What is love?
Von
Interview: Judith Werner
Es gibt Momente, die können ein ganzes Leben verändern. So auch, als ein Teenager namens Liv aus dem schwedischen Lund ihre Schwester in Stockholm besuchte. Die beiden jungen Frauen gingen zu einer Lesung und Liv hörte zum ersten Mal von Feminismus und patriarchalen Strukturen. Heute ist Liv Strömquist vierzig Jahre alt und eine der bekanntesten feministischen Comiczeichnerinnen in Skandinavien. Im Skype-Gespräch erzählt sie von der Entstehungsgeschichte ihres neuesten Comics „Der Ursprung der Liebe“.
Dein Comic „Prins Charles Känsla“, der in Schweden bereits 2010 publiziert wurde, erscheint nun unter dem Titel „Der Ursprung der Liebe“ auf Deutsch. Ist die Liebe – wie früher im Märchen – nur etwas für Prinzessinnen?
Ich habe mein Buch „Das Gefühl von Prinz Charles“ genannt, weil es sich auf ein Interview bezieht, das der britische Thronfolger einst bei seiner Verlobung mit Lady Diana gab. Er wurde gefragt, ob er Diana liebe, und er antwortete nach kurzem Zögern: „Yes – whatever love means.“ Eine bezeichnende und möglicherweise unfreiwillig ehrliche Aussage, wenn wir bedenken, wie die Geschichte der beiden verlief. Doch mir geht es gar nicht um diese royale Ehe, sondern um sein Zögern und die Fragen, die Charles damit aufgeworfen hat und die sich auch viele von uns stellen: Was bedeutet das eigentlich – Liebe? Habe ich dieses Gefühl oder doch nicht? Ich mag übrigens den deutschen Titel. Er bezieht sich auf die Herkunft dieses großen Gefühls: Ich frage nach den soziologischen Umständen, die unser Verständnis von Liebe heute prägen.
Wie auch in „Der Ursprung der Welt“, das die Kulturgeschichte der Vulva behandelt, arbeitest du mit wissenschaftlichen Studien aus der Medizin, Soziologie, Literatur und Philosophie. Bei vielen Bildern kann man am Rand Fußnoten mit Quellenangaben entdecken. Wie kamst du auf die Idee, solche Inhalte in Comicform zu verarbeiten?
Ich habe schon während meiner Studienzeit angefangen zu zeichnen. Irgendwann habe ich mich gefragt, warum ich die Arbeitsweise, die ich in meinem Studium verwendete, nicht auch für meine Kunst einsetzen sollte. Wenn man wissenschaftlich arbeitet, liest man viel, stellt Thesen auf und versucht, Fragen zu beantworten. Das kann manchmal recht trocken sein. Bei meinen Recherchen bin ich aber auch immer wieder auf Theorien und Studienergebnisse gestoßen, bei denen mir der Mund vor Erstaunen offen stand. Genau die sind es, die ich mit meinen Comics anderen nahebringen will. Ich nenne meine Bücher übrigens bewusst Comics und nicht Graphic Novels. Der Ausdruck Graphic Novel wurde ja u. a. deswegen geschaffen, um dem Genre Comic eine Art Hochkultur-Stempel zu
verpassen. Ich mag aber gerade das Unprätentiöse und Kindliche, das einem dieses Genre bietet. Eine Graphic Novel liest du nicht eben mal zwischendurch oder nimmst sie mit auf die Toilette. Einen Comic schon – und das finde ich gut.
War Gender schon während deines Studiums der Politikwissenschaft das zentrale Thema für dich?
Überhaupt nicht! Heute sehen wir erfreulicherweise, dass Gender-Debatten und Fragen von Gleichberechtigung und Feminismus eine größere Aufmerksamkeit bekommen. Während meines Studiums in den 1990ern war in Schweden die Zeit eines feministischen Backlash. Ich bin mit dem Stereotyp von Feministinnen als verbitterte, ältere Frauen aufgewachsen. Auf dem schwedischen Land gab es …