Wer als Kind mal einen Horrorfilm gesehen hat, kennt das vielleicht: Die Bilder von Monstern, Aliens, Gespenstern und Horrorclowns lassen eine*n nicht mehr los. Sie tauchen in Albträumen wieder auf, ihre Silhouetten lassen sich in den dunklen Ecken der Straße erahnen, ihre Gesichter erscheinen hinter spiegelnden Fenstern. Nachts, wenn man wach liegt, klingt jedes Geräusch wie ein gruseliges Lachen, wie ein Kratzen an der Wand, eben wie eine Bedrohung. In der Kindheit ist die Frage, ob diese unheimlichen Wesen aus den Filmen nicht vielleicht doch existieren, allgegenwärtig. Wenn wir älter werden, meinen wir zu wissen, dass es sie nicht geben kann, dass sie nur Teil fiktionaler Welten sind. Wieso machen Horrorfilme Angst, wenn die Zuschauer*innen doch wissen, dass es sich um Fiktion handelt? Horror funktioniert auch im Erwachsenenalter, weil die Geschichten sich mit Lebensrealitäten verbinden. Doch sind diese Lebensrealitäten verschieden, wie bei einem diversen Publikum anzunehmen wäre, so stellt sich die Frage: Gibt es universale Ängste überhaupt? Tatsächlich werden im Horrorgenre oft die Ängste einer Mehrheitsgesellschaft thematisiert.

„Die älteste und stärkste Empfindung der Menschheit ist die Angst, und die älteste und stärkste Form der Angst ist die Angst vor dem Unbekannten“ – so lautet ein viel zitierter Satz des US-amerikanischen Schriftstellers H.P. Lovercraft. Lovercraft gilt als Begründer des kosmischen Horrors, ein Untergenre des Horrors, das sich darüber definiert, dass unbekannte, unerklärbare Mächte die Welt bedrohen. Auf dieses Prinzip beziehen sich weltweit Bücher, Comics, Filme, Serien und Videospiele. Aber was heißt die Angst vor dem Unbekannten in Gesellschaften, in denen marginalisierte Menschen als „Unbekannte“, „Fremde“ und „Gefahr“ markiert werden? H.P. Lovecraft war offen rassistisch, antisemitisch und homofeindlich – auch im zeitgenössischen Horror unterfüttern diskriminierende Narrative die Gefahr durch „die Anderen“, welche die bürgerliche Kleinfamilie, weiße Collegefreund*innen und verliebte Heteropärchen bedrohen. In der Gesellschaft werden Ängste produziert, die sich in Horrorgeschichten wiederfinden lassen. Deshalb können wir bei der Rezeption jeder Horrorgeschichte fragen: Wessen Ängste werden erzählt? Wessen Ängste gelten überhaupt als relevant und erzählenswert? Wer wird als Monster dargestellt und wer überlebt den Horror eigentlich?

Was Angst auslöst, ist je nach gesellschaftlicher Position unterschiedlich: Für People of Color, Frauen und queere Personen geht von betrunkenen weißen Fußballfans in der Bahn eine Bedrohung aus, die weiße cis-hetero Männer vielleicht nicht erleben. Für Schwarze Menschen und People of Color kann ein weit abgelegenes schwedisches Dorf, in dem ausschließlich weiße Menschen leben und traditionelle, kultische Feste feiern – so wie in dem Film „Midsommar“ (2019) des Regisseurs Ari Aster –, eine ganz andere Gefahr bedeuten als für weiße Menschen. Die Angst liegt bei ihnen nicht im „Unbekannten“, sondern in der alltäglichen Bedrohung durch Rassismus, dessen Existenz Betroffenen sehr wohl bewusst ist. Die Angst liegt auch darin begründet, selbst zu einer „fremden“, gefährlichen Person oder eben zum Monster gemacht zu werden. Gleichzeitig gehen mit alltäglichen Diskriminierungserfahrungen marginalisierter Menschen auch Widerstands- und Überlebensstrategien einher, die in Horrorerzählungen gezeigt werden können. Es scheint nur logisch, wenn in Horrorgeschichten diejenigen überleben, die ohnehin schon täglich für ihre Sicherheit kämpfen.

Genau das zeigt der Filmemacher Jordan Peele mit den Filmen „Get Out“ (2017) und „Wir“ (2019), in denen Schwarze Menschen den Horror, der über sie hereinbricht, überleben (ups – Spoiler). „Get Out“ zeigt die Entführung des Schwarzen Fotografen Chris durch seine weiße Freundin, die ihn zu einem Familienbesuch mitnimmt, um ihn dort ihren weißen Eltern auszuliefern, die Chris’ Körper versteigern. Der mal subtil, mal offensichtlich erzählte Rassismus, darunter exotisierende Kommentare, die bewertenden Blicke weißer Menschen und die bevorstehende Enteignung seines Körpers, werden als Gefahr dargestellt. Der Film verdichtet die real existierenden Ängste und Bedrohungen im Leben Schwarzer Menschen zu einer Horrorgeschichte.

Missy Magazine, Dossier, Horror, Beitrag 02

In der US-amerikanischen Dramedy-Serie „Atlanta“ fließen Horrormomente ganz unterschwellig in das alltägliche Leben der Protagonist*innen ein und stehen im Zusammenhang mit Rassismus und rassistischen Praktiken. Z.B. besuchen Earn und Vanessa gemeinsam ein Fastnachtsfest in einem Ort, der einem bayerischen Dorf nachempfunden ist. Earn, Vanessa und eine Freundin sind die einzigen Schwarzen Personen zwischen weißen Menschen in Dirndl und Lederhosen. Kurz nachdem Earn den Festsaal betritt, berührt eine weiße Person ungefragt sein Gesicht, weil sie annimmt, er sei in Blackface. In einer anderen Folge sitzt Tobias, ein Schwarzer Schüler mit weiß geschminktem Gesicht, gegenüber der Lehrerin Vanessa und starrt sie an. Er löst den Blick nicht von ihr, grinst, zuckt kurz mit den Augenbrauen. Im Kontext der Folge wird zwar klar, dass Tobias das bereits vorher gemacht hat, es wird aber keine Erklärung geboten. Was hier als unheimlich wahrgenommen wird und wie es einzuordnen ist, ist bei den subtil inszenierten Horrormomenten von den Perspektiven und dem Wissen der Zuschauer*innen abhängig.

Die Horrormomente in diesen filmischen Darstellungen definieren sich über den Rassismus, den die Figuren erfahren. Horror mit den Erfahrungen von Rassismusbetroffenen zu verknüpfen ergibt Sinn, wenn wir die Bedrohung betrachten, die mit Rassismus einhergeht. Spannend ist die Frage, wie sich Geschichtenerzähler*innen die von Lovecraft geprägte Erzähltradition aneignen – ohne Diskriminierung nur zu reproduzieren, sondern indem sie diese stattdessen dekonstruieren. Eine Möglichkeit dafür bietet die Horrorserie „Lovecraft Country“ (2020), die von einem Roadtrip afroamerikanischer Charaktere zu Zeiten der Segregation erzählt.

Eine weitere Möglichkeit, Horror zu nutzen, um Rassismus- und Migrationserfahrungen in ihrer Vielschichtigkeit zu erzählen, findet sich im Motiv der geisterhaften Heimsuchung. Die Soziologin Avery Gordon untersucht das sogenannte „haunting“ als gesellschaftlich- psychologischen Zustand, durch den Unterdrückung, Marginalisierung und vermeintlich vergangene Gewalt sichtbar werden. Geister sind nach Gordon soziale Figuren, die die Gegenwart verunsichern und die Existenz von Unsichtbarem in der Gesellschaft betonen. Dieses Verständnis von geisterhaften Heimsuchungen wirft die Frage auf, ob haunting tatsächlich ausschließlich Teil fiktionaler Welten ist. Die Überlagerung von Vergangenheit und Gegenwart, die Verschmelzung unterschiedlicher Lebensrealitäten und die Gleichzeitigkeit verschiedener Wahrnehmungen von Gegenwart decken sich mit Lebensrealitäten, die von Migration und gewaltvollen Vergangenheiten geprägt sind, und lassen sich als haunting verstehen. Diese Momente der geisterhaften Heimsuchung finden wir eingebettet in Filmen, in denen wir Horrormomente nicht unbedingt erwarten: Im Film „Die Erbin“ (2013) wird eine Berliner Schriftstellerin of Color, die den Herkunftsort ihrer Eltern besucht, von der Stimme ihres verstorbenen Vaters begleitet, der ihre Gefühle und Gedanken beschreibt. Im Coming-of-Age-Film „Futur Drei“ (2020) verschmelzen die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Freund*innen Parvis und Banafshe in einer dröhnenden Montage aus verzerrten Stimmen und Bildern ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, als Banafshe die Abschiebung droht. In der zweiten Staffel der Serie „Transparent“ (2014) tauchen Figuren aus dem Kontext des Sexualforschers Magnus Hirschfeld auf einem Festival weißer TERFs in der erzählten Gegenwart auf und markieren die Verflechtung queeren jüdischen Lebens über Generationen hinweg.

Momente der geisterhaften Heimsuchung sind hier Teil des alltäglichen Lebens. Heimsuchung als Horrormotiv hat also das Potenzial, Diskriminierungs-, Gewalt- und Migrationserfahrungen realistischer zu erzählen, weil sie immer kollektive Erfahrungen sind, sich durch unterschiedliche Generationen ziehen, Ereignisse der Vergangenheit in der Gegenwart fortführen und deshalb nicht linear erlebt werden. Insbesondere
(post-)migrantische Lebensrealitäten und hybride Identitäten können so in ihrer tatsächlichen Vielstimmigkeit und Differenziertheit dargestellt werden. Dadurch entziehen sie sich einer narrativen Eindeutigkeit, die oft über Stereotype und Klischees gefestigt wird. Dieses haunting muss gar nicht negativ verstanden werden, weil es immer eine Sichtbarmachung und die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit scheinbar Vergessenem beinhaltet. Der Horrorclown unter dem Bett und das Alien mit den Tentakelarmen lassen sich viel einfacher fiktionalen Welten zuordnen als diese Horrormomente, die die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen lassen.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/20.