Von Sibel Schick

Mesut Özil hat sich mit einem Monster fotografieren lassen, darüber müssen wir uns nicht streiten. Aufgrund dieses Fotos eine Bekennung zu Deutschland zu fordern liegt dennoch alleine an der Migrationsgeschichte seiner Familie, und somit ist es Rassismus in seiner reinsten Form. Vieles, was Erdoğan verkörpert, bleibt Deutschen nicht erspart: Bei der Bundestagswahl 2017 haben über 20 Millionen Wahlberechtigte rechte und rechtsradikale Parteien gewählt.

Auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Twitter teilen Betroffene von Rassismus derzeit unter dem Hashtag #MeTwo ihre Erfahrungen.

Die Bundesregierung ist im Kuschelkurs mit Erdoğan und der AKP. Mit dem Flüchtlingsabkommen und dem Waffenhandel trägt sie aktiv zu Menschenrechtsverletzungen bei. Mit der öffentlichen Unterstützung wie Teezeremonien wird das Bild vermittelt, in der Türkei sei alles in Ordnung: Dass die Zivilgesellschaft zerstört ist, beinahe alle Regierungskritiker*innen und Oppositionspolitiker*innen im Knast sitzen und jährlich über 300 Frauenmorde stattfinden, ist für die Bundesregierung gut verträglich. Sie muss sich nicht rechtfertigen.

Wenn es einen Hoffnungsschimmer gibt, dann ist es die Sichtbarkeit, die Menschen mit Rassismuserfahrungen dieser Tage erlangen. Und seit Donnerstag teilen sie diese Erfahrungen in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #MeTwo mit. Ein Blick auf die Tweets zeigt, dass Rassismus in Deutschland nicht nur ein fester Bestandteil des Alltags ist, sondern auch strukturell und institutionell stattfindet. Manchmal ist er offensichtlich, oft aber heimtückisch und subtil.

Was Özils Rücktritt also ausgelöst hat, ist keine „Integrationsdiskussion“, sondern eine Rassismusdiskussion. Deutschland hat kein Integrationsproblem, es hat ein Rassismusproblem. Sowohl der Begriff „Integration“ als auch die deutsche Debatte um ihn herum sind rassistisch. Sie beruhen auf der Annahme, dass bestimmte Menschen so anders seien, dass sie sich anpassen müssten. Im Mai schrieb Lara Fritzsche fürs“SZ-Magazin“: „Es ist ein Paradoxon, dass die Frau mit Kopftuch erst da zum Problem wird, wo ihre Integration gelungen ist.“ Die Frau mit Kopftuch landet also wider Erwarten in der Mitte der Gesellschaft, die Hürden auf ihrem Weg aber werden auf ihre Kultur reduziert, anstatt dass die strukturellen und institutionellen Rassismuserfahrungen entfaltet werden. „Eine gelungene Integration“ beinhaltet, dass gewisse Menschen es eh nicht schaffen würden, es sei denn, sie werden „angepasst“.

Jemanden integrieren – es müsste heißen: Räume öffnen, Hürden zerstören, Chancen geben, Teilhabe ermöglichen. Was ich lernen musste, als ich 2009 nach Deutschland gezogen bin: erstens die Sprache, zweitens den Umgang mit der Tatsache, dass Deutsche nicht spontan sind, drittens, dass sie dich unter der Woche schon um 22 Uhr nach Hause schicken, weil sie am nächsten Tag arbeiten müssen. Mehr nicht. Integration war nicht mein Problem. Mein Problem sind eher die Rassismuserfahrungen, die ich mache, und der Stress, den mir der unsichere Status gibt. Ich muss mir aber trotzdem ständig anhören, wie gut integriert ich sei, und ich finde es sehr, sehr arrogant.

Rassismus in Deutschland ist kein Mythos, er existiert und hat einen hohen Preis für viele Menschen. Wir sollten nicht darüber sprechen, inwiefern die anderen angepasst werden müssen, sondern darüber, dass Menschen bei der Jobsuche ausgeschlossen werden, und wie wir das ändern können. Auch darüber, dass Menschen keine Wohnung bekommen, weil sie keinen „deutsch“ klingenden Namen haben, und eine Lösung dafür finden. Dringend müssen wir anfangen, darüber zu sprechen, dass Menschen auf der Straße angespuckt und körperlich angegriffen werden, und Schutz- und Präventionsmaßnahmen entwickeln. Ob ein Mensch, der andere körperliche und äußere Merkmale hat, wie Hautfarbe oder Kopftuch, automatisch jemand ist, die*der verändert werden muss, und ob sie es verdienen, dass man sich mit ihnen solidarisiert? Darüber müssen wir nicht diskutieren.