Von Sonja Eismann

Natürlich werden Frauen immer dazu gezwungen, sich wie Verbrecherinnen zu fühlen, egal, wofür sie sich entscheiden oder wie sehr sie sich bemühen. Mütter fühlen sich wie Verbrecherinnen. Kinderlose auch.“ Mit diesen Sätzen aus dem ersten Teil von „Mutterschaft“ ist eigentlich alles gesagt. Und dennoch verbergen sich dahinter Myriaden von unterschiedlichen Zuschreibungen und Zumutungen, von denen vermutlich jede Person, die von sich selbst oder ihrer Umgebung als gebärfähig identifiziert wird, ein Lied singen kann.

Sheila Heti, die mit ihrem selbstzerfleischenden Generationenporträt „Wie sollten wir sein“ und der gemeinschaftlichen Alltagsmodeanalyse „Frauen und Kleider“ zwei weltweit beachtete Bestseller gelandet hat, macht sich die Mühe, all diese Erwartungen, Forderungen und Stereotype, die auf potenzielle Mütter einprasseln, auseinanderzudröseln. Dies tut sie aus einer radikal subjektiven, autobiografischen Perspektive, die schon „Wie sollten wir sein“ charakterisierte und auch gattungstechnisch eine ganz neue Form selbstbewusster, weiblicher Bekenntnisliteratur erschafft.

Um die Zufälligkeit dieser vermeintlichen Glaubensfragen zu unterstreichen, greift Heti in ihrem neuen Buch zu einem stilistischen Trick. Angelehnt an eine Technik des I-Ging befragt sie anhand von Münzwürfen ein imaginäres Orakel: „Ich werfe drei Münzen auf einen Schreibtisch. Zwei- oder dreimal Zahl – ja. Zwei- oder dreimal Kopf – nein.“ Die Tonalität der Fragen schwankt zwischen grundsätzlich („Ist dieses Buch eine gute Idee? ja“), philosophisch („Ist jetzt die Zeit, über die Seele der Zeit nachzudenken? ja“) und selbstironisch down-to-earth (,,Was ist mit diesen Rollen mit farbigen Klebeband da drüben, die Erica mir gekauft hat. Soll ich die irgendwie benutzen? nein“). Auch Wahrsagerinnen werden konsultiert auf Hetis langjähriger, im Text dokumentierter Reise zur selbst gewählten Kinderlosigkeit, die sie nicht als „Negativ einer positiven Identität“ wahrgenommen sehen will, sondern als „Keine-Nicht-Mutter“, denn „(w)enn ich kein nicht bin, bin ich das, was ich bin.“

©Steph Martyniuk

Diese spirituelle Sinnsuche, die sie an einer Stelle vor ihrem cartesianischen Selbst lakonisch mit den Worten „Es war billiger als eine Therapiesitzung – und besser“ rechtfertigt, steht im Gegensatz zu der stets rational ar- gumentierten, völlig von Zweifeln befreiten Ablehnung der Elternschaft durch ihren Partner Miles (der im Übrigen bereits ein fast erwachsenes, ungeplantes Kind aus einer früheren Beziehung hat, das ab und an zu Besuch kommt). Der Dualismus ihrer beiden Haltungen bildet ab, wie unterschiedlich die Frage nach Reproduktion als Sinngebung auch heute noch entlang der Geschlechterlinien verhandelt wird: Frauen steht quasi kein Ausweg dazu offen, sich zumindest die Frage nach dem Kinderkriegen zu stellen, für Männer – und laut Hetis Partner ebenfalls alle Homosexuellen – ist sie eine Option, die nicht per se mit Selbstvorwürfen des totalen Egoismus auf der einen oder des Verpassens von etwas Existenziellem auf der anderen Seite aufgeladen ist. Heti argumentiert stets als die Künstlerin, die ihre F…