Von Sibel Schick

Ich hab Lust auf ein gesellschaftliches Engagement und bin auf der Suche nach etwas Sinnvollem. Ich denke, ich könnte was mit Flüchtlingen machen. Letztens hab ich diese Tweets gelesen über so ein Welcome Dinner. Vielleicht finde ich auch einen Ahmed oder einen Mohammed und verändere sein Leben. Wie gut sich das anfühlen muss. Und wie süß das sein muss, wenn mein Flüchtling sein westliches Essen – so was wie Spaghetti – nicht essen kann und eine Sauerei macht. Wie ein Kind. Kinder … Kinderarmut … da war doch was … Ach ja! Was ist denn jetzt mit den armen Kindern in Deutschland? Soll ich nicht lieber vor meiner eigenen Haustür kehren, bevor ich den Zugezogenen helfe? Oder Obdachlosen!? Was ist mit denen? Die Politik macht eh nix! Nee, nee. Zuerst muss es uns gut gehen. Dann erst kommen die anderen dran.

Unter der schwarz-rot-goldenen Decke liegen und von Krieg träumen? Keine romantische Vorstellung für jede*n. © Tine Fetz

Wo wir bei den Kindern sind, überlege ich mir, vielleicht was mit Waisen oder kranken Kindern zu machen. Ich könnte so eine Clownsausbildung machen und an Wochenenden Kindern Freude schenken. Wenn ich sie zum Lachen bringe, dann macht mich das bestimmt auch glücklich. Das ist für beide Seiten von Nutzen. Bei Kindern muss ich auch an die kleinen Arbeitermädchen in Usbekistan denken. Den ganzen Tag pflücken sie Baumwolle unter glühender Sonne, anstatt zur Schule zu gehen. Aus dieser Baumwolle werden T-Shirts gemacht, auf die ist kein Verzicht. Und wenn wir ehrlich sind, ist es peinlich, sich für die Kinder in Deutschland einzusetzen, während die es drüben so schwer haben. Das kann ich meinem Gewissen gegenüber nicht verantworten. Na toll. Noch ein Plan zunichtegemacht …

Frauenrechte! Ich kann mich doch voll gut für die Frauen einsetzen! Ich habe gehört, die werden noch immer schlechter bezahlt als Männer. Und sie werden ja noch geschlagen und so. Ich denke, Deutschland braucht auch starke Frauen, wenn es sich ein fortschrittliches Land nennen will. Aber weißt du was: Eigentlich haben sie es hier schon total gut. Ich meine, ganz ehrlich, hier machen die so einen Aufschrei wegen Gendersternchen und gleicher Bezahlung, aber Frauen in Iran werden verhaftet, weil sie tanzen, und in Saudi-Arabien dürfen sie erst seit Kurzem Auto fahren. Was ist mit denen da drüben? Das wäre doch heuchlerisch, in Deutschland wegen Gewalt an Frauen Theater zu machen, während es Gewalt an Frauen auch sonst wo gibt. Ärgerlich! Auch das müssen sie mir wegnehmen.

Irgendwo hat es irgendwer immer schwerer als hier. In Afrika verhungern Kinder, in Tschetschenien werden Schwule verfolgt, in Amerika werden Schwarze erschossen, in der Türkei sitzen Regierungsgegner im Knast. Die Welt kann ich eh nicht alleine retten, es wird mir zu viel. Ich glaube, ich mache einfach gar nichts, bleib hier sitzen und beklage mich über meine Alltagsprobleme.*

 

* In diesem Beitrag achtet die Autorin aus stilistischen Gründen nicht auf eine antirassistische und gendergerechte Sprache, um stärker auf die unsensible Art derer hinzuweisen, die mit Beispielen aus anderen Ländern gegen antirassistischen und feministischen Aktivismus in Deutschland argumentieren, ohne inhaltlich auf die Themen einzugehen, siehe „Whataboutism“.