Interview: Sarah Ulrich

Entspannt und in Trainingshose sitzt Dion McKenzie in ihrer New Yorker Wohnung auf der Bettkante, im Hintergrund ein Foto von Whitney Houston – es ist das Cover von Whitneys erster Platte. „Whitney ist mein Idol“, sagt Dion, die besser unter dem Namen TYGAPAW bekannt ist. Die gebürtige Jamaikanerin hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen in der internationalen Clubszene gemacht. Ob als Produzentin, DJ, als Kuratorin der queeren New Yorker Partyreihe Fake Accent oder Gründerin des gleichnamigen Labels – TYGAPAW schafft mit ihren unkonventionellen Ansätzen wichtige Beiträge zur emanzipatorischen Clubkultur.
Erst kürzlich ist sie durch Asien getourt, Ende Mai wird sie ihre neue EP „Handle with Care“ beim BALANCE Club/Culture Festival in Leipzig präsentieren.

Du hast vor Kurzem deine neue EP „Handle With Care“ auf deinem neuen Label Fake Accent herausgebracht. Sie ist im Vergleich zu deiner ersten EP „Love Thyself“ wesentlich härter – tanzbar, aber gleichzeitig mit roughen Beats. Warum der Wandel?
TYGAPAW: Ich würde das Evolution nennen. Als Künstlerin entwickelt man sich konstant weiter. Während „Love Thyself“ noch mein gerade 30-jähriges, schüchternes Ich war, das noch nicht wusste, wie es sich musikalisch ausdrücken soll, ist „Handle With Care“ sehr viel intimer geworden. Ich hatte das Bedürfnis, tiefer zu gehen. Die Platte ist das Produkt meiner Auseinandersetzung mit displacement, Familientraumata, Diskriminierung und anderen psychischen Belastungen. Ich setze mich darin damit auseinander, wie schwer es als Schwarze, queere Frau aus Jamaika ist, keine Anerkennung zu bekommen – und will damit zeigen, dass man als Schwarze aus Jamaika eben nicht immer nur Dancehall oder Reggae produziert.

©Maria Jose Govea

Gleichzeitig steigt deine Anerkennung als Musikerin innerhalb der Clubszene immer mehr – erst kürzlich warst du auf Asientour.
Das stimmt! Und diese Tour war true bliss. Ich habe keine Worte, um das zu beschreiben, aber ich habe auf jedem Schritt meiner Tour so viel Anerkennung bekommen – ob in Hongkong, Shenzhen oder Peking. So etwas habe ich noch nie vorher gesehen. Das Publikum hatte so einen guten Vibe, alle johlten und riefen mir auf der Tanzfläche zu. Gleichzeitig zeigt meine neue EP, dass ich trotz meiner steigenden Sichtbarkeit gelitten habe. Menschen denken, alles sei okay, weil ich auf Instagram süß aussehe, aber das ist nicht wahr. Durch „Handle With Care“ habe ich mein Inneres sichtbarer gemacht.

In dem Intro zu deinem Boiler Room Los Angeles DJ Set verwendest du eine Rede zu Blackness. Was bedeutet es für dich, Schwarze Stimmen in deine Produktionen und Sets einzubauen?
Ich will damit den Schwarzen Mädels zeigen: Ich höre euch. Ihr werdet gehört und seid sichtbar. Wir als Schwarze Frauen werden ständig marginalisiert und diskriminiert. Es ist also nicht nur eine Rede über Schwarzsein, sondern darüber, eine Schwarze Frau zu sein. Schwarze Frauen sollen wissen, dass sie gesehen und anerkannt werden und eine Stimme haben. Schwarze Mädels sollen sehen, dass ich es geschafft habe und sie es somit auch schaffen können.

Ist deine Arbeit also politisch?
Das ist weniger politisch als einfach persönlich. Denn es sind die Kämpfe, die ich tagtäglich erlebe. Es sind die persönlichen Erfahrungen, die mich als Schwarze Frau, als Immigrantin, die zwischendurch ohne Papiere und ohne Essen war, antreiben. Aus diesem Grund habe ich auch mein Label Fake Accent gegründet. Fake Accent will die geteilten emotionalen, physischen, gefühlsmäßigen und politischen displacement Erfahrung von Schwarzen zusammenbringen. Denn – ob man’s glaubt oder nicht – es gab in diesem Genre kein Label, das ausschließlich Schwarze gefeatured hat.

Was steckt dahinter, wenn du bekannte Dancehall-Tracks remixt, wie z. B. dein „Ding Dong x Bob Traxx – Badman Forever Tygapaw“-Edit? Wie gehst du mit der Homophobie und Misogynie dieser Tracks um?
Ich bin in Jamaika geboren und aufgewachsen und identifiziere mich mit meiner Kultur. Gleichzeitig ist die Kultur seit ihrer Kolonisierung und der damit einhergehenden Christianisierung tief von Homophobie geprägt – ebenso wie der Dancehall. Die Songtexte sind so gewalttätig gegenüber uns queeren Leuten, das ist furchtbar. Gleichzeitig will ich mich aber auch nicht von meiner Kultur entfremden – also nehme ich die gewaltvollen Parts raus und ersetze sie einfach durch empowernde Parts wie z. B. das „Ha“ aus der Ballroom-Szene oder Techno-Beats, die ursprünglich auch aus einer queeren Community in Detroit heraus entstanden sind. Dadurch dekonstruiere ich den homophoben, gewaltvollen Track zu einem, der cunty und fierce ist. Aneignung gibt der Gewalt keine Macht – im Gegenteil: Sie entzieht sie ihr und gibt der LGBTQI-Community etwas zurück.

Wann ist ein Track aus deiner Sicht empowernd?
Wenn er authentisch ist und sich das Persönliche darin auf den Track überträgt. Die Hörer*innen merken das ja, ob es nur ein einfacher Popsong ist, der ihnen im Radio Hunderte Male um die Ohren geschlagen wird, oder ob der Track etwas Besonderes hat oder Elemente beinhaltet, die die LGBTQI-Community ehren, wie Ballroom Sounds. Ich bin davon überzeugt, dass diese Leidenschaft sich überträgt.

Apropos Ballroom Sounds: Einer meiner persönlichen Lieblingstracks, bei dem der ganze Dancefloor immer komplett ausrastet, ist dein „WHITNEY WID DI OUTTA SIGHT CUNT JUICE“-Edit. Was bringt dich dazu, so eine Popikone mit so einem brutalen Ballroom-Beat zu kombinieren?
Ich liebe Whitney. Je mehr ich über sie herausfinde, desto mehr identifiziere ich mich mit ihr: ihre familiären Schwierigkeiten, als Schwarze Frau im Musikbusiness zu sein, aber auch ihre Queerness, von der übrigens kaum jemand etwas weiß. Whitney hat so viel weniger Anerkennung und so viel mehr Kritik bekommen als z. B. die weißen Rockstars ihrer Zeit. Aber sie ist eine Queen – und das will ich wertschätzen. Sie ist meine Ikone.

Merkst du diese Diskrepanz zwischen weißen Männern und Schwarzen Frauen noch immer?
(TYGAPAW lacht laut auf) Oh mein Gott ja, natürlich! Diese Ungleichheit ist überall. Kürzlich hat mein Agent zu mir gesagt, dass ich nicht „high profile“ genug bin, um im Berghain zu spielen, und ich dachte mir nur: Ernsthaft? Wäre ich ein weißer Mann, wäre ich auf jeden Fall high profile genug dafür. All diese Menschen, die nach Anerkennung suchen, das ist rein kapitalistisch. Das ist kein sicherer Ort für mich als Schwarze, queere Frau. Was die Leute vergessen, ist, dass Schwarze diese Musik erfunden haben! Man denke nur mal an Detroit Techno – das war eine Schwarze Szene.

Kannst du dir erklären, warum das so ist?
Nein, ich verstehe wirklich nicht wieso – wir machen doch exakt das Gleiche! Aber in der elektronischen Musik wird Blackness einfach ausgelöscht, die Identitäten werden verborgen. Ach, eigentlich weiß ich schon, wieso das so ist. Das ist eben das kapitalistische Patriarchat. Ich lache auch nur, damit ich nicht weinen muss. Es sind genau diese Strukturen, die mich so fertigmachen.

Als Kuratorin der queeren Partyreihe Fake Accent versuchst du, diese Strukturen zu verändern. Was sind deine Strategien, Clubkultur diverser zu gestalten?
Die Kuration ist wichtig. Aber ich habe das nie wirklich als Strategien betrachtet, sondern als Notwendigkeiten. Das Bedürfnis danach, Orte zu haben, an denen ich mich entfalten kann, in denen es einen Raum für uns gibt, in denen man eine Community aufbauen kann. Ich achte da am meisten auf den vibe, die energy im Raum. Wenn man keine Angst haben muss, heißt das, dass man etwas richtig macht. Dass Leute einfach sie selbst sein können, ohne verurteilt zu werden. Im Endeffekt geht es dabei um Integrität.

Welche Hürden siehst du darin, Clubkultur als Gegenkultur zur gesellschaftlichen Norm zu etablieren?
Clubkultur ist an sich ja schon Gegenkultur, denn es geht dabei ja insbesondere um die Musik und Communitys abseits des Mainstreams. Die Hürden dabei sind vor allem die fehlenden Ressourcen und Orte – allen voran das Geld. Es wird zu wenig in subversive Musik abseits des Mainstreams investiert – z. B., wenn ich angefragt werde, um für 150 Dollar auf einer Party in New York zu spielen. Diejenigen, die das Geld haben, haben so viel mehr Möglichkeiten. Bei kleineren Festivals habe ich damit kein Problem, aber es gibt so viele große Festivals, die mir als Schwarzer Frau so wenig zahlen. Auch deshalb ist es so wichtig, diese Community zu stärken.

Wenn du Wünsche an Publikum und Booker*innen formulieren könntest – welche wären das?
Wenn ein Publikum mir so viel Liebe und Bestätigung gibt, wie das in Asien der Fall war, bin ich happy (lacht). Es ist mir einfach viel wert, mit dem Publikum im Austausch zu sein: Sie gehen auf mich ein, ich gehe auf sie ein. Das würde ich mir auch bei Bookern wünschen: Geht auf uns ein, bezahlt uns fair, zeigt Respekt – z. B. durch ein diverses Line-up.

Eine unausweichliche Frage muss ich dir noch stellen: Wie zur Hölle schaffst du es, immer so verdammt fashionable auszusehen?
(TYGAPAW lacht). Das ist ganz einfach: Ich habe verdammt gute Gene, die meine Vorfahren mir mitgegeben haben. Meistens ziehe ich einfach irgendwas an und der Style kommt dann von alleine, weil es mir egal ist. Mein Style hat sich aber auch erst aus einer Auseinandersetzung mit meiner Weiblichkeit und dem, was darin von mir erwartet wurde, entwickelt. Ich wollte mich diesen Bildern von Femininität nicht fügen und habe mir stattdessen als Prozess, mich in meinem Körper wohlzufühlen, einen androgynen Style angeeignet. Er ist gewissermaßen auch eine Art mich auszudrücken. Mein Style kam mit meiner fierceness. Ich habe nur eine Regel: Überzieh niemals dein Konto für Klamotten.

TYGAPAW spielt am 01. Juni auf dem Balance Club/Culture Festival in Leipzig. Das Festival versteht sich als Schnittstelle von Clubkultur und Gesellschaft. Durch die Verschränkung von Diskurs, Kunst und Club schafft es die Möglichkeit, Gegenkultur in seinen vielen Facetten zu erforschen und politische Debatten zu ermöglichen. In diesem Jahr liegt der Fokus diskursiv, performativ und musikalisch auf feminist body politics. Mehr Infos, das gesamte Programm und Tickets unter: http://balance.ifz.me

Sarah Ulrich ist Journalistin und selbst Teil des Festivalteams.