M E N S T R U A T I O N ist für 85 Prozent der deutschen Bevölkerung nach wie vor ein Ihh-Wort.

M E N S T R U A T I O N S B L U T löst vermutlich noch mehr Ekel aus. Von den verbleibenden 15 Prozent sind wahrscheinlich 10 Prozent ciszentrierter, transfeindlicher (Pseudo-)Feminismushype und leider max. 5 Prozent tatsächlich queer gedachte Enttabuisierung von Menstruation(-sblut). Noch mal schwieriger wird es mit benutzten, blutigen „Hygiene“-Artikeln in der Öffentlichkeit. Übersetzt: blutige Tampons und Binden in Parkmülleimern, auf der Straße im Gebüsch, in der Hand …

Illustration: Tine Fetz

Aber von vorne: Wie komme ich da drauf? Warum sitze ich am 31. Oktober an meinem Schreibtisch und beschließe, mich mit Menstruationsblut im öffentlichen Raum auseinanderzusetzen, statt mich in Schale zu werfen und als queerer Zombie durch die Gegend zu streifen? Es liegt am Pudel. Der ist nämlich gerade läufig und trägt deswegen zwischendurch immer mal wieder eine kleine niedliche Unterhose mit Glitzerigeln drauf und einer Maxi-Binde drin. Und weil die Routine eigentlich so läuft: Schuhe an, Jacke an, Pudel anschnallen, losgehen, habe ich erst draußen gemerkt, dass der Pudel noch seine Glitzerigel-Maxi-Binden-Windel trägt. Das geht aber nicht, schließlich sind wir draußen, damit der Hund sich erleichtern kann. Also Windel aus.

Nächstes Problem: Die Textilindustrie glaubt weiter fest daran, dass Frauengarderobe mit mikroskopisch kleinen Taschen auskommt. Viel zu klein, um darin eine Glitzerigel-Windel samt Maxi-Binde unterzubringen. In der Hand behalten geht aber auch nicht wegen der Krücken. Also Maxi-Binde raus, Igelhöschen in die mikroskopisch kleine Tasche gestopft. Und nun? Steh ich mit der Maxi-Binde in der Hand neben einer Parkbank mit Mülleimer. Und da geht das Gedankenkarussell los: Binde in den offenen Papierkorb? Jede Person, die da sitzt und das sieht, wird es super eklig finden und sich aufregen. Zusammenrollen macht es auch nicht besser, das bestärkt die Idee einer blutverschleimten Innenseite nur noch mehr.

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.

Ich stehe da und bin von meinen eigenen Gedanken irritiert. Und dann kommt die erste Passantin und sieht mich da stehen mit der Pudel-Maxi-Binde in der Hand. Angewiderter Blick, Entsetzen, Verachtung, Schock, es ist schwer zu sagen, was sich da alles zusammentut. Und wohlgemerkt: Wir reden nicht von einer blutdurchtränkten Erster-Tag-der-Menstruation-Binde, sondern von Blutströpfchen in Ich-habe-mir-in-den-Finger-gepiekt-Größe. Es ist doch absurd: Blutige Menstruationsartikel in der Öffentlichkeit lösen völlige Abscheu, Angst und Ekel aus. Benutzte Kondome sieht man in Berlin an jeder Ecke. Findet auch keine*r richtig toll, aber wird halt mit einem Schulterzucken hingenommen. Ich kann mich an X Situationen mit anderen Feminist*innen erinnern, in denen blutige Binden und Tampons, die sichtbar in der Öffentlichkeit rumlagen, mindestens Irritation, auf jeden Fall Sprüche wie „wie kann denn so was passieren“ und nicht selten Ekel und Erregung ausgelöst haben. Wie so was passieren kann? Da fallen mir auf Anhieb etliche Umstände ein! Aber eigentlich ist das auch egal, denn feministisch betrachtet sollte es auch nicht mehr Reaktionen auslösen als ein benutztes Taschentuch im Park-Mülleimer.

Ich habe mich also darüber mit einer anderen Feministin unterhalten, die sofort meinte: Aber es gibt ja Feminist*innen, die das aktiv nutzen, indem sie z. B. Dinge mit blutigen Binden und Tampons bewerfen. Blutiges Menstruationszeug als Angriff bleibt aber in derselben Ekellogik. Mir ist schon klar, dass es funktioniert, weil Leute das pfui finden. Aber blutige „Hygiene“-Artikel als „Waffe“ zu verwenden, legitimiert das eben auch bis zu einem bestimmten Grad, sonst wäre es keine Form der Konfrontation. Und das heißt nicht, dass ich das nicht auch irgendwie cool finde. Es heißt eher, dass ich glaube, dass ich in Zukunft meine blutigen Binden und Tampons in den Parkeimern dieser Stadt verteilen werde. Oder würde, wenn ich nicht Team Menstruationstasse wäre.

In jedem Fall: Nachträglich blutverschleimte Halloween Euch allen!