sondern Spaß.“ Wilma Elles, Mutter von Zwillingen.
Diese Aussage von Elles kennt man so fast nur von Frauen. Das liegt daran, dass Männer in unserer Gesellschaft arbeiten, um Geld zu verdienen, während Frauen arbeiten, um sich selbst zu verwirklichen. Ein diskursives Derivat der bürgerlichen Rollenverteilung. Studien zeigen, dass Frauen sogar dann zu dieser Aussage neigen, wenn sie selbst de facto die Familien finanzieren. Es ist ein rhetorischer Trick, um die alte Geschlechterordnung zu bewahren, auch vor sich selbst. So kann ein konservatives Rollenbild oder Selbstbild bewahrt werden. Außerdem signalisiert die Aussage einen gewissen Wohlstand: „Ich arbeite aus Spaß“ heißt in der Regel: „Ich muss nicht arbeiten“, das Einkommen meines Mannes würde auch reichen.
„Jede soll es so machen, wie sie meint.“ Nina Bott, zwei Kinder.
Dieser Satz fällt in verschiedenen Situationen mehrfach und ist ein Hinweis auf die Liberalisierung des Konzeptes von Mutterschaft. Noch in den 80ern galten Alleinerziehende oder unverheiratete Eltern als Kuriosität oder gar Schande. Diese Einstellung, dass es nur ein einziges richtiges Konzept von Mutterschaft gibt, ist heute nicht mehr erstrebenswert. Verschiedene Familienformen werden gesellschaftlich akzeptiert, wenn auch rechtlich und monetär nicht gleichgestellt. Genau in diesem Zusammenhang wäre etwa eine lesbische Mutter in der Sendung interessant gewesen.
Die Sendung geht bisher wertfrei mit den unterschiedlichen Familiensituationen der sechs Mütter um: Ute Lemper lebt mit ihren vier Kindern aus zwei Beziehen in einer Patchworkfamilie und hat ihr letztes Kind mit 48 Jahren bekommen. Dana Schweiger ist geschieden, single und lebt mit ihrer jüngsten Tochter Emma zusammen, während die anderen Töchter im Internat leben (ihr Sohn ist bisher nicht aufgetaucht). Annie Friesinger hat ihre beiden Töchter nach dem verletzungsbedingten Karriereende bekommen und scheint die eher klassischere Rollenverteilung zu leben, während im Hause Obergföll der Vater stark in die Kinderbetreuung und Erziehung eingebunden ist. Auch dass Wilma Elles ihre unter einjährigen Kinder von Nannies betreuen lässt, stößt nicht auf. Wobei Elles sich trotzdem rechtfertigt und betont, dass sie nicht Vollzeit arbeitet und die Babys beim Dreh immer dabei sind. Die anderen beruhigen sie jedoch, nach dem Motto: glückliche Mamas, glückliche Kinder. Neben Willis ist es vor allem Christina Obergföll, die ihren Leistungssport thematisiert und am meisten Ängste hat, dass ihr zweijähriger Sohn Marlon zu kurz komme. Von ihr stammt dann auch dementsprechend der deutsche Mama-Klassikersatz:
„Hoffentlich hast du alles gut gemacht und stehst nicht als Rabenmutter dar.“ Christina Obergföll, ein Kind.
Obergföll und Friesinger unterhalten sich an einer Stelle länger, darüber dass aktiver Leistungssport auf Weltniveau mit Kindern nicht vereinbar sei: „Als Leistungssportlerin musst du egoistisch sein, da gibt es keine Freunde oder Kinder“, sagt Friesinger. Obergföll hat ihr Kind noch in ihrer aktiven Zeit bekommen und das scheint ihr ein schlechtes Gewissen zu machen. Mehrfach spricht sie darüber, dass es sie etwa verletzt, wenn ihr Kleiner den Papa verlangt und nicht die Mama. Sie ist in der Gruppe die Frau, die am ehesten innerlich zwischen Kind und Karriere zerrissen scheint – obwohl sie das gar nicht sein müsste. Ihr Partner kümmert sich anscheinend super um das Kind. Eingespielt wird etwa eine Szene, in der Obergföll durch ihren Mann trainiert wird, der Kleine ist dabei und wird von Papa gewickelt. Sieht aus wie aus einem Prospekt für moderne Elternschaft. Doch Obergföll scheint eine traditionell-bürgerliche Einstellung zu Mutterschaft zu teilen. Sie ist es auch, die an anderer Stelle Mutterschaft als natürliche Rolle bezeichnet. Sie hat im Übrigen im September 2016 ihre Karriere auf dem Höhepunkt beendet – hoffentlich nicht wegen des Kindes. Nicht alle Väter sind so präsent wie Boris Obergföll …
„Er hat erst mal lernen müssen, sich um Kinder zu kümmern.“ Ute Lemper über den Kindesvater und Stiefvater ihrer Kinder aus erster Ehe.
Bei allen Frauen ist Partizipation der Männer an der Familienarbeit ausdrücklich erwünscht. Kerem Gogus, Wilma Elles türkischer Ehemann, spricht sich im Interview klar für eine aktive Väterbeteiligung aus. Auch Lemper spricht von ihrem Mann als jemand, der sich toll um die Kinder kümmert, als kinderloser Musikertyp, aber in die Rolle reinwachsen musste. Nina Botts Freund ist präsent, wirkt wie ein moderner Vater, die beiden fahren gemeinsam zur Geburt des zweiten Kindes. Die Vorstellung, dass Kinder nur von der Mutter erzogen werden können oder sollten, äußert hier niemand, die ist außer in sehr konservativen Kreisen wohl wirklich passé. Gleichzeitig schaut aber niemand genau auf seinen Haushalt, seine Arbeitsteilung und es lässt sich nur vermuten, dass wir entsprechend der Befunde der empirischen Sozialwissenschaft (etwa Koppetsch und Speck: Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist, 2015) es doch mehr mit klassischer Rollenaufteilung haben, als es nach außen scheint. Diese Doppel- beziehungsweise Dreifachbelastung thematisiert dann schließlich Dana Schweiger im Gespräch mit ihrer Personal Trainerin, die sie in Form bringen soll:
„Frauen müssen alles irgendwie hinkriegen: arbeiten, gut aussehen, sich um die Kinder kümmern, dünn sein, große Titten haben, Geld verdienen.“ Dana Schweiger.
Dana Schweiger ist die einzige Alleinerziehende, aber auch die einzige Unternehmerin in der Runde. Sie hat 1997 gemeinsam mit anderen die überaus erfolgreiche Marke belly button gegründet. Es ist überaus schade, dass man darüber nur wenig bis gar nichts erfährt. Stattdessen steht Danas Beziehung und Trennung von Till Schweiger sowie ihr Single-Dasein im Vordergrund. Eine Personal Trainerin hat die Endvierzigerin, so wird suggeriert, um sich für einen neuen Mann fit zu machen. Dabei scheint Dana sowohl ihre Figur als das Alleinsein selbst gar nicht zu stören, sie sagt von sich selbst, dass sie glücklich ohne Partner sei. Auch das oben genannte Zitat scheint eher mit einem Augenzwinkern ausgesprochen, denn Schweiger absolviert das Personal Training eher widerwillig. Warum reduzieren die Macher*innen der Serie Schweiger so auf ihr Single-Dasein? Ist es etwa immer noch nicht vorstellbar, dass eine Frau ohne Typ glücklich sein kann? Zumal bei ihr die typischen Probleme Alleinerziehender wie Geldsorgen und Zeitmangel keine Rolle spielen. Oder geht es darum, möglichst PR-wirksam viel Privates über die Schweiger-Familien zu erzählen? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist dieser Plot der nervigste. Go Dana!
„Frauen, die keine Kinder bekommen haben, sind nur halbe Frauen, weil sie nicht die ganze Palette an weiblichen Gefühlen kennen.“ Asli Engel, Freundin von Wilma Elles.
Diesen Satz äußert eine türkische Freundin der in Istanbul lebenden Schauspielerin Wilma Elles in einem Einspieler und ergänzt: Muttersein sei in der Türkei heilig, Kinder immer und überall willkommen. Die Zuschauerinnen sind entsetzt. Meint die das ernst? Als Erstes deutet Ute Lemper den Satz, in etwa so: „In dieser Gesellschaft, in dieser islamischen Gesellschaft, wenn eine Frau 50 ist und keine Kinder gehabt hat, dann wird sie disrespektiert“, davon ist Ute Lemper überzeugt. Und: „Hier in Deutschland würde man so etwas nie sagen.“ Na ja. Wir wissen ja spätestens seit Sarah Diehl, dass auch hierzulande kinderlose Frauen stigmatisiert werden. Und Obergföll pflichtet Engel gar bei: „Irgendwie stimmt das doch so, Muttersein liegt in unserer Natur.“ Und Kinderlossein sei also unnatürlich. Nina Bott meinte, dass Frauen, die keine Kinder hätten, etwas verpasst hätten, aber dass man sie tolerieren müsse. Tolerieren. Interessanterweise werden hier zum Beispiel männliche Kinderwünsche oder Vaterliebe überhaupt nicht thematisiert.
Willes, die in diesem Jahr die türkische Staatsbürgerschaft angenommen hat, kommt hier die Aufgabe der interkulturellen Botschafterin zu. Es entspannt sich eine längere Unterhaltung über das Mutterbild in der Türkei im Vergleich zu Deutschland. Und da zeigt sich, dass die kulturellen Unterschiede längst nicht so eindeutig sind wie angenommen. Willes erzählt, dass es sie erst mal schockiert war, dass türkische Frauen wie in Frankreich etwa auch in der Regel nach drei Monaten wieder anfangen zu arbeiten. Und auch wenn Kinder in der Türkei überall willkommen sind: In Sachen Mutterschutz liegt Deutschland vorn. Ebenso weist Willes darauf hin, dass das Tragen eines Kopftuches kein Gradmesser für die Emanzipation der einzelnen Frau ist, sondern ein Zeichen von Religiosität.
Die Serie zeigt, dass Mutterschaft im Vergleich zu früher facettenreicher und individueller sein darf, dass es jedoch durchaus zu Konflikten kommt, wenn Ideen von Mutterschaft auf internalisierte Rollenmuster stoßen. Im Gegensatz zur Vergangenheit, in der die Vorgaben an Mütter sehr eindeutig waren, gilt heute: Du musst erst mal die Mutter werden, die du sein willst. Und damit ist die Show – ungeachtet der Tatsache, dass wir es hier mit außergewöhnlich erfolgreichen, privilegierten Frauen zu tun haben – immer noch realistischer als die schablonenhaften medialen Mutterschaftsdebatten, die Mütter in Kategorien wie Helikopter, Latte-Macchiato-Mutter, Karrieremutter oder Unterschichten-Mom vorsortieren.
Wirklich neue Narrative schafft die Serie hingegen nicht. Die vor allem inneren Konflikte der Frauen sind vorhersehbar, drehen sich in der Regel um Vereinbarkeitsfragen und Kindererziehung. Wenig progressiv tauchen Väter zwar gern gesehen auf, sind aber eben nicht Gegenstand des Formats und damit Randfiguren. Von queeren Familienkonzepten ganz zu schweigen. Alles in allem geht es dann eben doch bei Fragen von Elternschaft und Kindern auch heute immer in erster Linie um: Mütter.