Ob Jüd*innen, Menschen mit Behinderung, People of Color oder Queers, wir alle kennen und hassen das Phänomen, wenn wc-deutsche, nicht behinderte und/oder hetero Leute glauben, sie hätten den Plan, und – statt zuzuhören – über Kritik, Belange und Schieflagen hinwegreden, sich zu Themen, die sie nicht betreffen, zu Expert*innen erklären oder auf Positionen sitzen, die es ihnen ermöglichen, Sachverhalte an den Haaren herbeizuziehen, statt tatsächliche Missstände aufzuzeigen. Hauptsache, nicht zuhören. Erst recht nicht jenen, die es wirklich wissen: Betroffene.

Zwei aktuelle Beispiele dieser Rubrik „Keine Ahnung und trotzdem labern“ sind Michael Blume mit seinem Antisemitismusbericht 2019 und die Dyke*March-Orga mit ihrer Auseinandersetzung zum Thema Barrierefreiheit.

©Tine Fetz

Halten wir uns an gesellschaftliche Normen und lassen dem alten weißen Typen den Vortritt: Michael Blume.

Jetzt fragt ihr euch sicher „Who the fuck is Michael Blume? Und was hat er getan, dass Debora ihm ihre Kolumne widmet??“ 
Michael Blume ist der Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg. Vielleicht sollten wir noch weiter vorne anfangen: Was ist ein Antisemitismusbeauftragter? In der Tradition von Beauftragten – Frauenbeauftragte, die für die Rechte, Interessen, Unterstützung und Schutz von Frauen eintreten, Schwerbehindertebeauftragte, die für die Rechte, Interessen, Unterstützung und Schutz Schwerbehinderter eintreten, oder Diversitybeauftragte, die für Diversity eintreten – sollte man meinen, ein Antisemitismusbeauftragter tritt für dir Rechte, Interessen, Unterstützung und Schutz von Antisemitismus ein. Schon hier wird deutlich: Da waren Hohlbrote am Werk. Denn natürlich sollen Antisemitismusbeauftragte nicht für, sondern gegen Antisemitimus arbeiten. Also eigentlich Anti-Antisemitismusbeauftragte. In der Praxis haut das allerdings leider nicht hin. Denn das was die meisten Antisemitismusbeauftragten (mit wenigen Ausnahmen) gemeinsam haben, ist, dass sie inkompetente, wc-deutsche Kartoffelköpfe sind, die keine Ahnung haben, was sie tun. So auch Michael Blume, als er im Antisemitismusbericht 2019 für BaWü auf Seite 62 folgendes Meisterwerk veröffentlichte:

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.

„Wenn wir den Antisemitismus global und glaubwürdig bekämpfen, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einstehen wollen, dann muss dies auch stärkere Anstrengungen für die Wende zu erneuerbaren Energien und die Dekarbonisierung bedeuten. Die Verfeuerung fossiler Rohstoffe vergiftet nicht nur Umwelt und Klima, sondern verformt auch Gesellschaften, Staaten und religiöse Lehren ins Autoritäre.“

Ich musste lachen, noch mehr lachen, ein bisschen weinen und wieder lachen, aber vor allem ist es tragisch. Und absurd. Sehr, sehr absurd. Deswegen wollte ich eigentlich einen Text im Blume-Style schreiben, aber mir ist nix, wirklich NIX eingefallen, was dermaßen abstrus ist wie die Relation von Dekarbonisierung und Antisemitismus. Selbst das Senken von Döner-Preisen gegen Antisemitismus könnte ich besser und plausibler erklären … Liest man das von Blume gelegte goldene Ei, ist die Assoziation zu antisemitischen Verschwörungstheorien nicht weit. Denn wer zieht laut dieser die Fäden und zerstört mit Macht und „Klüngelei“ unsere Welt? Die mächtigen „Wirtschaftsjuden“ mit ihrer Weltherrschaft. Da kann man sie ja nur hassen, ergo: Antisemitismus. Wird M. B. seinem Titel als Antisemitismusbeauftragter so also doch noch gerecht!

 Ich weiß nicht, ob M. B. zu warm war oder er schlicht und ergreifend auf den Klimawandel-Express aufspringen wollte. Aber offensichtlich wollte er auf Biegen und Brechen erneuerbare Energien unterbringen und hat damit für den Lacher des Monats in jüdischen Kontexten gesorgt. Doch nachdem wir das erste Entsetzen erst einmal weggelacht haben, werden zwei Dinge deutlich: 1. Michael Blume hat keine Ahnung von Antisemitismus und gehört eigentlich abgesetzt, trotzdem darf er offiziellen Mist fabrizieren. 2. wc-Deutsche haben immer noch die Deutungshoheit, was Antisemitismus ist und was nicht und dürfen dabei solchen an den Haaren herbeigezogenen Nonsens veröffentlichen, während wir/Jüd*innen im Alltag nicht mal Antisemitismus DENKEN dürfen, wenn er uns begegnet – und WIRKLICH begegnet und wir nicht einfach auch nur unseren Senf zur Klimakrise dazugeben wollen.

So facettenreich wie das Leben sind eben auch die Möglichkeiten für „Keine Ahnung und trotzdem labern“ und deswegen hat die Dyke*March-Orga gleich nachgezogen. Zum Hintergrund: Seit Beginn des Dyke*Marches 2012 bekommt das Orga-Team den Hinweis, dass die Demo zu schnell ist. Gerade für behinderte Lesben/Krüppellesben wie mich z. B. ist das ein ernsthaftes Problem. Genauso für Leute mit Kindern oder alle ohne tägliches 10-km-Ausdauertraining. Für jene, die es nicht wissen, der Dyke*March ist die jährliche Demo für lesbische Sichtbarkeit. Der Grund für das rasante Tempo des Dyke*Marches sind die (wirklich tollen) Dykes on Bikes an der Stirn der Demo, die leider durch ihre eindrucksvollen Motorräder dafür sorgen, dass die Geschwindigkeit des Zugs extrem angezogen ist. Dazu kommt, dass die Strecke extrem, um nicht zu sagen absurd lang ist. So viel zur den Rahmenbedingungen. Weil müßig das Eichhörnchen ist oder so ähnlich, fand ich es wichtig, auch in diesem Jahr dem Orga-Team das Problem erneut zurückzumelden.

Eine freundliche Sandwich-Methoden-Mail: Zuspruch, Kritik, konstruktiver Vorschlag, Zuspruch. Reichhaltig und gut verdaulich. Nach dem Dank für die Demo-Orga – viele von uns wissen, wie viel Arbeit das ist, ging es vor allem um die Streckenlänge und Geschwindigkeit und was das für behinderte Lesben bedeutet. Z. B. für Menschen mit alten E-Rollis (wie mich) die nicht mehr sicher nach Hause kommen, weil am Ende einer solchen (Tor-)Tour der Akku platt ist. Oder das viele behinderte Lesben nicht mehr kommen, weil die Demo so nicht bewältigbar ist. Am Ende der Vorschlag, dass die Dykes on Bikes mit Sicherheit ein genauso toller Abschluss der Demo wären und an der Stirn vielleicht ein Block von Dykes on Wheels und Heels den Dyke*March anführen könnte. Und wieder der Hinweis, wie wichtig der Dyke*March ist.

Es wäre einfach, mit den (wiederholten) Hinweisen behinderter Lesben umzugehen. Es wäre auch einfach, sie zu ignorieren und mit „Danke für den Hinweis, wir werden das im Team besprechen“ abzuwiegeln. Auch das wäre nicht cool. Aber wirklich uncool ist, sich für „Keine Ahnung und trotzdem labern“ zu entschieden. In der Antwort ging es um eine altersgerechte Demo im nächsten Jahr und Rikschas für alte Lesben. Aus „behindert“ „alt“ zu machen und Rollstuhlfahrer*innen auf die Demo-Rikschas und Rollstühle für jene, die nicht mehr laufen können zu verweisen, zeigt, dass es nicht die geringste Sensibilisierung gegenüber Rolli-Fahrer*innen gibt und trotzdem losgelabert wird. Viele behinderte Lesben sind nicht alt, ich bin nicht mal 30, und viele von uns können nicht einfach in irgendwelche Rikschas klettern. Wir sind so frech und kommen mit unseren eigenen Rollstühlen und alles, was wir wollen, ist eine langsamere, kürzere Demo. Und nicht nur wir. Facebook ist voll von nicht behinderten Lesben, die das Gleiche wollen. Aber statt uns – und jetzt meine ich wieder behinderte Lesben/Krüppellesben – mit unseren realistischen Vorschlägen und legitimen Bitten um Teilhabe, Teilnahme und – im Sinne der Demo – Sichtbarkeit zuzuhören, folgen nur absurde Ideen von unpraktikablen Maßnahmen als Reaktion auf das (seit Jahren bestehende) Problem. Es ist schon etwas zum Verzweifeln ob solcher Ignoranz und dem bullshittigen Servieren absurder Angebote als vermeintliche Lösungsansätze. Es ist nachvollziehbar, dass eine Demo-Orga nicht alles auf dem Schirm hat. Aber, was ich erwarte, ist, dass eine Orga dies anerkennt, statt unreflektiert loszusprudeln. 

Sowohl Michael Blume als auch das Orga-Team vom Dyke*March verschwenden Zeit, Ressourcen und die Möglichkeit zur Einflussnahme, indem sie labern statt zuzuhören. Es ist ärgerlich, in Institutionen und Kontexten, die uns stärken und unterstützen, auf Missstände aufmerksam machen sollen, auf Menschen zu treffen, die keine Ahnung haben, aber trotzdem einfach labern und damit ernsthafte Probleme unsichtbar machen und relativieren. Räume verunmöglichen und über Lebensrealitäten, die sie nicht betreffen, unverhohlen rübertrampeln. Wie gesagt, wir alle, mit marginalisierter Perspektive kennen das und wir alle sind müde ob der Menschen der einen oder anderen Mehrheitsgesellschaft, die unsere Bedarfe und unsere Risiken wegwischen und übermalen mit absurdem Unsinn.

M. B. und das Dyke*March-Orga-Team mit Dreirädern für Querschnittsgelähmte und Windenergie gegen Antisemitismus sind da kein Einzelfall, nicht mal eine Seltenheit. Und dennoch wollte die jüdische, behinderte Lesbe auf dieser Seite der Tastatur jene „Keine Ahnung und trotzdem labern“-Ärgernisse mit euch teilen. Ahnungslosigkeit sollte ein Sprechverbot zur Folge haben. Denn ein Antisemitsmusbeauftragter, der die Lebensrealität, das Leiden, die Diskriminierung von Jüd*innen instrumentalisiert, um ein bisschen über Klima zu reden, und damit alles, was wir erleben, ins Lächerliche zieht, ist gefährlich und gehört abgesetzt. Und ein Dyke*March, der den Wunsch von Teilnahme behinderter Lesben ebenso absurd kommentiert, ist eben auch nur irgendein ein Marsch, der uns erst aushängt, um dann über uns hinwegzurennen …

In diesem Sinne: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten

und zuhören!