Von Christian Schmacht

Happy Halloween, ihr Kürbisse! Wer hat Lust, sich mal wieder richtig zu gruseln? Ich habe für euch in der Grabbelkiste des linken Grauens gewühlt und eine Überraschung für euch herausgefischt. Leider keine echte Überraschung. Eher wie ein Gespenst, das sich bei näherem Betrachten doch als Bettlaken, unter dem der nervige kleine Bruder steckt, herausstellt.

Das Bettlacken-Gespenst des Feminismus © Tine Fetz

So hat sich eine vielversprechende Veranstaltung bereits im Voraus als Enttäuschung erwiesen. Es geht natürlich um eines der wichtigsten Bettlaken-Gespenster des Feminismus: die Kritik an der Prostitution. „Kritik der Prostitution“ ist der Titel eines Vortrags, mit dem die Autorin Naida Pintul jahrein, jahraus ihren SWERFigen Kuppenkäse unter die Leute bringen möchte. Diese Woche möchte sie ihn zum wiederholten Male in Leipzig abhalten und zielt dabei vor allem auf linkes und feministisches Publikum.

Auf YouTube könnt ihr euch das Elend anhören und gegebenenfalls für die Halloween-Playlist runterladen, um eure Friends zu erschrecken. Pintul rahmt ihren Vortrag ein in ihre Sorge um die Sexarbeiter*innen, die sie in ihrer alltäglichen Arbeit in einer Mannheimer Beratungsstelle kennenlernt. Sie schildert deren Situation und scheut sich nicht, unangenehme Erfahrungen von Gewalt und organisierter Kriminalität zu benennen.

Christian Schmacht

Christian Schmacht, geboren 1989, ist queerer Autor und Sexarbeiter. Seine Novelle „Fleisch mit weißer Soße" erschien 2017 bei der Edition Assemblage. Er mag Geld und Sex, aber am liebsten beides zusammen. Er mag es außerdem sehr, das hart verdiente Geld für Luxusartikel auszugeben. Auf Twitter schreibt er unter @hurentheorie.

Richtigerweise zeigt sie auf, dass die organisierte Kriminalität in vielen Städten ein Akteur in der Sexindustrie ist. Gewinn mit Schutzgeld für Puffs und Zuhälterei ist, neben Waffen und Drogen, eine wichtige Säule deren Wirtschaftens. Pintul lässt geschickt die Worte fallen, die Angst und Sorge hervorrufen, wie z. B. der Name „Hell’s Angels“. Das ist natürlich schrecklich! Doch wie man landesweit agierende und organisierte Kriminelle, die es schaffen, mit Koks und Knarren zu dealen, dazu bringen soll, sich an ein Sexkaufverbot zu halten, bleibt ihr Geheimnis.

Die Widersprüche häufen sich im Theorieteil, der größtenteils identisch ist mit ihrem Essay im Sammelband „Feministisch Streiten“. So zählt sie Sexarbeit nicht zu Care-Arbeit, begründet dies jedoch nie, obwohl sie selbst die vielen Parallelen der Arbeit, ihren Kontexten sowie ihren Protagonist*innen aufzählt. Sie übergeht den Zusammenhang zwischen Sexarbeit als Arbeit und der Forderung, Arbeit abzuschaffen und neu zu denken, der die queeren und radikalen Teile der Hurenbewegung seit jeher prägt. Und sie macht einen grundsätzlichen Fehler, der sie als Marxistin disqualifizieren dürfte: Sie beschreibt den Freier als den Ausbeuter der Sexarbeiter*innen und nicht etwa den Bordellbetreiber oder einen anderen Arbeitgeber.

Alles dreht sich im Kreis, bei dem es jedem Kürbis, und wenn wir ehrlich sind, sicher auch so manchem Gespenst, ganz schwindelig wird: Einerseits wandelten Prostituierte die weibliche Sexualität erst in die Warenform um, andererseits seien dann doch alle Frauen dazu sozialisiert, sexuelle Gefälligkeiten gegen materielle Sicherheit zu tauschen. Einerseits zieht sie moralisierend über die ehebrechenden Freier her, andererseits ereifert sie sich über den fehlenden materialistischen Blick anderer Linker, die sich nicht gegen die Sexarbeit aussprechen. Einerseits behauptet sie, man könne bei Prostitution von moderner Sklaverei sprechen, andererseits deutet sie an, es hätte versklavte Menschen gegeben, die mit ihrer Situation und ihren „Herren“ zufrieden gewesen seien.

Man muss das wohl immer wieder aufs Neue betonen, bis es im letzten SWERF-TERF-Gehirn angekommen ist: Sexarbeit ist nicht die moderne Sklaverei, die moderne Sklaverei ist keine Metapher. Es gibt sie, und wir finden sie beispielsweise in Libyen vor, weil Europa seine Grenzen dichtgemacht hat. Die Leidtragenden sind damals wie heute Schwarze Afrikaner*innen. Die Story von der modernen Sklaverei ist ein rassistisches Narrativ, das die Geschichte von einem braven, weißen Mädchen erzählt, das vom bösen, Schwarzen Mann entführt und zur Prostitution gezwungen wird. Diese ganzen heutigen SWERF-Mythen um Sexarbeit handeln weitaus weniger von patriarchalen Machtverhältnissen als von rassistischen Bildern von Tugend und Lust sowie von der panikhaften Abwehr der Migration. In dem großartigen Band „Revolting Prostitutes: The Fight for Sex Workers‘ Rights“ von Juno Mac und Molly Smith wird das auf den Punkt gebracht: Die Sexarbeiter*in ist die ursprüngliche, unerwünschte Migrant*in. Ihretwegen wurden Grenzen zu den undurchdringlichen Mauern gemacht, die wir heute kennen.

So sehr Pintul die Würde der Prostituierten am Herzen liegt, so wenig will sie es sich nehmen lassen, die abfälligen Bewertungen über uns aus den Freierforen vorzulesen. Auch das habe ich schon in anderen linken, feministischen Vorträgen erlebt. Wie fänden es wohl diese Menschen, wenn ich alle fiesen, sexualisierenden und übergriffigen Kommentare, die irgendwann über sie von angeblichen Sexpartnern abgelassen wurden, öffentlich und ohne ihr Einverständnis vorlesen würde?

Diese Positionen wirken wie von Strateg*innen der CSU, um die radikale Linke mit moralistischen, konservativen Positionen zu verwirren und zu spalten. Anders kann ich mir diese Highlights langsam nicht mehr erklären: Prostituierte sind unmoralisch (sagt Marx), sind Schuld am Patriarchat (sagt Kollontei), sind Opfer (sagt Pintul) und gehören verboten (sagen alle drei im Chor).

Aber warum befassen wir uns jetzt damit? Es gibt doch genug andere Schreckgespenster, die wir zu Halloween durchs Dorf treiben könnten. Ja, das stimmt, aber die Geister der Vergangenheit werden uns so lange heimsuchen, bis wir uns mit ihren Sorgen befasst und ihre Konflikte gelöst haben.

Ähnlich wie Pintul begeben sich sonst linke Feminist*innen immer wieder in eine Argumentation, die keinerlei linke Kämpfe in der Sexarbeit affirmiert. Weder die Stärkung und Ermächtigung der Prostituierten als Arbeiter*innen liegen ihnen am Herzen noch eine Kritik an Lohnarbeit, Arbeitszwang durch das Jobcenter oder patriarchaler Konditionierung an sich. Sie verachten uns einfach und geben dabei vor, unser Bestes zu wollen.

Wir müssen diese hurenfeindliche Politik von links einordnen in die Stimmen der SPD, CDU und CSU, welche sich in Stellung bringen, um die Kriminialisierung von Sexarbeit in Deutschland voranzutreiben. So beschloss der SPD-Landesparteitag Baden-Württemberg erst vor zehn Tagen, sich von nun an für die „Freierbestrafung“ einzusetzen. Die Abgeordnete im EU-Parlament Maria Noichl ist längst gegen die Selbstbestimmung von Prostituierten aktiv, die CDU/CSU macht gerne mit. Doch es gibt noch Hoffnung. Auf Twitter äußerten sich z. B. die Sozialdemokrat*innen Kevin Kühnert und Amina Yousaf entschieden gegen diese Bestrebungen.

Wir brauchen eine entschlossene, solidarische Linke, die an der Seite der Huren und gegen alle Ausbeutung kämpft, ob durch Staat, Arbeitgeber oder innerhalb unserer komplexen, verflochtenen Beziehungen. Sie muss auch auf Sozialdemokrat*innen Druck ausüben, damit die Gruselstimmung aus Baden-Württemberg sich nicht ausbreiten kann. Währenddessen gehe ich schon mal das Bettlaken waschen, das brauch ich nämlich für den nächsten Kunden.