Lockdown – wenn die Welt da draußen uns nicht will, bauen wir uns hier drin unsere eigene. Am ersten Tag schmissen wir unser Besteck vom Balkon, um nur noch mit den Händen zu essen, am letzten ist Pri gegangen.

Vor zwei Jahren habe ich einen Text geschrieben, der davon handelt, wie drei Freundinnen of Color sich von ihrer weißen Außenwelt abschotten. Sie ziehen sich in ihre gemeinsame Wohnung zurück, errichten sich dort einen Ort, an dem sie Verhaltensweisen aufleben lassen, die sie abgelegt haben, um sich der weißen Mehrheitsgesellschaft anzupassen – mit den Fingern essen z. B. Sie schaffen sich einen geschützten Raum, in dem sie sich verschanzen – einen Safer Space, der dadurch definiert ist, dass die drei Freundinnen außerhalb dieser vier Wände nicht sicher sind. Sie nehmen wahr, dass sie sich untereinander am wohlsten fühlen, weil die Gewohnheiten und Erfahrungen, die sie aus ihren migrantischen Kontexten mitbringen, weder schief beäugt noch exotisiert werden. Dieses Gefühl von Zugehörigkeit möchten sie so lange wie möglich festhalten.

Illustration: Tine Fetz

Ich habe diesen Text wieder hervorgeholt, als alle anfingen, sich in ihren Wohnungen zu isolieren. In Gesprächen mit Freund*innen of Color, mit Familienmitgliedern und anderen migrantischen Personen, die ich nur über das Internet kenne, wird deutlich: (Selbst-)Isolation ist nichts Neues, sondern schon länger Realität, manchmal auch eine Überlebensstrategie. Insbesondere in migrantischen Communitys gibt es durch die Migrations- und Diasporaerfahrungen ein geprägtes Wissen darüber, wie mit neuen, unbekannten Lebensumständen umzugehen ist. Dieses Wissen wird in den Familien weitergetragen. Ich habe mir auch schon vor Corona Safer Spaces geschaffen: Gruppenchats mit befreundeten Personen, deren Erfahrungen sich mit meinen überschneiden. Das heißt nicht, dass marginalisierte Communitys es momentan nicht schwer hätten.

Im Gegenteil: Erschwerter Zugang zum Gesundheitswesen, zu Geld und zu Berufen, die im Homeoffice weiter laufen können, haben nun besonders starke Auswirkung auf die Lebensumstände Marginalisierter. Aber wir wissen auch, wie wir Strategien gegen Unsicherheiten finden, denn sie haben uns schon vor Corona begleitet.

Arpana Aischa Berndt

ist Autorin und in der politischen Bildungsarbeit tätig. Sie studiert Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus und beschäftigt sich in ihrer Abschlussarbeit mit Horror und Empowerment. In ihren Workshops behandelt sie Fragen zu Allyship, Allianzen und Rassismuskritik. Auf Instagram ist sie unter @a_aischa zu finden. Foto: cv studio berlin

Ich habe den Text auch hervorgeholt, weil ich in der coronabedingten Selbstisolation mit der Recherche für meine Bachelorarbeit begonnen habe. Für diese stelle ich mir die Frage, wie sich Horror aus postmigrantischer Perspektive erzählen lässt. (Ich habe mittlerweile so viele Horrorfilme gesehen, dass ich wieder von Monstern unter dem Bett träume.) Es sind andere Unsicherheiten, Gefahren und Ängste, von denen erzählt werden kann, wenn man und die Figuren in Geschichten nicht-weiß sind. Ängste, die Teil des Alltags sind. Die damit verbundenen Erfahrungen überschneiden sich mit anderen marginalisierten Perspektiven. In diesen geteilten Erfahrungen steckt Wissen, das oft  übersehen bzw. auch oft von der wissenschaftlichen Forschung an Universitäten ausgeschlossen wird. Die Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway nennt diese Wissensformen „situiertes Wissen“. Es verortet sich in einem bestimmten Kontext und, wie Podcaster*in Xinan auch in der neuesten Folge des Diasporasia-Podcasts verdeutlicht, ist es in den Erzählungen und Erfahrungen der eigenen Familie zu finden.  Es ist empowernd, dieses Wissen als valide und wichtig anzuerkennen. Genauso empowernd ist es, sich in den Erfahrungen anderer wiederzufinden, weil Strategien und Lösungsmöglichkeiten nicht alleine gefunden werden müssen.