Text: Ijeoma Umebinyuo
Übersetzung: Charlotte Milsch

“Let no one be fooled by the fact that we write in English, because we intend to do unheard of things with them.” ― Chinua Achebe.

Es war einmal die Invasion eines Dorfes und die Menschen dort wurden gezwungen, eine Sprache zu lernen, ihre eigene zum Verstummen zu bringen. In diesem Dorf wurden die Frauen einer Art organisierter Religion unterworfen und innerhalb dieser organisierten Religion wurde abermals ausgelöscht, denn die Religion der Invasoren lehrte Unterwerfung und Schweigen. Nun, die Invasion brachte die Frauen auf zweierlei Weise zum Schweigen: zunächst der Verlust ihrer eigenen Sprache und dann die Erhebung der Kultur des Schweigens und der Unterwerfung zu einer Tugend. Invasoren fielen in die Kultur ein, der ich angehöre. Um das klarzustellen: Ich schreibe und spreche Englisch, weil in meine Kultur und meine Sprache eingedrungen wurde.

Für mich ist es wichtig zu erfahren, wer etwas schreibt, was geschrieben wird und auf welcher Grundlage. Wir wissen, dass seit Jahrhunderten die Worte afrikanischer Frauen ignoriert wurden, dass uns unsere eigenen Geschichten nie selbst gehört haben. Daran, wie schwer es ist, Interviews und Essays von nigerianischen Frauen, Denkerinnen, Vorreiterinnen und Feministinnen zu finden, lässt sich genau das ablesen. Auch daran, wie wenig die Welt über Frauen weiß, die den Weg geebnet haben, Frauen wie Flora Nwapa, Margerate Ekpo, Funmilayo Ransome-Kuti, Buchi Emecheta. Frauen, deren Geschichten hätten archiviert, deren Leben und Wirken in Schulen hätten gelehrt werden sollen. Was passiert, wenn wir ihre Geschichten nicht dokumentieren, was passiert, wenn wir sie nicht gleichwertig neben ihre männlichen Kollegen stellen? Wir kreieren eine Geschichte des Schweigens und wir sagen den Mädchen, mächtige Frauen seien ihren Kulturen fremd. Wir sagen ihnen, afrikanische Frauen ihrer Kulturen, die das System in Frage stellen, hätten nicht existiert. Und genau deswegen rücke ich Frauen und Mädchen wie mich in den Fokus meiner Gedichte.

Mächtige Dinge kamen hervor, als ich die Wahrheiten entdeckte, die aus meinen Geschichtsbüchern herausgestrichen worden waren. Aufgewachsen in Nigeria, wurde mir kolonialisiertes Geschichtswissen beigebracht. Das erste Gefühl, das hochkommt, wenn du solche Dinge entdeckst, ist Wut.

Du hast das Gefühl, du wärst dein ganzes Leben lang angelogen worden, hättest unausgegorene Halbwahrheiten aufgetischt bekommen. Das zweite Gefühl ist ein Gefühl von Stärke, die Wahrheit herausfinden zu wollen. Wut führt dazu, die Wahrheit zu entdecken. Bevor du nicht wütend genug bist, wirst du vermutlich nicht in der Lage sein, die Wahrheit zu finden. Meine berechtigte Wut half mir in meinem Versuch zu verstehen, warum mir gewisse wichtige Geschichten über Menschen meiner Kultur nicht erzählt wurden – insbesondere weil ich in Nigeria aufgewachsen bin. Nach der Wut und dem Entdecken der Wahrheit ist die nächste Emotion, die du fühlst, der Drang diese Wahrheiten aufzuschreiben und auszusprechen, ganz gleich welches Medium du dazu nutzt. Zu entdecken, dass unsere Geschichten ausgelöscht wurden, hat mich hierher gebracht. Hier an diesen Ort, an dem Schreiben eine Form von Widerstand ist, eine Form des Verbindens, in Kontakttretens, an dem Schreiben ‚ans Licht bringen‘ bedeutet.

Während mir nun klar geworden ist, wie das ans-Licht-bringen unserer Kraft funktioniert, weiß ich um das Privileg, das mit meiner Geografie einhergeht. Die Freiheit, die mit dem Besitz eines bestimmten Passes einhergeht oder damit, dass ich an einen Ort reisen konnte, an dem ich nicht als Bedrohung wahrgenommen werde, an dem ich für meine Wahrheiten einstehen kann. An dem ich deswegen nicht entmenschlicht, inhaftiert, gesucht werde. Ich weiß, dass sehr viele Frauen weltweit dieses Privileg der Geografie nicht besitzen. Zugang zu Technologie, Medienkompetenz – die Sprache der Kolonisator:innen zu verstehen und zu nutzen, bringt mir Vorteile und verschafft mir ein Publikum. Jetzt liegt es in meiner Pflicht, meine Stimme zu nutzen. Wenn ich mich dazu entschließe, auf welche Weise tue ich es dann? Stelle ich sicher, dass ich um die Macht weiß, die mit dieser Geografie einhergeht? Fordere ich mehr von Frauen, die dieses Privileg nicht genießen? Ich gebe mein Bestes, behutsam damit umzugehen.

Ijeoma Umebinyuo
© Self-Portrait

In ‘Creating Dangerously; The Immigrant Artist at Work’ schreibt Edwidge Danticat: „Ich habe immer geglaubt, genau das mache ein:e Schriftsteller:in aus. Schreiben in dem Wissen, dass, egal wie trivial deine Worte vielleicht klingen mögen, eines Tages irgendwo irgendwer womöglich das eigene Leben riskiert, um sie zu lesen.” Mut bedeutet für mich, meine Worte zu nutzen, um Wahrheiten auszusprechen, immer in dem Wissen, dass ich für meine Worte nicht strafrechtlich verfolgt werden kann, und in dem Wissen, dass ich die Geografie gewährt bekommen habe, zu tun, was ich tue. So fühlt es sich für mich an, als Frau afrikanischer Herkunft zu schreiben. Als Frau zu schreiben, die nicht in ihrem Geburtsland lebt – ohne die Beschränkungen, die mit dem Sein und Leben in Nigeria verbunden wären – geht meinem Verständnis nach mit einem Vorteil einher, nämlich dem, mich aktiv dafür zu entscheiden, nicht zu schweigen; und in dieser Entscheidung darf ich niemals vergessen, warum ich schreibe. Ich muss Wahres schreiben. Das ist nicht verhandelbar, es ist meine Pflicht. Indem ich mich entscheide, meine eigenen Geschichten zu schreiben, Poesie an der Kreuzung zwischen race, Gender und ethnicity. Das führt mich zum Schreiben zurück, selbst, wenn alles so hoffnungslos scheint wie dieser Tage. Ich glaube fest daran, dass Frauen wie ich dies lesen und sich nicht mehr so allein fühlen werden.

Mit meinem Stift das Schweigen aufzureißen, verstehe ich als revolutionären Akt. Wenn Menschen meine Gedichte finden und lesen, in der Stille ihres Zuhauses oder im Austausch mit anderen, sie sich etwas in ihre Tagebücher notieren oder auf einem Post It irgendwo in ihren Badezimmern oder Schlafzimmern; etwas, das sie daran erinnert sich zu bewegen, zu fühlen; sie es in ihren Gruppenchats teilen und sich entscheiden zu atmen, zu leben. Sollte mein Schreiben bei diesen Menschen als Katalysator wirken, mag das für die Welt irrelevant erscheinen, aber nicht für die betreffenden Personen. Für mich ist das genug. Wenn ich Nachrichten erhalte, dass Frauen in Brasilien mein Buch kaufen und es ihren Schwestern übersetzen, wenn ich bei meinem Aufenthalt in Vancouver höre, wie eine Studentin meine Gedichte ihrer Mutter übersetzt, damit sie ihr eigenes Leben besser versteht, wenn ich gesagt bekomme, dass meine Rede „Dismantling the Culture of Silence” auf Tamil erscheint, weiß ich, dass ich etwas richtig mache. Wenn ich in Hongkong interviewt werde und mir erzählt wird, meine Gedichte hätten Leben verändert, weiß ich, dass ich etwas richtig mache. Und zu wissen, dass afrikanische Frauen in meiner Arbeit Trost finden, versetzt mich in unbeschreibliche Freude. Ich habe immer geglaubt, dass die Welt mich dort trifft, wo ich stehe: als die Person, die ich bin. Ich muss nicht zu jemandem werden, die ich nicht bin, ich werde nicht so tun als ob, mich wegducken oder meinem Drang widerstehen zu sprechen, zuzuhören, zu lernen. Ich bin Igbo. Ich bin Nigerianerin, ich bin Schwarz, ich bin Immigrantin, ich bin Frau. Ich bin all das, ich existiere in zwei Welten, die mich als ‚fremd‘ bezeichnen könnten, nur mein Igboland, der Ort meiner ersten Identität, wird mich nie so wahrnehmen.

Ich hatte Angst vor dieser Macht und dem Privileg, aber all das hat mir auch die Kraft gegeben, Unerhörtes mit meinen Worten zu tun. Ich weiß um mein Erbe, ich weiß, dass behagliche Geschichten nicht meins sind. Ich würde nicht zum Wohle meiner eigenen Geschichte schreiben, wenn ich so tun würde, als ob die Welt, aus der ich komme, mehr behagliche Geschichten bräuchte. Sie tut es nämlich nicht.

Ich kann in einer Welt, so hoffnungslos wie diese, weitermachen, weil ich mein Privileg der Geografie kenne, in dem Wissen, dass mir Schweigen nicht aufgezwungen wird. Ich kann mit mutigen Worten in diese Welt treten in dem Wissen, wer ich bin. Ich bin mir beim Schreiben dessen bewusst, ich übe mit meinem Stift so viel Kraft aus wie ich kann, ich habe eine große Freiheit und bestimme sie. Indem ich diesen Weg wähle, schreibe ich die Namen all der Frauen, die vor mir kamen.

Welche Geschichten hast du vergessen zu erzählen? Welche Geschichten hast du versucht zurückzuhalten? Wem bringt dein Schweigen einen Vorteil und von welcher Kraft hattest du vergessen, dass du sie besitzt? Ich glaube, das sind die Fragen, die du dir stellen solltest. Schweigen hat Frauen wie mir nie einen Vorteil verschafft. Uns aufgezwungen, als Tugend benutzt, wurden Frauen jahrhundertelang aus der Geschichte gelöscht und aus machthabenden Positionen eliminiert. Warum also solltest du dich weigern, die Kraft, die du in dir hast, nicht auch zu nutzen? Warum so tun, als hättest du nicht die Schlüssel zu deinem eigenen Käfig? Um mich selbst hineinzuschreiben, um meine Geschichte aufzuschreiben, um ans Licht zu bringen, wer meine Vorfahrinnen waren, entscheide ich mich dafür aufzustehen, zu schreiben. Deswegen wird meine Tinte nie austrocknen.

Es war einmal die Invasion eines Dorfes und die Menschen meiner Kultur wurden gezwungen, eine Sprache zu lernen, ihre eigene zum Verstummen zu bringen. In diesem Dorf wurden die Frauen einer Art organisierter Religion unterworfen und innerhalb dieser organisierten Religion wurde abermals ausgelöscht, denn die Religion der Invasor:innen lehrte Unterwerfung und Schweigen. Doch Töchter wie ich werden geboren mit Stimmen mächtig genug, um die Welt zu erschüttern. Worte so mächtig, Unerhörtes mit ihnen zu tun.

Ijeoma Umebinyuo schreibt Gedichte und Prosa über Frausein und Feminismus. Der Gedichtband „Questions For Ada“ erschien 2015. @theijeoma

Charlotte Milsch Charlotte Milsch moderiert, schreibt und übersetzt Prosa, Theater- stücke und Gedichte. Sie lebt in Berlin. @charlotte.milsch