Interview von Tasnim Rödder

Vom 24. bis 29. August werden Aktivist*innen in die Nähe von Köln fahren, um im Rheinischen Braunkohlerevier, der größten CO2-Quelle Europas, gegen das schmutzige Geschäft der Kohleenergie zu protestieren. Bereits 2015  und 2016 mobilisierte das Bündnis Ende Gelände insgesamt mehr als 5500 Aktivist*innen, um in Nordrhein-Westfalen und in der Lausitz zivilen Ungehorsam zu leisten. Janna Aljets ist eine der Aktivist*innen. Sie ist seit 2015 ehrenamtlich beim Bündnis Ende Gelände aktiv.

Ende Gelände 2016 – Besetzung Kohlebagger © Flickr/Ende Gelände-350.org-Tim Wagner/CC BY-NC 2.0

Wann wurde das Bündnis Ende Gelände gegründet?
Janna Aljets: Zu Anfang, 2015, fanden sich mehrere hauptsächlich politische Gruppierungen, um im Bündnis aktivistisch gegen Kohlekraft vorzugehen. Viele Menschen kamen aus der Anti-AKW-Bewegung, von der Interventionistischen Linken oder von Umweltorganisationen. Die Menschen waren also schon politisiert. Mittlerweile politisiert das Bündnis auch Menschen, die vorher nicht politisch unterwegs waren. Es ist schön zu sehen, dass sich heute auch einzelne Menschen Ende Gelände anschließen und in Regionalgruppen zusammenfinden.

Wie und wann bist du zum Bündnis Ende Gelände gestoßen?
Ich selbst habe vorher bereits 2014 die Degrowth Konferenz organisiert, einen kapitalismus- und wachstumskritischen Zusammenschluss, wo erste Aktionen für die Anti-Kohle-Aktionen für 2015 geplant wurden. Im Sommer 2015 war ich dann direkt dabei und blockierte mit 1500 Aktivist*innen den Tagebau Garzweiler.

Vom 24. bis 29. August wirst du mit dem Bündnis Ende Gelände im Rheinland gegen Braunkohle protestieren. Welche Aktionen habt ihr geplant?
Das übergeordnete Ziel ist es, die Infrastruktur der Braunkohlenproduktion zu blockieren. Dazu sind verschiedene  Aktionen von unterschiedlichen Akteur*innen geplant. U. a. werden Sitzblockaden, eine Fahrradtour organisiert und eine lange symbolkräftige Menschenketten gebildet. Das alles im Einsatz unserer eigenen Körper.

Warum legt ihr die Betonung, auch auf der Webseite, auf den Einsatz „eigener Körper“?
Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass wir damit besonders unsere Entschlossenheit zeigen. Unsere Körper sind verletzlich. Doch der Klimawandel und die befeuernde Kohlenindustrie sind so dringlich, dass wir sogar unsere Körper dafür aufs Spiel setzen. Es ist auch eine wichtige Form der körperlichen Selbstermächtigung. Wir brauchen keine Waffen oder Instrumente.

Was kritisiert ihr konkret an der Kohleindustrie?
Der Klimawandel ist mittlerweile unumstritten – und die Kohlenindustrie befeuert ihn. Die Energiegewinnung aus Kohle ist die dreckigste Art und Weise, Strom zu erzeugen. Und Deutschland, als eines der reichsten Länder Europas, gewinnt seine Energie immer noch zu 40 Prozent aus Braun- und Steinkohle. De facto brauchen wir die Energie noch nicht mal, sondern exportieren einen Teil, um daran zu verdienen. Außerdem blockiert Braunkohle die nötige Energiewende. Kohlekraftenergie ist billiger und verdrängt somit erneuerbare Energien, wie z. B. Solarenergie, vom Markt.

Wir sehen Braunkohle als ein Symbol für ein ausbeuterisches Wirtschaftssystem, das sich an der Natur schamlos bedient, obwohl ihre Ressourcen endlich sind. Das muss gestoppt werden! Und hier sehen wir auch starke Parallelen zur Ausbeutung der (Sorge-)Arbeiten von Frauen. Dazu kommt, dass das alles auf Kosten der Menschen geht, die am wenigsten Mittel dazu haben, sich dem Klimawandel anzupassen. Das sind in der Regel diejenigen, die in der Gesellschaft nicht in den ersten Reihen mitreden: Frauen, People of Color, trans Personen, arme Menschen, Menschen mit Behinderung und die Bevölkerung des Globalen Südens. Der Klimawandel ist eine soziale Krise: Es leiden die sozial Benachteiligten.

Aber auch an den Orten des Kohlenabbaus direkt werden Menschenrechte verletzt. Für den Braunkohle-Tagebau werden ganze Dörfer abgerissen und ihre Bewohner*innen vertrieben. Dazu kommt die enorm hohe Feinstaubbelastung, die ein großes Gesundheitsrisiko für die Menschen im Umfeld mit sich bringt. Doch der RWE-Filz vor Ort unterbindet lokalen Widerstand, indem mit Finanzierungen erpresst wird.

 

Ende Gelände 2016 – Besetzung Kohlebagger © Flickr/Ende Gelände-350.org-Tim Wagner/CC BY-NC 2.0

„Wir wissen, dass wir im Laufe des Jahrhunderts eine Dekarbonisierung brauchen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Sommer 2015 zum Abschluss des G7-Gipfels. Doch tatsächlich schiebt die Regierung das Thema immer noch vor sich hin. Erst im Jahr 2018 soll vermutlich eine Kommission einberufen werden, die beschließt, welche Kohlemeiler wann vom Netz gehen. Wie beurteilt ihr aktuelle Entwicklungen bezüglich des Kohleausstiegs?
Eben das, das ständige Aufschieben und die politische Ohnmacht, ist der Grund für unseren Aktivismus. Deutschland spielt sich dauernd als Klimaretter auf – dabei passiert nichts. Und im Rheinland liegt die größte CO2-Quelle Europas. Auch im diesjährigen Wahlkampf spielt der Kohleausstieg keine Rolle. Im Gegenteil: In Nordrhein-Westfalen hat die neue schwarz-gelbe Koalition die sowieso schon laschen Klimaschutzpläne zurückgenommen und den Ausbau für erneuerbare Energien erneut erschwert.

Deutschland gilt im internationalen Rahmen dennoch als Vorreiter der Energiewende. Wie siehst du das?
Klar, die Energiewende wurde teils in Gang gesetzt. Aber Deutschland hat eben auch im Vergleich zu anderen Ländern eine sehr große historische Verantwortung. Wir fordern Klimagerechtigkeit! Und ist es gerecht, dass Deutschland als Verursacher des Klimawandels noch dreckigen Kohlestrom erzeugt, der nicht mal gebraucht wird?

Was wollt ihr konkret mit eurem Aktivismus erreichen?
Wir fordern ganz einfach den sofortigen Kohleausstieg. Und damit sind wir leider die Einzigen – auch die Parteien scheuen sich. Selbst die Grünen fordern den Ausstieg erst 2030. Zudem setzen wir ein Zeichen gegen ein profitorientiertes Gesellschaftssystem und fordern, dass ein gutes Leben für alle möglich ist.

80 Prozent der Kohlevorräte müssen im Boden bleiben, wenn es eine realistische Chance geben soll, dass die globale Erwärmung zwei Grad nicht überschreitet – so die Kernaussage einer viel zitierten Studie vom University College London. Ist das noch realistisch?
Wir machen keine Realpolitik, die ständig Zugeständnisse macht und Kompromisse eingeht. Wir sehen uns in der Verantwortung, vielleicht auch utopisch klingende Forderungen zu stellen, weil wir die Notwendigkeit und Gefahr der Lage deutlich sehen. Wir sehen uns in der Tradition von Bewegungen, die z. B. die Sufragettes und Rosa Parks in die Wege leiteten. Sie forderten auch „Unrealistisches“ – jedenfalls betrachtete die Gesellschaft es damals so – und erreichten damit Großes und Notwendiges.

Nach der Klimablockade von US-Präsident Donald Trump: Was wird der Ausstieg des zweitgrößten Klimasünders bewirken? 
Die USA war nie ein besonderer Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel. Und besonders von Trump war dieser Schritt nicht überraschend. Ich denke, Deutschland muss jetzt umso stärker handeln. Der Klimawandel ist ein globales Problem – wir sind und werden alle betroffen sein.

In der Ökoszene sind, wie bei euch auch, größtenteils akademische, weiße Menschen unterwegs. Wie geht ihr damit um? 
Ja, der Ökoaktivismus hat ein deutliches Diversity- und vor allem Klassenproblem. Wer im Alltag schon Kämpfe gegen Diskriminierung führt oder es sich nicht leisten kann, sich freizunehmen, um sich ehrenamtlich zu engagieren, ist von diesem Aktivismus ausgeschlossen. Wir versuchen jedoch, das Problem zu reflektieren und unsere inneren Strukturen zu öffnen. Dazu gehört z. B. ein Awareness-Team auf dem Camp oder Regeln für einen achtsamen Umgang. Dazu gehört auch, dass insbesondere keine cis Männer ihre Shirts ausziehen dürfen, solange das Ausziehen von cis Frauen und trans Personen noch nicht gleich angesehen und behandelt wird. Oder dass reproduktive Arbeit gerecht aufgeteilt wird. Kloputzen ist genauso wichtig wie auf Bagger klettern! Außerdem haben wir bei den Plena quotierte Redelisten, um dominantes Redeverhalten von Männern zu unterbinden und Mackertum zu bekämpfen.

Ihr plant einen Bad-Ass-queerfeministischen Finger, der in die Grube ziehen wird. Wie soll das aussehen?
Der „Finger“ ist eine Aktionsform beziehungsweise Taktik, bei der sich eine große Gruppe spaltet, um Polizeiketten durchfließen zu können. Dieses Jahr haben wir zu einem queerfeministischen Finger aufgerufen, der besonders FLTI* Personen einlädt. Damit wollen wir unseren queerfeministischen Anspruch sichtbar machen und eine Aktionskultur schaffen, in der wir uns nicht über die Körper, sondern über unsere kollektive Entschlossenheit definieren.

Frauen werden oft Wut und Aggression abgesprochen. Hast du als Aktivistin damit Erfahrungen gemacht?
Ich persönlich bin ein sehr wütender Mensch. Wut ist eine extrem wichtige Kraftquelle für mich. Mich regen unsere Privilegien auf, mich machen Mackertum und verschmutzende Autos wütend und der Tagebau erst recht. Öfters habe ich das Gefühl, dass meine Wut als irrationale Emotion interpretiert wird. Ich habe dann Angst, nicht mehr ernst genommen zu werden, als irrational gehört zu werden. Bei Männern in unserem Bündnis ist das in der Regel nicht der Fall, die werden seriöser wahrgenommen. Das wird besonders in der Pressearbeit deutlich, wo eher Männer angefragt und zitiert werden. Deshalb wählen wir bewusst Pressesprecher*innen aus, eine davon bin ich – auch wenn ich vielleicht nicht die beste Rednerin bin. Trotzdem oder gerade deshalb werde ich nicht aufgeben.