Manchmal möchte ich das Schreiben einfach aufgeben. Manchmal zweifle ich daran, ob ich es wirklich kann. Manchmal denke ich, meine Texte sind ein großer Haufen Scheiße, aber dann ist da immer einer, der möbelt mich wieder auf.
 Neulich saß ich am Schreibtisch und war mal wieder am Denken, Zweifeln und Aufgeben, da fand ich in meinem Postfach die Mail eines Wolfgang W.:  „Liebe Frau Werner! Ich habe Ihren Text in der aktuellen Titanic-Ausgabe gelesen. Ich bin fast aus den Socken gekippt. Eine Frau und schwarzer Humor – Respekt! Ich muss sagen: Für eine Frau echt witzig, hahahaha!“

Gerührt betrachtete ich den Computerbildschirm, vor allem das „Hahahaha“. Nicht Haha, nicht Hahaha – nein, dieses vierfache, aufputschende Hahahaha machte mich wieder froh. Und ich hatte schon fast geglaubt, Frauen seien wirklich weniger humorbegabt, weil weniger „ironiefähig“, wie mir ein hackedichter FAZ-Redakteur einmal auf einer Buchmessenparty ins Ohr geraunt hatte. Ich vergoss eine Freudenträne, druckte die Mail auf Papier und hängte sie mir an die Wand. Neben die von einem Frank: „Hallo, Frau Werner! Ihr Text war ganz witzig. Apropos witzig: Im Anhang finden Sie 13 satirische Geschichten von mir, die auch echt WITZIG sind. Achtung, bissig – Herzinfarkt-Gefahr!!“

Hasskommentare, von denen andere Autorinnen berichten, bekomme ich selten, dafür Ratschläge jeder erdenklichen Art, und jeder unerdenklichen. Hinter jeder humorvoll schreibenden Frau stehen zwanzig Männer, die ihr wertvolle Tipps geben. Tipps, wie es noch besser geht: „Im letzten Absatz die Pointendichte ruhig noch mal erhöhen – kleiner Wink vom alten Hasen“, oder allgemeiner: „Ella, wenn du einen richtigen Kracher brauchst, frag mich“, wie mir Onkel Bernhard regelmäßig rät. Manche Zuschriften bekunden auch Mitgefühl und Sorge, wie die von einem Dirk: „Frau Werner … Huch! Ich hätte nie gedacht, dass in einer FRAU solche finsteren Abgründe schlummern, wie ich aus Ihren frechen Satiren herauslese. Solch brachiale Gedanken, so viel Schadenfreude! Wo kommt das nur her? Hat Ihnen der liebe Gott ein paar Y-Chromosomen zu viel in die Wiege gelegt ;-)? Ihr boshafter Text hat mich erfreut, aber auch, ich gestehe es frei heraus, ein wenig erschrocken!“ Ich sah ihn vor mir, wie er um Mitternacht an seinem Laptop saß, der gute Dirk, erschrocken und verwirrt. Vielleicht hatte er buschige Augenbrauen, vielleicht eine übergroße Nase, auf jeden Fall aber eine Menge Empathie.

Missy Magazine 05/20, Vorabdruck, Ella Carina Werner, Julia Schwendner, F

Gerne erinnere ich mich auch an jenen hochbetagten Herrn, der sich zu meiner Hamburger Lesebühne „Liebe für alle“ verirrt hatte. Ich sah ihn schon von Weitem, wie er sich nach der Zugabe wacker durch das Menschengewühl arbeitete, geradewegs auf mich zu. Erst dachte ich, es sei mein netter Frauenarzt, aber dann sah ich in das mir völlig fremde zerknitterte Gesicht. „Frau Werner!“, vernahm ich eine heisere Stimme. „Ich habe darüber nachgedacht. Sie sind auf dem richtigen Weg. Weiter so. In ein paar Jahren sind Sie vielleicht richtig gut!“ Seine weißen Fingerknöchel klopften auf meine Schulter.

Ich spendierte ihm an der Theke einen Pfefferminzlikör, dann half ich ihm in den Mantel, hielt ihm die Clubtür auf. Zum Abschied lag seine kühle, weiche Hand in meiner.
„Ich zähle auf Sie“, zwinkerte er mir zu. „Das könnte wirklich etwas werden. Nur zu!“

Vorabdruck aus: Ella Carina Werner „Der Untergang des Abendkleides. Geschichten“ Satyr, 176 S., 18 Euro, VÖ: 28.09.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/20.