Womit sich die Wahlberlinerin Pauline Canavesio alias Bora in ihren zwischen 2D- und 3D-Animationen umherwabernden Videoskulpturen auseinandersetzt, ist die bloße Frage nach Existenz. Genauer: der Existenz des Menschen als sozialem Wesen. Denn anstatt den Körper als solchen zu befühlen, anstatt ihn im direkten Zusammenspiel mit anderen erlebbar zu machen, abstrahiert sie das Physische und verlegt es in die digitale Welt und damit in eine andere Realität. In eine, die ihr erlaubt, über die Grenzen des Körperlichen hinauszugehen und das komplexe Innere zu ergründen. Dieses Eintauchen ins Innere ist hier auch recht wörtlich gemeint. Bora löst die Oberflächen teils von unbestimmbaren, teils von menschlichen Körperteilen ähnelnden Elementen auf, zersetzt sie, damit sie dann organisch ineinander übergehen. Bis sich schließlich ein Gemenge bildet, das wie eine Art Fleischbrei über den Bildschirm fließt. Wodurch sich ein Zusammenspiel aus Faszination und Ekel ergibt, das durch die Uneindeutigkeit des Gezeigten potenziert wird: Meint man, noch im einen Moment förmlich die feuchte Schleimigkeit spüren zu können, ist es im anderen das wie Glasur schimmernde Äußere der Formen, das die eigenen Sinne provoziert.

Missy Magazine 03/20, Kunstaufmacher, Bora
© Bora

Anders als in ihrer Videokunst, in der hauptsächlich fluide Körper inszeniert werden, dominieren weibliche Körper ihre (digitalen) Collagen, Fotografien und Malereien. Bora scheint die Rezipierenden aktiv in ihren noch unabgeschlossenen – und womöglich niemals abzuschließenden – Prozess der Selbstfindung, auch emotional, miteinzubeziehen. Inwieweit man sich dem dadurch eröffneten Sog hin- und dadurch verletzlich gibt, bleibt jedem*jeder selbst überlassen. Denn Intimität ist subjektiv und damit operiert Bora auf extreme Weise. Weniger herausfordernd funktioniert demgegenüber ihre Musik. In Anlehnung an die ihre Videoskulpturen begleitende Soundkunst mischt sie warme Elektropop-Klänge mit naturnahen, ozeanischen, beinah meditativen Sounds, die sie mit ihrer zarten, hellen Stimme begleitet. Und doch scheint sie erst so das Kaleidoskop ihrer, oder eher der menschlichen Psyche zu vollenden: im Bejahen ihrer unterschiedlichsten Facetten.

Boras Arbeiten sind ausstellungsunabhängig im Internet zu sehen: instagram.com/boramurmure boradanstapoitrine.tumblr.com vimeo.com/boramicrocosme

Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/20.