Aufgrund einer progressiven Muskelerkrankung brauche ich (54) bei fast allem Unterstützung. Dass mein Leben trotzdem selbstbestimmt ist, liegt an Rollstuhl, spezieller PC-Tastatur, umgebautem Auto UND an meinem Assistent*innenteam. Rund um die Uhr werde ich von insgesamt zehn Menschen versorgt, die all das übernehmen, was ich selbst nicht tun kann. Wir sprechen von einem „kleinen Unternehmen“ mit mir als Chefin, die von Vorstellungsgesprächen bis zu Dienstplänen alles regelt.

Missy Magazine 03/20, Banden Bilden, ELBOUM
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Einerseits bin ich also allein verantwortliche Vorgesetzte, die, was mein Leben betreffende Fragen angeht, das letzte Wort haben muss. Andererseits sprengt Assistenz aber jede Grenze herkömmlicher Unternehmen, dafür gehen wir viel zu sehr auf Tuchfühlung. Genau deshalb ist bei Einstellungen einzig entscheidend, ob wir auf einer Wellenlänge sind. Dennoch ist meine Belegschaft keine homogene Gruppe, allein das Altersspektrum reicht von Mitte zwanzig bis fünfzig plus. Alle eint, dass sie zu mir passen. Und ich zu ihnen. Bei so verschiedenen Typen kann die Art des Umgangs nur individuell ausfallen. Und die definiert mein Gegenüber. Mit einigen lebe ich während der Schicht fast WG-mäßig zusammen, mit anderen familiär, mit noch anderen auf kollegialer Ebene. Wichtig ist, sich zwischenmenschlich auf Augenhöhe zu begegnen, Vibes zu registrieren und Unstimmigkeiten anzusprechen, bevor Probleme wachsen können. Und für Persönliches wie Trennung oder Tod muss mein Programm schon mal hintanstehen. Hohe soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit sind bei Assistenz dringend erforderlich, auf beiden Seiten.

Problematisch ist, das Bedürfnis nach Privatsphäre artikulieren und Toleranz in Sachen Sauberkeit und Ordnung aufbringen zu müssen; richtig scheiße: hohe Fluktuation. Die macht Existenzangst, und mein eigentliches Leben steht durch fehlende Routine still. Aber toi, toi, toi: Mein momentanes Team ist das beste seit Urzeiten, und mit 15, 13 und 10 Jahren Arbeitszeit bei mir beschäftige ich sogar Dinosaurier. Ich mag diese Art von Leben. Durch Assistenz lerne ich wundervolle Menschen kennen, über das Arbeitsverhältnis hinaus sind innige Freundschaften entstanden.

Kristina Engel is Lektorin. Als solche war sie erste wie auch letzte Angestellte des Popkulturmagazins „Intro“ (1991–2018). Sie liebt Reisen, Kulturveranstaltungen, Filme und Serien sowie ihren Garten.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/20.