Von Nadia Shehadeh

Wenn man über soziale Ungleichheit spricht, über Menschen, die sich in prekären Lebenssituationen befinden, dann muss man auch über diejenigen sprechen, die das nicht tun – weil sie Privilegien genießen, die sie davor schützen. „Privileg“ (meist im Plural gebraucht), gehört zu jenen Begriffen, die schon länger in Debatten aktivistischer Arbeit auftauchen, vor allem im (Netz-)Feminismus. In letzter Zeit wird das Wort immer öfter auch in breiteren Kontexten verwendet.

Doch was bedeutet es, Privilegien zu genießen? Privilegien sind – je nach Kontext unterschiedlich ausgestaltete – unverdiente Vorteile, die eine Person genießt. Darunter fallen Positionen wie weiß, männlich, cisgender, mit Kapital ausgestattet oder able-bodied. Je nachdem, welche Ausgangsprivilegien eine Person besitzt, ist es möglich, im Laufe der Zeit weitere Privilegien dazuzugewinnen – zum Beispiel ökonomische oder auch im Sinne von Bildung. Eigentlich ein ganz logisches Konzept.

Als weiße Person ist es ein Privileg, keinen Rassismus zu erfahren, als wohlhabende Person kann es ein Privileg sein, vor Armut geschützt zu sein. Die Liste ist lang.  Besonders daran ist, dass die meisten Privilegien nicht erkämpft werden, sondern Teil der persönlichen Lebensgeschichte sind. Dadurch erscheinen sie denjenigen, die sie genießen, oft selbstverständlich.

Für die einen ist es wichtig, über Privilegien zu sprechen, wenn es um soziale Ungleichheit geht, andere halten die Rede darüber für symptomatisch für eine „Call-out Culture“, also wenn Menschen wegen ihres Verhaltens oder ihrer Aussagen öffentlich kritisiert werden. Ich selbst bin eine von denen, die es als sehr hilfreich empfinden, über Privilegien zu sprechen – vor allem, wenn die Strukturen und Machtverhältnisse in sozialen Räumen analysiert werden sollen.

Das Prinzip des „Privilegs“ wurde bereits in den 1930er-Jahren in Bezug auf Weißsein vom Bürgerrechtler und Soziologen William Edward Burghardt Du Bois formuliert. 1945 erschien zum ersten Mal ein Text dazu im „American Journal of Sociology“.  Ab den 1970er Jahren griffen immer wieder Feminist*innen das Konzept auf, etwa Alice Walker und später Peggy McIntosh. Auf Letztere wird häufig verwiesen, sie entwickelte 1988 im Rahmen eines umfangreichen Essays eine „Privilegien-Checklist“, die Gegner*innen des Konzepts oftmals nur punktuell und ohne Hinzunahme weiterer Textpassagen zitieren, um sich dann über die angebliche Selbstgeißelung und Anklagekultur des Konzepts lustig zu machen. „Diese Check-deine-Privilegien-Opfer, haha!“, heißt es dann, um Aktivist*innen zu deskreditieren. Und damit wären wir bei einer weiteren wichtigen Frage: Warum tun sich viele so schwer damit, ihre eigenen Privilegien anzuerkennen?

Laut Peggy McIntosh hängt das vor allem mit der Angst zusammen, die vorhandenen Privilegien zu verlieren. Die eigenen Vorteile erscheinen vielen als nicht nennenswert und individuell, als geradezu unsichtbare Zufälligkeiten. Würden sie sich die eigenen Privilegien eingestehen, müssten sie einräumen, dass es anderen Menschen eventuell schlechter geht.

Die Autorin Phoebe Maltz Bovy behauptet, dass das Thematisieren von Privilegien nichts an sozialer Ungleichheit ändere. In ihrem Buch „The Perils of Privilege“ schreibt sie, dass sich die Leute, die sich für die Wirkmacht von Privilegien interessieren, nur als tumber Sprechmob in den Onlinemedien tummeln würden – und verkennt so die wichtige analoge Arbeit von Aktivist*innen für eine sozial gerechtere Welt. Ob es nur Zufall ist, dass sie als weiße, elitäre, gut ausgebildete High-End-Absolventin ziemlich viele Privilegien-Gewinnlose in der Hand hält?