Text: Sascha Rijkeboer
Illustration: Tine Fetz

Kürzlich wurde ein Dokumentarfilm von mir ausgestrahlt. Nein, falsch: Ein Dokumentarfilm über mich und mit mir. Über eineinhalb Jahre hat der Regisseur Manuel Gübeli an diesem Projekt gearbeitet und ich muss sagen: Noch nie hat eine Person aus den Medien so mit mir zusammengearbeitet, wie Manuel es tat. Er ließ sich quasi journalistisch entthronen, um dem Thema trans/non-binary, meiner Diskurssensibilität und Verantwortung und seinen künstlerischen Ansprüchen, gerecht zu werden. 

Bezeichnende Beispiele bleiben mir vor allem zwei:
Obwohl Manuel ein cis Mann ist, musste er – weil er mich ernst nahm – plötzlich die gleichen Fragen beantworten, wie eine non-binäre trans Person das muss und war schockiert, wie borniert die Leute auf ihn reagierten. Im aktuellen Projekt porträtiere ich also eine non-binäre Person. Ja, Sascha ist eben weder eine Frau noch ein Mann. Nein, Sascha hat eben keine binäre Geschlechtszugehörigkeit. Ja, du kannst einfach «Sascha» sagen. Nein, eben nicht «sie» oder «er», sondern einfach «Sascha». Das spielt jetzt eben keine Rolle, welchem Geschlecht Sascha bei Geburt zugewiesen wurde, darum geht es eben. Nein, wenn ich dir das jetzt sage, dann willst du Sascha nur wieder an einem Geschlecht festmachen. Ja, eben! Genau das gilt es zu ertragen. Sascha ist Sascha. 

Das andere Beispiel schlich sich schon viel früher ein und ich schätzte Manuels Prozess, den er durchlief: Er wollte mich ursprünglich nämlich beim Schwimmen zeigen. Ich sagte «Nein, das will ich nicht, wieso müssen transmaskuline Menschen – oder Menschen mit einer Mastek – ständig beim Schwimmen gezeigt werden?« Ich sag dir warum: Weil die Medienschaffenden uns ausziehen wollen, aber verschleiern möchten, dass sie genau das tun: Uns ausziehen. Darum lassen sie uns schwimmen, die ganze Zeit. Ich habe schon so viele Dokus zu transmaskulinen Menschen gesehen UND – SIE – SIND – IMMER – AM – SCHWIMMEN».

Ich freue mich auf eine zukünftige Doktorarbeit aus den Filmwissenschaften, die genau das untersuchen wird: Trans Männer und afab Enbies beim Schwimmen.
Ich sagte zu Manuel «Du hast doch sicher den Anspruch an dich, deinen Film nicht in diese stereotype Darstellung einzureihen, oder?» Spätestens diese Abwertung war überzeugend und Aissa Tripodi, die mit Manuel Buch und Regie erarbeitete, hatte die Idee, dass wir mich oben ohne im Supermarkt einkaufen lassen könnten. Das würde dann total mit Umgebung und Darstellung brechen und diese Absurdität sichtbar machen

Ich war etwas unschlüssig; ausgezogen wäre ich ja immer noch und das voyeuristische Auge würde somit befriedigt werden. Ob dieser Kunstgriff wohl Irritation und Reflexion genug wäre?

Wir filmten die Szenen dann, drehten mehrere Stunden in einer Migros-Filiale in der Nähe des Basler Zoos nach Ladenschluss. Und die Leser*innen, die den Dokumentarfilm sahen, wissen: Diese Szene ist nirgends drin. Das ist es, was ich an Manuel so schätzte: Er sah im Schnitt schon sehr bald, dass es nicht zum Rest des Films passt, der sensibel, einfühlsam, intim und gewissermassen woke ist. Manuel hat hier die voyeuristische Einforderung eines Zuschauer*innenpublikums überwunden, die die meisten Medienschaffenden niemals außen vor gelassen hätten. Das rechne ich ihm hoch an. 

Leider gibt es in meiner Beziehung zum Film aber ein trotzdem, das ich nicht ausblenden kann und mir, je länger ich darüber nachdenke, schlaflose Nächte bereitet: Nicht alle sind glücklich mit dem Film. Allen voran natürlich meine Eltern, die sich mit der Aussage, dass ich mich nicht besonders für unsere Beziehung interessieren würde, konfrontiert sehen. Aber auch Kärleksvän*, Tyra, die unterkomplex dargestellt und z.B. mit der Aussage «eine schwedische Tänzerin» objektiviert wird. Und dann ist da noch eine non-binäre schwarze Person, die ihren Consent zur Darstellung nicht gab, aber trotzdem im Film vorkommt und sich – zurecht! – tokenised wahrnimmt. Und ich denke: Alles was ich jetzt tun kann, ist meine Sichtbarkeit dafür nutzen, um nicht sichtbare Stimmen sichtbarer zu machen. Darum spreche ich auch die unangenehmen Seiten an. 

Ich hatte auf sehr viele Dinge Einfluss, z.B. auf den Text, der mehrere Male überarbeitet wurde oder auf die Antworten, die ich gab und mit denen ich signalisierte was mir wichtig ist.
Und trotzdem ist jetzt ein Resultat da, mit dem ich mich nicht hundertprozentig identifizieren kann und das ich nun einfach annehmen muss, weil Teile davon in meiner Abwesenheit «komponiert» wurden.

Das fällt mir manchmal schwer. Manchmal bin ich wütend, dass dieses oder jenes so oder so gezeigt wurde und oft bin ich aber auch überwältigt, was in dem Film alles Platz gefunden hat. Am Tag nach der Ausstrahlung erreichten mich auf Instagram etwa 250 Nachrichten von Leuten, die sich mit dem Film identifizieren konnten. Um die 20 Leute haben sich wegen des Filmes und meiner empowernden Sichtbarkeit bei irgend einer ihnen nahestehenden Person geoutet – hier wird also sichtbar, wie wichtig Sichtbarkeit ist!

Wenn mich jemand fragt, wie es mir heute mit dem abgeschlossenen Film geht, dann sage ich: Ich bin zwiegespalten und für mich hat es eigentlich erst gerade angefangen. Klar habe ich eine erste Arbeit während der Dreharbeiten geleistet. Aber jetzt kommt ein riesen Brocken an Auseinandersetzung mit Wirkung und Verantwortung auf mich zu. Und es fühlt sich nicht immer gut an – weil nicht alle damit glücklich sind. Das ist schade. Ich versuche beiden meinen Gefühlen ihren Raum zu geben: Den gerechtigkeitssuchenden und kritisierenden, sowie den dankbaren, für eine Arbeit, wie ich sie über trans Menschen selten gesehen habe. 

*schwedisch für Liebesfreund*in.

Bis Ende Januar 2021 kannst du „Being Sascha“ hier kostenlos sehen.