Von Michaela Dudley

Das Video, das die Schwarze Schülerin Darnell Frazier mit ihrem Handy aufnahm, klebt in unserem Gedächtnis. Der Afroamerikaner George Floyd, bereits mit Handschellen gefesselt und auf dem Boden liegend, stirbt im Würgegriff brutal vorgehender Polizisten in Minneapolis. Der Mitschnitt, der sein 8 Minuten und 46 Sekunden langes Martyrium festhält, ging sofort viral. Seither hallt sein verzweifelter Schrei „I can’t breathe“ rund um die Welt nach. Der Ermordung Schwarzer Männer seitens des Staates will man nicht mehr tatenlos zusehen. Millionen von Menschen gehen weltweit auf die Barrikaden, um gegen strukturellen Rassismus und willkürliche Polizeigewalt zu protestieren. Und das ist gut so.

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Allerdings gibt es ein weiteres Übel, das parallel ebenso entschieden bekämpft werden muss. Es handelt sich dabei um institutionalisierten Sexismus, wovon Women of Color besonders schwer betroffen sind. Der Fall der Afroamerikanerin Breonna Taylor zeigt das besonders deutlich. Acht Mal wurde die 26-Jährige von Polizeikugeln getroffen, als es aufgrund einer Verwechslung in ihrem Haus mitten in der Nacht zu einer Durchsuchungsaktion kam. Die junge Frau starb im Flur, noch bevor der Krankenwagen eintraf.
Eine Tragödie und eine bitterböse Ironie zugleich. Denn Breonna Taylor war keine Täterin, sondern eine Sanitäterin. Die in Michigan geborene, an der University of Kentucky ausgebildete Frau hatte im Notdienst an zwei Krankenhäusern gearbeitet. In Zeiten der COVID-19-Pandemie war sie eine der in den Medien kollektiv gefeierten Heldinnen. Eine, die tagtäglich an der Front half. Nun war sie kaum mehr als der anonyme Kollateralschaden eines misslungenen Polizeieinsatzes. Zum Frühjahrsanfang, bei ihrer Beerdigung, keimte darüber noch keine Empörung auf. Zum Vergleich: die Leiche von George Floyd wurde im goldenen Sarg aufgebahrt. Seine Trauerfeiern fanden in drei weit auseinander liegenden Städten statt – und zwar jeweils mit TV-Live-Übertragung.
Das unterschiedlich ausfallende Medienecho ist sicherlich teils darauf zurückzuführen, dass keine Handybilder von Taylors letzten Atemzügen aufgetaucht sind. Merkwürdigerweise sollen die Polizisten auch keine Body-Cams getragen haben. Somit bleibt Taylors Tod für viele eine Abstraktion. Zudem muss man berücksichtigen, dass Floyd erst mehr als zwei Monate nach Taylor getötet wurde, und dazwischen hatte es die Erschießung von Ahmaud Arbery durch einen weißen Ex-Cop und dessen Sohn in Georgia gegeben. Womöglich war es Georges Bluttropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Doch diese Umstände können die anfangs verhaltene Anteilnahme gegenüber Breonna nicht allein erklären, geschweige denn rechtfertigen. Nein, es ist ein systemisches Problem.
Von allen Frauen, die in den USA von Polizisten getötet werden, liegt der Anteil Schwarzer Frauen laut dem African American Policy Forum (AAPF) bei 33 Prozent – obwohl sie nur knapp 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Fakt ist, das Leben einer Schwarzen Frau in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft ist noch weniger wert als das Leben eines Schwarzen Mannes. Selbst innerhalb Teilen der Black Community müssen sich Frauen immer wieder mit den dominierenden Gebärden ihrer sozioökonomisch ausgegrenzten, patriarchalisch geprägten Männer herumschlagen. Er darf Wut im Bauch haben, sie nur Kinder. Und wenn sie überhaupt eine Sprechrolle bekommt, ist diese meist darauf beschränkt, die im Ghetto gefangene Hinterbliebene eines getöteten, mutmaßlichen Kriminellen zu sein. Die trauernde Mutter, die weinende Witwe oder die hoffnungslose Tochter.
Die intersektionelle Marginalisierung nimmt Schwarze Frauen in Sippenhaft, wenn ihre Männer ins Fadenkreuz der Justiz geraten. Stereotype entfalten sich als selbsterfüllende Prophezeiung, aus Vorurteilen werden Verdachtsmomente. Soweit, dass eine Frau wie Breonna Taylor in letale Mitleidenschaft gezogen werden kann. Der ausgestellte Durchsuchungsbefehl bezichtigte sie, Rauschgift für ihren Ex-Freund gelagert zu haben. An den Vorwürfen gegen Taylor war jedoch nichts dran. Es gab keine belastbaren Indizien, nur einen in Rassismus und Sexismus verwurzelten Generalverdacht. Überdies war die Wild-West-Manier der Polizisten bei der Razzia sowieso nicht mit dem Gesetz vereinbar.
Noch Monate nach dem Fall laufen die beteiligten Polizisten dennoch weiter frei herum, sogar als Beurlaubte mit Lohnfortzahlung. In der Causa George Floyd hingegen wurden Derek Chauvin und seine drei Polizeikollegen alle binnen weniger – wenngleich ewig anmutender Tage – verhaftet und wegen Mordes angeklagt.
Für den Anwalt Benjamin Crump, der die Familien beider Getöteter vertritt, ist diese Diskrepanz skandalös, da es sich auch bei Taylors Tötung um eine unrechtmäßige „Hinrichtung“ handele. Der renommierte Bürgerrechtler und Prediger Al Sharpton bezeichnet das Phänomen als „inakzeptabel“. Rapper Kanye West spendet an Taylors Hinterbliebene. Und auch Beyoncé fordert Konsequenzen für die beteiligten Polizisten. Man schenkt der Getöteten also mittlerweile gebührende Aufmerksamkeit. Eine Entwicklung, die Kimberlé Crenshaw nur begrüßen kann. Die Juraprofessorin, AAPF-Mitgründerin und Präsidentin des Berliner Center for Intersectional Justice (CIJ), hatte bereits 2014 den Hashtag #SayHerName mit ins Leben gerufen, damit cis und trans Women of Color, die durch Polizeibrutalität sterben, in Erinnerung bleiben. „Ihr Vermächtnis wird nicht vergessen“, erklären die Mutter und die Schwester von Taylor, „und das, weil wir alle ihren Namen nennen und Gerechtigkeit verlangen“. Es hat gedauert, aber inzwischen gibt es ådank Taylors Fall einen Zulassungsstopp für No-Knock-Durchsuchungsbefehle. So tritt die ermordete Notfallsanitäterin auch posthum als Lebensretterin auf. Und ihr Fall macht uns Feminist*innen eindeutig klar, dass Frauen im Kampf um Wertschätzung und Schutz niemals als Fußnoten der Geschichte hinterherhinken dürfen.

Dr. Jur. Michaela Dudley (Jg. 1961), eine Berliner trans Frau mit afroamerikanischen Wurzeln, ist Kolumnistin, Kabarettistin und Keynote-Rednerin.